von Sandro Danilo Spadini
Im Irdischen mag sich das Gute bisweilen dem Bösen beugen müssen; doch in der Ewigkeit werden die göttlichen Wunder die teuflischen Werke überdauern. So jedenfalls scheint es der grosse
Kinomystiker Terrence Malick zu sehen, wenn wir denn das Bild, das er an den Schluss seines neuen Films gestellt hat, richtig deuten. Ein mächtiges, ein prächtiges Bild ist das. Ein stolzer Berg,
der majestätisch wie ehedem trotzig noch immer dort thront, wo er seit je war. Ein stilles Bild auch, ehe dann im Abspann die Vögel wieder leise zu zwitschern beginnen, so wie sie das schon drei
Stunden davor, am Anfang von
«A Hidden Life»,
getan haben, als die Welt gerade noch in Ordnung war hier heroben im steirischen St. Radegund, einem reinen, vollkommenen Idyll, das sich am besten erfassen lässt mit: friedlich. Doch der Friede,
er ist auch in dieser urwüchsigen Abgeschiedenheit brüchig in Zeiten wie diesen, im Frühjahr 1939. Der Krieg und die Politik, die Gräuel und das Geschrei – eben schienen sie noch weit weg, von
einer anderen Welt, nicht von hier, wo sie kurz innehalten, wenn die Kirchenglocken läuten, wo sie tanzen und Blumen pflücken, die Männer flachsen, die Kinder tollen und die Frauen schöne Lieder
singen. Doch dann, als die in typischer Malick-Manier sanft über eine schwarze Leinwand brütende Erzählstimme kurz verstummt, ein Schwenk. Der Bruch. Die Überblendung in den blanken Horror, zu
Hitler, in Bild und Ton. Herber könnte ein Kontrast nicht sein. Und deutlicher der Vorbote nicht für den Widerstreit, der bald in das Leben auch in St. Radegund hereinbricht: Gut gegen Böse. Gott
gegen Teufel.
Ein neuer Zugang
Herb und deutlich sind ja gerade die letzten Wörter, die dazu angetan ist, die Werke des Terrence Malick zu umschreiben, der hier im nächsten Augenblick zu einem heiligen Naturschauspiel samt
traumhafter Streicheruntermalung von James Newton Howard überleitet und mithin auf vertrautes Terrain zurückkehrt. Sicher seit dem atemberaubenden «The Tree of Life» und einem guten Jahrzehnt
also hat sich der so sagenumwobene wie geheimnisumwitterte Texaner recht eigentlich von den Konventionen des Erzählkinos verabschiedet und sich dem Aussenden mystischer Botschaften in einem
sphärisch-spirituellen, elegisch-hypnotischen, poetisch-pastoralen, gleichsam transzendenten Erfahrungskino verschrieben; hat er faktisch die Grenzen des Mediums überstiegen und ist den
Sehgewohnheiten so weit entrückt, bis er frei und funkelnd in seinem eigenen Kosmos schwebte und seine cineastischen Meditationen mit barer Verstandeskraft nicht mehr zu fassen waren. Und so ist
es nachgerade unverschämt zugänglich, wenn Malick im Off seinen Helden Franz Jägerstätter (August Diehl) nicht wie seine Vorgänger ins Universum sinnieren, sondern ganz konkret in Briefen mit
seiner Frau Fani (Valerie Pachner) kommunizieren lässt.
Fragen – und Antworten
Der tiefgläubige österreichische Bergbauer ist einer jener Helden des Zweiten Weltkriegs, deren «verstecktes Leben» niemand besungen hat. Aber ihm nun, seiner Widerstandskraft und seiner
Beharrlichkeit in Zeiten pechschwarzer Düsternis, seinem unbändigen Willen, das Gute zu achten und dem Bösen zu wehren, komponiert Malick hier eine bewegende und berauschende Ode. «Was ist mit
unserem Land geschehen, dem Land, das wir lieben?», schreibt Franz einmal fassungslos an Fani. Doch es sind auch in «A Hidden Life» wieder noch grössere, die letzten Fragen, die Malick umtreiben.
Wie immer geht es um alles: Gott natürlich. Die Welt. Und alles dazwischen. Aber anders als auch schon begnügt sich der mittlerweile 76-Jährige hier nicht damit, diese Fragen nur zu stellen; er
will diesmal auch Antworten geben, wenn er die Wunder der Natur, des Lebens, der Liebe, denen er mit der bald stoisch statischen, bald auf Hüfthöhe hinter Glücklichen hinterhertänzelnden Kamera
abermals bildgewaltig huldigt, mit dem ultimativen Schrecken, dem Grauen, dem Tod kollidieren lässt; wenn sie nicht mehr tanzen und singen und das, was eben noch leicht und lieblich schien, nun
beschwerlich und bedrohlich wirkt; wenn das immer wieder zwischen Auf- und Abblenden zu hörende Kirchengeläut plötzlich ominös klingt; wenn sich der Wahnsinn auch in St. Radegund Bahn bricht und
aus den braven Bauern stolze Nazis geworden sind, deren Herzen für Hitler brennen und die die zu Parias abgestempelten Jägerstätters keifend des «Verrats an der deutschen Sache» zeihen; wenn der
Bürgermeister (Karl Markovics) Parolen dreschend ums Feuer hüpft; wenn das Böse aufkeimt, sich ausbreitet und endlich normal wird und also der Teufel unter den Augen untätiger Gottesmänner sein
Werk vollendet hat. Und wenn sich Franz Jägerstätter weiterhin gegen all die finstere Irrnis stemmt, den feigen Mitläufern ein «Pfui Hitler» entgegenschmettert, den Dorfpfarrer (Tobias Moretti)
beschwört, den Bischof (Michael Nyqvist) behelligt, nach dem Einzug den Treueeid auf Hitler verweigert, ins Untersuchungsgefängnis Berlin-Tegel kommt, den Richter (Bruno Ganz) zum Reflektieren
zwingt, hartnäckig den inneren Kampf ausficht, das Licht, das ewige Licht sucht, den Allmächtigen um Kraft bittet, um Orientierung fleht in dieser fremd gewordenen Welt – und bei alledem stets
seine Überzeugungen verteidigt, sich seine Menschlichkeit bewahrt und immerdar seinem Gewissen und Gott gehorcht.
Eine scharfe Mahnung
Auch in seiner Kritik an der Kirche, die zumindest ein Auge auch auf die Gefahren der Gegenwart lenkt, wird Malick hier uncharakteristisch deutlich und konkret. Sie ist selbst dann noch
allgegenwärtig, wenn der Film im Schildern von Jägerstätters Martyrium allmählich wieder ins mehr Meditative abdriftet. Denn auch jetzt ist es nicht Gott, an dem der Widerspenstige zweifelt und
schliesslich verzweifelt; sondern dessen selbst erklärte Vertreter auf Erden, deren heuchlerische Worte Jägerstätter nie mit jenem des Schöpfers verwechselt. Und deren Komplizenschaft, deren
Kollaboration mit den gottlosesten Verbrechern der Menschheitsgeschichte unverzeihlich bleibt. «Einem guten Mann kann nichts Böses widerfahren», glaubt seine Fani da immer noch. Sie wird irren.
Und wie sie leider irren wird. Denn das Böse hat jetzt mächtige Verbündete und wird diesmal obsiegen. Und am Schluss, wenn der Scharfrichter gekommen ist und auch die Kamera nicht mehr tanzt und
in Ehrfurcht erstarrt, da läuten sie dann wieder, die Kirchenglocken. Es ist ein schwacher Trost. Und eine scharfe Mahnung: Gott ist nicht in der Kirche daheim. Er wohnt dem Wind inne, der durch
das Gras rauscht. Dem Bach, der durch den Wald plätschert. Den Bergen, die über St. Radegund wachen. Und der braven Seele des Franz Jägerstätter.