Der Preis des Goldes

David Fincher erzählt in «Mank» die Geschichte hinter dem besten Film aller Zeiten und schafft dabei seinerseits ein Meisterwerk von berückender monochromer Schönheit.

   Netflix

Von Sandro Danilo Spadini


Ist das nun schon ein Trend? Oder ist es doch noch verfrüht, flott zu postulieren, dass sich Hollywoods Granden immer dann in den Zenit filmen, wenn sie zur historischen Nabelschau ansetzen und sich dessen annehmen, was sie am besten kennen: der Traumfabrik selbst. Vielleicht wird ja «The Big Goodbye» eine schlüssige Antwort darauf liefern, der noch im Planungsstadium befindliche Film von Ben Affleck über die Dreharbeiten zu Roman Polanskis «Chinatown». Einstweilen indes nähren erst zwei aktuelle Streifen diesen fraglos ziemlich spekulativen Verdacht; die dafür liefern umso schlagendere Argumente. Da war also zum einen Quentin Tarantino, der im Vorjahr mit «Once Upon a Time in... Hollywood» den Übergang vom alten zum New Hollywood in hippiebunte Traumbilder fasste und dabei sein definitives, sein ultimatives Meisterwerk erschuf; und da ist nun David Fincher, der in «Mank» im Stil der erzählten Zeit der Entstehungsgeschichte von Orson Welles’ «Citizen Kane» nachgeht und mit diesem monochromen Trip in die Goldene Ära Hollywoods der Dreissiger- und Vierzigerjahre jenes Magnum Opus erschafft, das ihm endlich den Regie-Oscar einbringen müsste (was eingedenk der ihresgleichen suchenden dusseligen Ignoranz der Academy – siehe Tarantino – dann aber doch alles andere als sicher ist). Es sind das mithin jene beiden Regiegiganten, die «Pulp Fiction» und «Se7en», «Kill Bill» und «The Social Network», «Django Unchained» und «Gone Girl» in die verzückte Filmwelt gezaubert haben – aber beide waren sie nie besser als da, wo sie sich auf nostalgische Spurensuche begaben und einer Zeit nachtrauerten, als Hollywood noch gross, als Hollywood überlebensgross war. Dass Fincher dies für den Streamingservice Netflix tut, ist da eine unendlich viel und nur Ungünstiges über das Kino von heute aussagende und beinahe zynisch pikante Pointe.

Ghostwriter und Wunderkind

Apropos Zynismus: Davon hat der einstige Theaterkritiker und nunmehrige Drehbuchfixer Herman J. Mankiewicz (Gary Oldman) mindestens so viel getankt wie vom Schnaps aus dem ihn überallhin begleitenden Flachmann. Mank, wie sie ihn alle seit je nennen, hat nun, wir schreiben das Jahr 1940, gleichwohl den Auftrag seines Lebens gefasst: Für das gerade mal 24-jährige, von seinem Studio mit kompletter kreativer Kontrolle ausgestattete Wunderkind Orson Welles (Tom Burke) soll er das Drehbuch zu einem Film namens «Citizen Kane» verfassen. Zu diesem Zwecke und nicht zuletzt zur Ausnüchterung wird der nach einem Autounfall bettlägerige Mank, begleitet von einer deutschen Krankenschwester (Monika Gossmann) und einer englischen Schreibhilfe (Lily Collins), in die südkalifornische Mojave-Wüste verfrachtet; in der Isolation hat das hochangesehene, wiewohl noch unbesungene Schreibgenie jetzt 60 Tage Zeit, um für Welles – als Ghostwriter notabene – jenes Skript fertigzustellen, das zur Basis für den nach einhelliger Lehrmeinung besten Film aller Zeiten werden sollte. Es ist nun aber nicht so sehr der künstlerische Schaffungsprozess, der David Fincher dabei zuvörderst kümmern würde, Gott sei Dank. Und es ist auch nicht eine forensische Entstehungsgeschichte, die er vor uns aufblättern möchte; wie alle grossen Künstler erlaubt sich nämlich auch Fincher – der hier mit 20 Jahren Verspätung und ohne die einst eingeplanten Kevin Spacey und Jodie Foster ein mit glänzenden Dialogen und brillanten Ideen gespicktes Skript seines 2003 verstorbenen Vaters Jack verfilmt – in «Mank» die eine oder andere ausschmückende Freiheit. Nein, es geht ihm, wie jüngst Tarantino, um mehr: um ein zeitgenössisches Sittenbild der seelenfressenden Filmindustrie, um das Dubiose und Diffuse dieser Scheinwelt, um die Machenschaften und Merkwürdigkeiten in diesem Paralleluniversum, um die Geheimnisse und Gegebenheiten des «Golden Age» und also darum, wie dieses filmische Gold geschürft wurde, wie hoch der Preis dafür war und wer ihn bezahlt hat. Und wie Tarantino marschiert er dabei nicht stramm von A nach B, sondern schlängelt sich und torkelt und hangelt sich und tänzelt er traumwandlerisch und scheinbar ziellos durch eine Szenerie, die er und «Gone Girl»-Kameramann Erik Messerschmidt in Bilder von solch ausnehmender Schwarzweissschönheit kleiden, dass es einem die Kinnlade ausrenkt und den Atem verschlägt, dass die Augen funkeln und die Cineastenseele jauchzt.

Eine verletzte Seele

Den Kollegen Tarantino hat sich Fincher dafür freilich eher nicht zum Vorbild genommen. Vielmehr orientiert er sich mit den bis ins Jahr 1930 zurückreichenden Rückblenden an der Struktur des Untersuchungsobjekts; und wie manche hier über Manks Drehbuch zu «Citizen Kane» mosern, es verlange mit seiner ringförmigen Narration zu viel vom Publikum ab, so wird es auch bei Finchers durchaus kopflastigem Film einige geben, die sich überfordert fühlen dürften: von der schieren Faktenfülle und all den Namen, die hier bedeutungsschwer herumgereicht werden – aber auch von den ganzen prominenten Damen und Herren, mit denen Mank säuft und Zigarren pafft, zockt und sich zofft, diniert und über Politik sinniert. Sein als Regisseur alsbald zu Weltruhm avancierender Bruder Joseph (Tom Pelphrey) ist da, die Studiogrössen David O. Selznick (Toby Leonard Moore), Louis B. Mayer (Arliss Howard) und Irving G. Thalberg (Ferdinand Kingsley) und natürlich der Medienmogul William Randolph Hearst (Charles Dance), der Mank trotz mannigfacher Unhöflichkeiten und Ausfälligkeiten immer wieder gerne als immerhin intelligent lallenden Hofnarr auf sein monumentales Anwesen einlud und der diesem schliesslich als Blaupause für den steil aufsteigenden und tief abstürzenden Charles Foster Kane dienen sollte. Die Dynamik zwischen diesen beiden Protagonisten, die kalte Abscheu, die Mank für den seine einstigen Ideale verratenden Hearst empfindet, und nicht zuletzt die freundschaftliche Bande die er zu dessen proletarischer junger Gattin Marion (Amanda Seyfried) pflegt, sind es, die unserem sonst so weltabgewandten Helden ein menschliches Antlitz verleihen und ihn zu mehr machen als dem «kläglichsten Bastard auf Gottes grüner Erde». Es dauert zwar eine gute Weile; doch irgendwann ist es nicht mehr abzustreiten, dass unter der zynisch besoffenen, brillant harten Oberfläche eine verletzliche, verletzte Seele haust. Und dass Fincher hier nicht nur den Machtstrukturen des damaligen Hollywood und in einem überraschend üppigen wie ergiebigen Exkurs dessen korrupte Verbandelung mit der konservativen Politik auf den Grund gehen will; dass er also nicht nur kopfüber, Licht und Schatten, Schwarz und Weiss austarierend in diese so faszinierende, eben goldene Ära des Filmschaffens eintaucht, sondern mit gebührendem Ernst und ebenso angemessenem Humor auch in die Psyche eines ihrer hellsten Köpfe. Niemand erwarte Shakespeare, wird Mank hier einmal gesagt. Wie wir heute wissen, hat dieser Halunke am Ende freilich etwas kreiert, das geradeso gross ist. Und David Fincher hat ihm nun das längst überfällige Denkmal dafür errichtet.