Von Sandro Danilo Spadini
Am Anfang dürfen sie sagen, was sie aneinander mögen. Und auch wenn das eine ganze Menge ist – es ist offenbar nicht genug, es reicht nicht mehr, um die Beziehung von Nicole (Scarlett
Johansson) und Charlie (Adam Driver) zu kitten, ihre Ehe noch zu retten. Und so sitzen sie jetzt eben beim Mediator und mögen all diese netten und schönen Dinge, die wir als Zuschauer gehört
haben, dem anderen dann doch nicht recht sagen. Zu viel ist vorgefallen. Zu weit entfernt haben sie sich innerlich schon voneinander. Das Ende ist beschlossene Sache, unverrückbar; daran wird
sich nichts mehr ändern in den kommenden rund zwei Stunden, so viel ist klar und auch dann noch wahr, wenn Regisseur und Drehbuchautor Noah Baumbach in den zärtlicheren Momenten seines heiss für
den Oscar gehandelten Scheidungsdramas
«Marriage
Story» aufzeigt, wie sehr sich Nicole und Charlie noch immer verbunden fühlen, wie stark die Bande zwischen den beiden sind, diese Vertrautheit, blind und wohlig. Aber man soll sich da eben
auch nichts vormachen: Dass Nicole, die Schauspielerin, und Charlie, ihr Regisseur am Theater, sich nun trennen, das hat schon seine Richtigkeit, seine Logik. Wer daran Schuld oder zumindest mehr
Schuld hat, ist freilich eine Frage, die einstweilen offenbleibt. Und eine, die Baumbach am Ende gar nicht so sehr kümmert. Denn er – das Scheidungskind zweier Filmkritiker; der Regisseur, der
sich vor sechs Jahren von seiner Schauspielergattin Jennifer Jason Leigh getrennt hat – weiss wohl, dass solche Geschichten selten einfach sind. Dass das richtige Leben vielschichtig,
mehrdimensional und hintergründig ist. Dass es komplex, chaotisch und widersprüchlich ist. Und das richtige Leben, das ist es, was Baumbach hier einmal mehr abbilden möchte.
Ein heutiger Woody Allen
Um eine Scheidung ging es schon in «The Squid and the Whale», diesem famosen Drama, für dessen Skript Baumbach vor 14 Jahren ein erstes und das bislang einzige Mal für den Oscar nominiert wurde.
Und um Familie geht es bei ihm wenigstens im weiteren Sinne eigentlich immer, so auch zuletzt in «While We’re Young» (2014), wo sich ein Mittvierziger von der Midlife-Crisis ins Hipstertum
stürzte, und in «The Meyerowitz Stories», einer Tragikomödie, die er wie nun «Marriage Story» für Netflix gedreht hat. Weil das Ganze obendrein gerne in New York und daselbst bevorzugt im
Künstlermilieu über die Bühne geht, ist Baumbach mehr als einmal und mit einigem Recht als der neue Woody Allen geadelt worden – eine zeitgenössischere Version notabene und weniger
selbstzentriert, sprich: Man hat bei ihm trotz autobiografischen Backgrounds nicht so sehr das Gefühl, ihn bei seiner eigenen Therapie zu begleiten. Und vor allem ist er nicht gar so berauscht
von seinem Milieu, sieht auch die Schattenseiten: den Egoismus der Künstler, ihren Narzissmus. So auch hier, wo Charlies Prioritäten bald evident werden, aber auch, dass es gar nicht so selbstlos
war, als Nicole damals von L.A. nach New York zog, wo sie unter Charlies Fittichen vom Sternchen aus einer Collegeklamotte zur Mimin von Statur reifte. Nicht dass das hier schreckliche Menschen
wären, keineswegs; Selbstzerfleischung steht nicht auf dem Menü. Aber Baumbach reflektiert mehr als Allen, sieht die Grautöne – und nimmt das alles ernster.
Unparteiisch, aber leidenschaftlich
Was sich in «Marriage Story» nun indes zeigt: Bislang hat Baumbach nur geübt. Das hier ist sein Meisterwurf – ein grosses Stück Beziehungskino: die Anatomie einer Liebe, die Autopsie einer Ehe
und die Chronik einer Scheidung. «Wir wollen dasselbe», sagt Charlie zwar, namentlich: das Beste für den Kleinen, Freunde bleiben, keinen emotionalen Stress, das Ganze schmerzlos und mit Sinn
fürs Praktische durchziehen. Doch die Spannungen sind nicht wegzurationalisieren, da können sie sich noch so zivilisiert und erwachsen benehmen. Und wenn es dann ans Eingemachte geht, fängt es
an, richtig wehzutun: wenn es etwa um die sehr konkrete Frage geht, wo das Kind denn nun leben soll – weiterhin in New York, wo Papa mit seinem Theater auf Erfolgskurs Richtung Broadway ist, oder
in Los Angeles, wo Mama hingezogen ist, weil es ihr TV-Pilot zur Serienreife gebracht hat? Einen regelrechten Realitätscheck und eine Kollision mit den hehren Absichten bringen dann die Gespräche
mit ihren Anwälten (die grandiose Laura Dern einerseits und Alan Alda respektive Ray Liotta andererseits). «Das würde sie nicht machen», meint Charlie da etwa einmal. «Sie werden sich wundern»,
hält die Anwaltsgehilfin dagegen und hat nicht unrecht. Und da sind sie dann wieder, diese Kontraste, von denen «Marriage Story» so sehr lebt: In einem Moment scheint alles normal, und Sekunden
später herrscht Ausnahmezustand. Aber es geht auch andersrum: wenn es scheint, als hätten sich Nicole und Charlie nun komplett entfremdet, nur um im nächsten Atemzug vollkommene Geschlossenheit
zu demonstrieren. So spielt Baumbach mit unseren Gefühlen Pingpong. Und mit unseren Sympathien sowieso: Da nervt uns Charlie mit seinem Mangel an Einfühlungsvermögen, und schon geht uns Nicole
mit ihrem Hang zum Nörgeln auf den Wecker. Wobei es uns in diesem unparteiischen, aber nie leidenschaftslosen Film die meiste Zeit freilich geht wie der Babysitterin, der es entfährt: «Gott, ihr
beide seid so attraktiv!» Und klug. Und gut. Einfach nicht mehr füreinander.
Zwei Karrierebestleistungen
Umso elender ist einem zumute, wenn zwischen den beiden, nachdem sie zu Spielbällen ihrer Anwälte geworden sind, endlich der Scheidungskrieg offen ausbricht und sich der angestaute Groll in einem
wüsten, hässlichen Streit entlädt. Aber dann macht Baumbach, weil er ja kein grausamer Regiegott ist, wieder was Feines und bringt uns im unpassendsten Moment zum Lachen, und wir erinnern uns,
dass das ja mal als Tragikomödie angekündigt worden ist. Und tatsächlich ist das ein Film, der es sich und auch uns zwar nicht einfach macht, der aber bei alledem immer durchaus leicht und
spielerisch wirkt. Und der dank der superben Performances, der Karrierebestleistungen von Scarlett Johansson und Adam Driver, stets ungezwungen natürlich seine Sicht der Dinge, seine Ansichten zu
Beziehungen im 21. Jahrhundert kundtut. Ein grosses Generationenstück ist das nämlich auch noch. Aber zuvörderst, natürlich, ein Film über die Liebe. Und darüber, wie sie endet. «Es ist alles so
blöd», sagt Charlie am Schluss. «Nein, es ist traurig», antwortet jemand. Es ist halt beides. Wie so vieles hier beides ist. Aber wenn Nicole und Charlie über die Erschöpfung schliesslich wieder
zur Besinnung gekommen sind, ist eines immerhin ganz eindeutig: Diese blinde und wohlige Vertrautheit, die ist für immer.