Von Sandro Danilo Spadini
Nein, man muss nicht wissen, wer Fred Rogers war. Nicht um die Botschaft dieses Films zu verstehen. Und auch nicht um die Leistung von Tom Hanks in Marielle Hellers
«A Beautiful Day in the Neighborhood» wertzuschätzen.
Aber eines ist sicher: Es lohnt sich, sich einen oder zwei Momente Zeit zu nehmen, um herauszufinden, wer diese vielleicht beliebteste aller amerikanischen Fernsehpersönlichkeiten war; sich etwa
die Erfolgsdoku «Won’t You Be My Neighbor?» von 2018 anzuschauen – oder sich einfach eine alte Folge von «Mister Rogers’ Neighborhood» zu Gemüte zu führen, dieser Kindersendung, in der der
ausgebildete presbyterianische Pastor ab 1968 bis kurz vor seinem Tod im Jahr 2003 in fast tausend Episoden Knirpsen nicht nur die Wunder von Kunst und Technik erklärt hat, sondern das Leben
selbst in all seinen Facetten. Die Liebenswürdigkeit und Nächstenliebe, die einem dabei entgegenwehen – das ist nämlich eine Urkraft, ein Naturereignis, kaum zu glauben, fast nicht zu fassen.
Schon gar nicht für einen wie den zerknirscht-zynischen New Yorker Investigativreporter Lloyd Vogel (Matthew Rhys). Der ist gerade Vater geworden, tut sich aber schwer, eine gesunde Beziehung zu
seinem Spross aufzubauen, weil er immer noch viel zu sehr von seinen «daddy issues», dem zerrütteten Verhältnis zu seinem eigenen Vater (Chris Cooper), aufgerieben wird. Und jetzt also soll
dieser mit spitzer Feder operierende emotionale Krüppel, mit dem die Leute nur so lange gerne reden, bis sie gelesen haben, was er über sie geschrieben hat, nach Pittsburgh fahren und eine
Lobhudelei über Mister Rogers fabrizieren: für eine Ausgabe über inspirierende Helden, die das «Esquire»-Magazin plant.
Eine wunderbare Balance
Noch schneller gar, als Lloyd vollkommen von Fred Rogers eingenommen sein wird – «er ist der netteste Mensch, den ich je getroffen habe» –, sind freilich wir im Bann von Tom Hanks. Aber was soll
da auch schon gross schiefgehen, wenn der populärste Kinoschauspieler der Neuzeit eine solch universell geliebte Ikone spielt? Rein gar nichts, wie Marielle Heller in ihrem Drittling beweist, der
auf dem «Esquire»-Artikel von Tom Junod aus dem Jahr 1998 basiert. Die 40-jährige Kalifornierin erfreut sich derzeit ja selbst einer nicht gerade geringen Beliebtheit – zumindest beim
Kritikervolk, das die beiden Vorgänger «Diary of a Teenage Girl» und «Can You Ever Forgive Me?» über den grünen Klee gelobt und knapp vorbei am Publikumsgeschmack abgefeiert hat. Auch «A
Beautiful Day in the Neighborhood» hat nun wieder ordentliche Begeisterungsstürme ausgelöst; dies indes durchaus mit Recht, wobei das jetzt nicht ganz zuvörderst an Hellers liegt. Zwar gestattet
sie sich in ihrer sonst sehr traditionellen und wenig spektakulären Inszenierung den einen oder anderen Spleen; aber das sind – abgesehen vom cleveren narrativen Kniff, Mister Rogers als
Moderator von Lloyds Geschichte einzusetzen – eben gerade nicht die besten Momente des Films. Hellers Talent ist es vielmehr, so wie Mister Rogers den Ton zu treffen, die Balance zu wahren:
zwischen einer Leichtigkeit, die mit einem feinen Humor unterfüttert ist, und einer Ernsthaftigkeit, die einen auf gescheite Gedanken bringt. Und auch wenn ihre soft gemächliche Inszenierung
bisweilen vom Herzlichen ins Herzige, vom Rührenden ins Rührige, vom Gefühlvollen ins Gefühlige kippt – ins Herzschmerzliche, Rührselige, Gefühlsduselige taucht sie nie je ab.
Der beste Hanks aller Zeiten
Dass Heller das so gut hinkriegt, ist aber natürlich auch, ja nicht zuletzt dem unfehlbaren Instinkt von Tom Hanks geschuldet. Da ist zwar ein Chris Cooper als unsteter entfremdeter Vater von
Lloyd; da ist eine Susan Kelechi Watson aus «This Is Us» als Gattin mit präzisem moralischem Kompass; und sowieso ist da ein Matthew Rhys aus «The Americans», der in der Rolle des alles in sich
hineinfressenden Skeptikers fraglos formidabel besetzt ist. Doch wiewohl er nur für den Nebendarsteller-Oscar nominiert war, ist das ohne Wenn und Aber und von A bis Z der Film von Hanks (der
übrigens ungelogen ein Vetter sechsten Grades von Fred Rogers ist). Und immer wenn er nicht da ist, schwindet denn auch das Interesse – zumal Lloyd weder eine allzu spannende noch speziell
sympathische Figur ist. Dies in maximalem Gegensatz zu diesem unendlich geduldigen und hoch aufmerksamen Menschenfreund in den bunten Strickjacken, der Trauer und Wut, Härte und Kälte mit Wärme
und Weisheit begegnet und der sich wirklich, wahrhaftig und aufrichtig interessiert für all die Menschen, die seinen Weg kreuzen. Wer dieser Fred Rogers eigentlich war und wie er tickte, das
allerdings versucht Heller gar nicht erst zu ergründen. Es ist das aber ebenso wenig ein Manko wie die totale Vorhersehbarkeit des Plots: Wo das alles hinführen wird, ist von Anfang an
sonnenklar. Und wie der Weg dorthin aussehen wird, ist ebenso offensichtlich. Der Raum für Überraschungen ist mithin so begrenzt wie der auf dem puppenhaushaften Set von Mister Rogers. Was
derweil immer wieder aufs Neue erstaunt – uns in gleichsam kindliches, ungläubiges Staunen versetzt –, ist diese unerschütterliche Gutmütigkeit, diese unerreichte Menschlichkeit. Und dass uns das
derart aus der Bahn wirft, mag in harten und verhärteten Zeiten wie diesen ja verständlich sein; trotzdem ist das einfach nur traurig.