von Sandro Danilo Spadini
Wenn Schauspieler zu Regisseuren werden, wissen sie meist ganz genau, was sie wollen. Denn wenn sie die Seiten wechseln, tun sie das zumal bei der Premiere typischerweise nicht für ein
x-beliebiges Produkt – sondern für ein Projekt, das sie schon lang im Herzen tragen. Sie haben sich also sehr viele Gedanken dazu gemacht, zu diesem ihrem Herzensprojekt, zu dessen Realisierung
sie sich berufen, nein geboren fühlen. Doch wenn die Zeit dann reif ist, sprich der Name gross, der Geldbeutel dick und die Agenda blank genug, passiert allzu oft etwas davon: Der Jungregisseur
ist übermotiviert, erstarrt in Ehrfurcht oder ist einfach überfordert. Beim 34-jährigen Paul Dano, abonniert auf die Rolle des Sonderlings in Indie-Streifen, geschieht nichts von alldem: In der
Literaturverfilmung
«Wildlife» übt er sich in
zackiger Zurückhaltung; er nutzt Richard Fords Vorlage selbstbewusst für seine Zwecke; und er ist dabei derart kompetent, dass man mit Fug von einem Naturtalent sprechen darf. Dano hat das alles
perfekt durchdacht und konsequent durchgezogen. Und doch: Etwas fehlt.
Es lodert am Horizont
Der Roman von Richard Ford stammt aus dem Jahr 1990; die Geschichte jedoch ist 30 Jahre früher angesiedelt und hat mithin den Vorteil des Rückspiegelblicks. Und wie so oft bei Werken dieser Art
und Provenienz darf, ja soll man das, was den Leuten darin widerfährt, auch auf das Land münzen. Die USA 1960 also, am Ende der Eisenhower-Ära: Die Turbulenzen und der Unschuldsverlust der
Sechzigerjahre zeichnen sich am Horizont ab; Vorboten des Wandels klopfen an, im Zuge dessen vermeintlich Unumstössliches infrage gestellt werden wird; erste Risse im amerikanischen Idyll und
Ideal scheinen auf. Gespiegelt wird das bei Ford an der Geschichte der Familie Brinson: Eben erst in Great Falls, Montana, angekommen, verliert Vater Jerry (Jake Gyllenhaal) bereits wieder seine
Arbeit auf dem Golfplatz. Im Bemühen, den Abstieg aus der Mittelschicht abzuwenden und seine Männlichkeit wiederzuerlangen, nimmt er einen Desperado-Job an: Für einen Dollar die Stunde geht er
raus in die prächtig raue Natur und kämpft gegen die Waldbrände, die man von ferne sieht. Derweil lodert daheim ein anderes Feuer: Seine sich tough und keck gerierende Frau Jeanette (Carey
Mulligan) wendet sich pragmatisch von ihm ab und dem lokalen Krösus (Bill Camp) zu. Solche Feuer, sie lassen sich kaum mehr löschen. Sie brennen alles nieder. Und was einzig bleibt, ist, mit
grossen Augen ungläubig zuzuschauen, machtlos mit anzusehen, wie alles, woran man glaubt und sich festhält, in Schutt und Asche gelegt wird. Die grossen Augen gehören hier Joe (Ed Oxenbould), dem
Teenagersohn, der spürt, dass etwas nicht stimmt, etwas passieren wird. Und in ihnen liegt das blanke Unverständnis, das die monotone Melancholie des in Zeitlupe eskalierenden Dramas bisweilen
durchbricht.
Stoisch und subtil
Dieses Monotone freilich ist so gewollt von Dano und seiner Schreib- und Lebenspartnerin Zoe Kazan. Es ist ein stiller Film von strikter Stringenz, in dem Dano nicht sich, sondern Bilder,
Stimmungen, Figuren in den Fokus stellt und die Bühne so Kameramann Diego García, Komponist David Lang und Gyllenhaal, Mulligan und Oxenbould überlässt. Zu Minimalmusik bekommen wir hier von der
gerne statischen Kamera exakt gerahmte Bilder serviert, deren profanes, karges Setting gleichsam naturgemäss die Einsamkeit und Entfremdung der Werke Edward Hoppers evoziert. Dieses Stoische
überträgt sich auf Danos Verhältnis zu den drei Hauptparts: Er wertet nicht, ist unparteiisch und zu gleichen Teilen an ihnen interessiert. Er gibt ihnen Raum, lässt die Kamera scheinbar grundlos
bei ihnen verweilen, auf ihr Gesicht zoomen, es einrahmen, festhalten und in die Leinwand brennen. Und die Darsteller zahlen ihm das doppelt und dreifach zurück; eine Wucht ist gerade der junge
Ed Oxenbould, dessen Figur Dano speziell am Herzen zu liegen scheint – vielleicht, weil sie jenen ähnelt, die er selbst am Anfang seiner Karriere verkörpert hat. Das wäre dann aber alles, was
sich Dano an Narzissmus erlaubt. Seine Regie lebt vielmehr von der Selbstzüchtigung und bildet einen subtilen Kontrast zu den schrillen Metaphern des Plots. Fast aufreizend wird Danos
Nüchternheit, wenn er die dürre Handlung wie ein Chirurg in kurzen Sequenzen ausbreitet: knapp und bündig – wie die Dialoge; trocken und schnörkellos – wie die Musik; präzise und prägnant – wie
die Bilder. Das ist, zumal für einen Debütanten, erstaunlich. Es nötigt Respekt ab. Aber es ist auch etwas akademisch. Oder anders gesagt: Ein Feuer in uns vermag es kaum zu entfachen.