von Sandro Danilo Spadini
Er wolle jetzt noch nicht nach Hause, krächzt Jackson Maine (Bradley Cooper) auf dem Rücksitz der Limousine. Er brauche Nachschub. Einen Drink. Irgendwas Alkoholisches, das es jetzt eigentlich
nicht mehr brauchte. Aber Jackson Maine, das ist ein Rockstar mit allem, was dazugehört oder was einst dazugehört hat, bevor alles so aseptisch wurde. Also landet er, der kein Mass kennt, aber
durchaus ganz ein lieber Kerl ist, in dieser Drag-Bar ausserhalb von L.A. Und da, ja da ist dann sie: «La vie en rose» schmachtend, sich auf dem Tresen räkelnd, eine grosse Schau abziehend, alle
verzaubernd. Und auch wenn er weiss Gott nicht mehr ganz bei Sinnen ist, das erkennt er dann doch: dieses Potenzial – dieses Starpotenzial. Bis Ally (Lady Gaga), der man in der Musikindustrie
gesagt habe, ihre Nase sei zu gross, sie werde es eh nicht schaffen, das aber auch glaubt, brauchts noch einige Überzeugungsarbeit. Eine ganze Nacht lang, quer durch Bars und Supermärkte. Eine
Nacht, in der nicht nur Jackson und Ally sich verlieben werden, sondern auch wir: in einen Film, der schon da, in diesem frühen Stadium, so viel zarte Schönheit und warme Menschlichkeit
verströmt, wie man das von Hollywood kaum mehr gewohnt ist. Und das, für Filme über das Musische durchaus atypisch, ohne prätentiösen Künstler-Kram und aufgeblasenes Grandezza-Zeugs, in recht
relaxter Atmosphäre und vor allem: mit zwei enorm einnehmenden Protagonisten.
Funken sprühen, Fetzen fliegen
Dabei war diese dritte Neuverfilmung des Klassikers «A Star Is Born» von 1937 eine ziemliche Zangengeburt. Eigentlich hätte einst Clint Eastwood Regie führen und Beyoncé in die Fussstapfen von
Janet Gaynor, Judy Garland und Barbra Streisand treten sollen; Christian Bale, Leonardo DiCaprio, Will Smith und Tom Cruise hatte man sich nacheinander für den männlichen Hauptpart ausgeguckt.
Wäre alles ganz reizvoll gewesen, gewiss. Doch nach diesen zweieinhalb Stunden hier, die sich im besten Sinn anfühlen wie ein halbes Leben, fällt es schwer, sich irgendjemand anderes als Lady
Gaga und Bradley Cooper als Ally und Jackson vorzustellen – die beiden können es nicht nur auf der Bühne beim Singen der teils selbst geschriebenen Countryrock-Songs derart gut miteinander, dass
sich Coopers Partnerin durchaus Sorgen machen sollte. Dass die Funken nicht ewig sprühen werden, liegt indes in der Natur der Geschichte. Es werden auch die Fetzen fliegen, das ist so sicher wie
die Zugabe am Konzertende; spätestens wenn der letzte Rest Rockstar-Romantik im Suff untergegangen ist. Und wenn es dann so weit ist, dann tut das einem regelrecht weh – so sehr haben wir uns
doch für die beiden gefreut und gehofft, es möge gut kommen. Stefani Germanotta aka Lady Gaga und Bradley Cooper harmonieren freilich auch da noch, als hätten sie Allys und Jacksons Drama
höchstselbst durchlitten und seien davon zusammengeschweisst worden. Schwierig zu sagen, von wem man jetzt mehr begeistert sein soll: der Popdiva, die mit minimaler Schauspielerfahrung eine solch
herzliche und würdevolle Natürlichkeit auf die Leinwand bringt, dass gefälligst niemand auf die Idee kommen soll, ihr in der kommenden Award-Saison die höchsten Würden auf diesem Gebiet zu
versagen. Oder der Beau, der mit Bierbass lallend und vom Alkohol gerötetem und verschwitztem Kopf nicht nur seine bislang beste Performance hinlegt, sondern mit seinem perfekt und dynamisch
getakteten, vielschichtigen und facettenreichen Regiedebüt endgültig in den Hollywood-Adel aufsteigt.
Ein bisschen wehmütig
Was diesen Film über den Exzess zu einem derart überwältigenden Ereignis macht, ist paradoxerweise seine Nüchternheit. Er lässt Jackson nicht zu sehr hadern mit seinem verglühenden Ruhm, der
verfallenden Gesundheit; er lässt es ihn hinnehmen, ohne sich im Destruktiven zu suhlen oder es gar Ally kleinmütig-eitel zu neiden, wenn ihr Stern zu funkeln beginnt. Entsprechend ist «A Star Is Born» auch keine wild-wütend-weinerliche
Abrechnung mit dem modernen Showbusiness, wiewohl dessen Marketingauswüchse die auf Pop-Ikone getrimmte Ally schliesslich sagen lassen, sie wisse nicht mehr, wer sie sei. Es ist allenfalls ein
Abgesang: leise, leicht wehmütig und nie dem erstbesten Instinkt folgend, beleidigten Künstlerseelen mit bombastischer Eloquenz das Wort zu reden. Und weil Cooper also nicht nur mit der
abenteuerlichen Besetzung des weiblichen Hauptparts ein rechtes Risiko eingegangen ist, wollen jetzt doch auch wir mal ganz keck sein: Gut möglich, dass Bradley Cooper hier den besten Musikfilm
der Kinogeschichte gedreht hat. Sehr gut möglich sogar.