von Sandro Danilo Spadini
Das ist jetzt mal was anderes: dass sich der Regisseur vor Filmbeginn auf der Leinwand ans Publikum wendet, ihm viel Vergnügen wünscht und es schliesslich höflich ersucht, man möge die Auflösung
des gleich Gezeigten dann doch bitte für sich behalten. So was lässt in Kinozeiten wie diesen natürlich aufhorchen. Kann es sein, dass uns hier jemand tatsächlich so einen richtig schön
altmodischen Rätselkrimi zu kredenzen gedenkt? Einen Whodunit also in Manier von Agatha Christie, wo die Handlung nicht nur lästiges dekoratives Beiwerk beim Spektakelabfackeln ist? Kann nicht
nur sein, sondern ist sogar so. Und weil dieser jemand Rian Johnson ist und mithin jener Mann, der einst mit seinem Erstling «Brick» auch schon den Film noir hat neu aufleben lassen, darf erst
recht mit etwas Rechtem gerechnet werden. – wiewohl Johnson später dann, vor zwei Jahren, um genau zu sein, auch mal einen «Star Wars»-Film geschrieben und inszeniert hat. Das sei ihm hiermit
jedenfalls verziehen. Denn dass sich einer von seiner Preisklasse nicht zu fein ist, ein vermeintlich solch profanes Ding wie
«Knives Out» zu drehen, ist schon eine ziemlich coole Sache. Und eine überaus erfreuliche, erweist sich dieser
Ensemblekrimi doch als genau das, was man sich in seligem Gedenken an Miss Marple und Hercule Poirot zusammengereimt hat: als ein Mordsspass.
Daniel Craig! Don Johnson!
Es ist also einer um die Ecke gebracht worden. Ein alter Patriarch (Christopher Plummer) auf einem stattlichen Anwesen. Kennen wir, lieben wir. Als Mörder infrage kommt eigentlich seine gesamte
Mischpoke; jeder und jede hatte eine Motiv, weil der Alte am Abend zuvor Tacheles geredet und Tabula rasa gemacht hat und weil niemand aus dieser mässig feinen Gesellschaft einen lupenreinen
Charakter hat. Kennen wir auch, lieben wir auch. Und weil man ob dieser Menge an Verdächtigen leicht die Orientierung in dieser verzwickten Geschichte verlieren könnte, ermittelt nicht nur die
örtliche Polizei in New England, sondern auch noch ein extern und von unbekannt angeheuerter Privatdetektiv. Und das kennen wir selbstredend sowieso, und lieben tun wir es sehr – und umso mehr,
als dieser «letzte Gentleman-Spürhund», wie er genannt wird, dieser «stille Beobachter der Wahrheit», wie er sich selbst bezeichnet, von einem Daniel Craig in Paradeform und mit ulkigem
Kentucky-Akzent gespielt wird. Benoit Blanc heisst dieser Geselle, und er ist absolut nicht geeignet, uns als Anker der Normalität in diesem Kauzennest, als solider Kompass in diesem Irrgarten zu
dienen. Diese (Schlüssel-)Rolle kommt der Haushaltshilfe Marta (Ana de Armas) zu, die dem Alten nicht nur Assistentin, sondern auch Vertraute war. Und die deshalb «Teil der Familie» ist, wie es
heisst. «Ein gutes Mädchen. Fleissig. Ihre Familie kommt aus Ecuador.» Oder aus Paraguay. Oder Uruguay. Oder Brasilien. So genau weiss man das dann doch nicht. Aber mit Fakten nehmen es diese
Leute ohnehin nicht so genau. Und entsprechend erweisen sie sich allesamt als unzuverlässige Erzähler, wenn sie der Reihe nach von Blanc interviewt werden und ihre selektive Sicht der
Geschehnisse in Rückblenden präsentiert wird. Der Wahrheit bringt uns das folglich nicht näher, aber immerhin gewinnen wir so mit Blanc einen Überblick über die Player in diesem Spiel. So
erfahren wir, dass Tochter Linda (Jamie Lee Curtis) wohl fleissig und fähig ist, aber auch kalt wie eine Hundeschnauze und mit einem ziemlichen Knilch von einem Gatten (gut wie nie: Don Johnson)
geschlagen ist. Oder dass Sohn Walt (Michael Shannon) als CEO des Verlagsimperiums seines Krimi schreibenden Papas eine gewaltige Niete ist. Oder dass Schwiegertochter Joni (Toni Collette) kaum
was zuwege bringt als Lifestyle-Guru und Influencerin. Und nicht zuletzt, dass Enkel Hugh (Chris Evans) ein ausgemachter Kotzbrocken ist und zu Recht vom Rest der Familie verachtet wird.
Der entscheidende Extra-Faktor
Eine skurrile Bande ist das – und von der scheinbar so liberalen Enkelin Meg (Katherine Langford aus «13 Reasons Why») und ihrem creepigen handysüchtigen Alt-Right-Cousin Jacob (Jaeden Martell)
haben wir jetzt gar noch nicht gesprochen. Sollten wir aber vielleicht ganz kurz, zumal gerade auch an diesen beiden Nebenfiguren erkennbar wird, dass Johnson, der auch hier wiederum das Drehbuch
verfasst hat, letztendlich dann doch ein bisschen mehr auftischen möchte als einen kommunen Krimi. Nicht dass die Verweise auf das aktuelle Zeitgeschehen – etwa eine Familiendiskussion über Trump
oder der darin und auch andernorts verhandelte gesellschaftliche Status von Migranten wie Marta – allzu sehr ablenken würden vom Rätselraten. Aber sie verleihen dem Film eine gewisse
Zweideutigkeit, einen doppelten Boden sozusagen. Bei einer Laufzeit von üppigen 130 Minuten kann das sicher nicht schaden. Und dem Prestige ist das fraglos auch nicht abträglich, wie die drei
Golden-Globe-Nominierungen als Beste Komödie, für Craig und de Armas bestätigt haben. Vor allem aber bereichert diese Extradimension den Film um diesen einen entscheidenden Faktor, ohne den das
zwar eine ungeheuer unterhaltsame, letztlich aber doch lässliche Kinogaudi gewesen wäre: den Faktor Herz. Da mag der Wortwitz noch so herrliche Funken, die Handlung noch so clevere Volten, die
Kinonostalgie noch so grandiose Wellen schlagen: Hätte Johnson das nur als eitle Stilübung verstanden und es bei einem pfiffigen Plot und holzschnittartigen Figuren belassen, wäre uns das bei
aller Liebe für das Althergebrachte am Ende wohl doch ein wenig gestrig vorgekommen. Aber dass Rian Johnson einer ist, der über den Popcornbecherrand hinausdenkt – das kennen wir ja. Und das
lieben wir an ihm.