Von Sandro Danilo Spadini
Grosse Worte sind es, die Assistentin Rose-Marie (Sara Giraudeau) da schwingt, als sie die neun eher unüblichen Verdächtigen in der Krimigaudi
«Les traducteurs» durch deren neue temporäre
Wirkungsstätte führt: Eine Premiere sei das, ein Geniestreich von Verleger Eric Angstrom (Lambert Wilson), ein politisches Statement gar. Und tatsächlich ist der ganze sprachliche Bombast kaum
verkehrt, wird doch über das Phänomen, um das es hier im Herzen geht, längst nur noch in Superlativen gesprochen: Eine Milliarde Dollar haben die ersten zwei Volumen der «Dedalus»-Trilogie des
anonymen Autors Oscar Brach eingebracht; an den Unis gibts längst Studien dazu; und übersetzt wurde das Werk sowieso in sämtliche Sprachen der Welt. Exakt dafür sind nun wieder unsere
heldenhaften neun zuständig, die auf den französischen Landsitz eines paranoiden russischen Bonzen bestellt wurden. In einem hermetisch abgedichteten Bunker im Untergrund sollen sie – Premiere!
Geniestreich! Politisches Statement! – simultan den 480-seitigen letzten Teil des Weltbestsellers in ihre Sprache überführen: für eine gleichzeitige weltweite Veröffentlichung. «Die Aufgabe, die
Ihnen obliegt, ist hart, aber von hohem Prestigewert», sagt die brave Rose-Marie noch und hat definitiv doppelt recht: Das mit dem Ruhm und der Ehre versteht sich eh von selbst; und hart? Davon
machen sich die neun kleinen Übersetzerlein ja gar keine Vorstellung! An Annehmlichkeiten mangelt es zwar nicht – Swimmingpool, Privatkino, Gourmetkoch: alles da. Doch die
Sicherheitsvorkehrungen, unter denen sie ihr Tagwerk (von 9 bis 20 Uhr; 20 Seiten Soll) verrichten müssen, sind horrend, bisweilen bizarr. Und Verleger Angstrom ist ein wüster Sadist, was sich
dann noch übel akzentuiert, als allen stiernackigen Security-Russen und James-Bond-mässiger Hightech zum Trotz die ersten Seiten des Manuskripts im Internet landen und dem geschniegelten Schuft
eine multimillionenschwere Erpressungsforderung aufs Handy flattert – potenziell, tendenziell aus den Reihen der literarischen Hinterbänkler.
Raus aus dem Bunker
Da hat das Team hinter dem Schwank «Populaire» (2012) – Regisseur Régis Roinsard und seine Co-Schreiber Romain Compingt und Daniel Presley – also was Hübsches ausgeheckt: eine kammerspielhafte
Schnitzeljagd à la Agatha Christie. Oder um es eingedenk des Literaturbezugs etwas zeitgenössischer zu vergleichen: im Stile des Oscar-nominierten Rätselkrimis «Knives Out». Wobei es das mit dem
Kammerspiel sogleich zu relativieren gilt: Mittels Vor- und Rückblenden werden wir nämlich auch immer wieder rausgeführt aus dem Bunker – in einen Knast, wo Angstrom sein Waterloo erklärt haben
will, oder auf die Strassen von Paris, wo es ein bisschen zugeht wie bei «Ocean’s Eleven». Und weil hierbei vermeintliche Gewissheiten stetig schneller infrage und endlich auf den Kopf gestellt
werden, schleicht sich da mit «The Usual Suspects» noch ein weiterer Hollywood-Klassiker ins Kinogedächtnis. Dass einem ob all der Twists und Volten nicht blümerant wird, ist derweil der
umsichtigen, wiewohl spektakelfreien Regie zu verdanken – und einer ausbaufähigen Cleverness geschuldet. So ist einiges zwar erwartungsgemäss anders, als es scheint; manches indes entpuppt sich
als haargenau das, was ein induktiver Mini-Effort zutage gefördert hat.
Alles halb so wild
Eine Extraprise Finesse hätte «Les traducteurs» mithin gut vertragen. Immerhin aber tappt Roinsards Zweitling nicht allzu tölpelhaft in die Klischeefalle, die bei den notgedrungen eher
funktionalen Figuren via geografische Unterscheidungsmerkmale sperrangelweit offen stünde. Da hätten wir: die fatale Russin (Olga Kurylenko), den kecken Briten (Alex Lawther), den pragmatischen
Chinesen (Chen Yao), die verzagte Dänin (Sidse Babett Knudsen), die patente Deutsche (Anna Maria Sturm), den marxistischen Griechen (Manolis Mavromatakis), den weinerlichen Spanier (Eduardo
Noriega), die punkige Portugiesin (Maria Leite) und den eitlen Italiener (Riccardo Scamarcio – wer sonst?). Okay, auf dem einen oder anderen nationalen Stereotyp wird da schon rumgeritten, aber
eben dosiert. Ohnehin ist das kein Film der Extreme, mehr das Äquivalent zum Taschenbuchkrimi vom Flughafenkiosk: So wird zwar mit dem Hintergründigen geflirtet, wenn der Krieg zwischen Kunst und
Kommerz zelebriert wird, das aber ohne spassbremsend tief zu schürfen; und dem gehörnten Verleger kann man sich auch nicht so recht anschliessen, wenn er von seinem zunächst gesichtslosen
Gegenüber fordert: «Ich muss wissen, wie du das gemacht hast.» Denn bei aller launigen Kurzweil: Ganz so dringend und zwingend müssen wir das dann auch wieder nicht wissen.