Im Rausch der Untiefe

Der deutsche Hochstapler-Film «Betonrausch» aus dem Hause Netflix schürft fleissig bei Hollywood-Vorbildern, fördert dabei aber nur Klischees und Plattitüden zutage und gerinnt so zum ausgelutschten Abklatsch.

 Netflix

von Sandro Danilo Spadini

«Sicherheit, Kontinuität und Vertrauen», versprechen Viktor (David Kross) und sein Partner Gerry (Frederick Lau) in ihrem Werbespot. «Korruption, Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Sozialhilfebetrug», protokolliert in der Szene darauf die Reporterin (Anne Schäfer), die Viktor im Knast interviewt. Sein und Schein – dazwischen klafft also auch in dieser Saga von Aufstieg und Fall eine kratergrosse Lücke; und zugekleistert wird das so aufgerissene moralische Vakuum in der Bauherrenszene im Berlin von heute wie eh und je und anderswo halt mit Sexpartys und Drogenexzessen. Da unterscheiden sich das lausbubige Milchgesicht Viktor und der draufgängerische Paradiesvogel Gerry nun wirklich nicht von amerikanischen Amoralisten à la Gordon Gekko oder Jordan Belfort. Und weil sie in den bündigen 95 Minuten von «Betonrausch» sehr oft die Sau rauslassen und die Regie von Cüneyt Kaya («Verpiss dich, Schneewittchen») bei diesem bunten Treiben in Puff, Büro und Villa gerne auch mal mittendrin statt nur dabei ist, bleibt eben nicht viel Zeit für anderes – für das eigentlich Wesentliche und Wichtige, das sich der zweite Netflix-Film aus deutschen Landen zunächst so verdienstvollerweise anschickt zu erörtern: die Mühen etwa, in einer Stadt wie Berlin bezahlbaren Wohnraum zu finden; die dubiosen Mechanismen im Immobiliensektor; was Menschen aus Gier anderen und sich selbst anzutun bereit sind; und überhaupt die Machenschaften des modernen Kapitalismus. Doch je mehr sich Viktor und Gerry um Hirn und Herz koksen und um Kopf und Kragen schnackseln, desto mehr verliert auch der Film den Fokus auf sein Thema, das ihm doch zum Unterscheidungsmerkmal gereichen könnte.

Alles schon besser gesehen

Es ist ja nichts Ungrades dabei, wenn sich ein junger deutscher Filmer an überlebensgrossen Hollywood-Vorbildern orientiert: wenn er etwa deren Geschichten auf die eigene Umgebung ummünzt, sich diese oder jene Raffinesse abguckt oder auch mal einen charakteristischen Tick borgt. Unfein wird es erst, wenn ein komplettes Subgenre gleich en bloc verwurstet wird – wenn man sich also mit Versatzstücken von «Wall Street» über «Catch Me if You Can» bis «The Big Short», «Gold», «War Dogs» und natürlich «The Wolf of Wall Street» seinen eigenen Hochstapler-Streifen zusammenschustert. Das geht dann auf Kosten der Identität und löst beim Publikum bei nahezu jeder Szene dieses Gefühl aus, das doch schon woanders einmal – besser – gesehen zu haben. Bei «Betonrausch» trifft das einmal sogar praktisch buchstäblich zu: ein dekadentes Remmidemmi unter freiem Himmel in Zeitlupe zu filmen und mit «Le goudron» der Synthpop-Band Yacht zu unterlegen – das hat Paolo Sorrentino in der Berlusconi-Bio «Loro» unlängst ganz genau gleich gemacht. So was geht einfach nicht. Und ebenso wenig geht es an, eine derart unlogische Figur wie die Bankerin Nicole (Janina Uhse) zu zeichnen, die Dritte im betrügerischen Bunde, die sich in einem Kameraschwenk von der Eisprinzessin mit Monster-IQ zum dümmlichen Hausfrauchen wandelt, das sich keinen Deut mehr um den ehedem so zentralen Mammon schert. Mit Hauruckübungen wie diesen verscherzt es sich Kaya am Ende noch vollends. Und das ist einigermassen schade.

Schlicht und mutlos

Denn im Grunde hat sein Film durchaus einiges für sich: Hohe Schauwerte sind ihm nicht abzusprechen; inszeniert ist das flott und professionell; neben mancher Albernheit gibt es auch einiges Witziges inklusive dreier herrlicher Fussball-Gags; und die Darstellerriege, zu der sich noch Detlev Buck als Bankdirektor und Sophia Thomalla als Prostituierte gesellen, macht fraglos einen tipptoppen Job. Möglich, dass dem gar kurzen Film die eine oder andere Extraminute gutgetan hätte – dass er mit ein paar zusätzlichen Szenen den Klischee-und-Plattitüden-Quotienten hätte drücken können und nicht zur oberflächlichen, ungestüm-gehetzten Nummernrevue geronnen wäre. Oder auch nicht, zumal Kaya selbst dann nichts einfällt, wenn er sich mal Zeit lässt – in den quasi nüchternen Momenten, wenn er in Rückblenden zeigt, wie der heutige Hochstapler Victor schon als Kind gelernt hat, dass ehrlich im Raubtierkapitalismus eben nicht am längsten währt, oder wenn er sich am Schluss mit dem zum unmoralischen Unsympathen degenerierten Helden noch recht unmotiviert zu einem Höflichkeitstrip ins Rührselige aufmacht. Auch da macht es sich Kaya zu einfach. Und es passt so überhaupt nicht zu dieser Satire, die sich frech und kultig gibt und am Ende doch nur eines ist: ein ausgelutschter Abklatsch mit schalem Schampus und gestrecktem Koks – ein Rausch in Untiefen, der nicht mal einen Kater verursacht, weil er gar nicht erst einfährt.