Das Leben einer anderen

«Seberg» ist zwar ein zutiefst makelbehafteter Film, der unsicher zwischen Biografie und Politthriller navigiert. Er hat aber auch eine Menge für sich: allen voran eine faszinierende wahre Geschichte und eine fantastische Hauptdarstellerin.

   Frenetic

Von Sandro Danilo Spadini

«Wie kann ich helfen?», fragt der Filmstar Jean Seberg (Kristen Stewart) im Sommer 1968. Und es wäre jetzt ja doch recht interessant, gezeigt zu bekommen, was sie mit der in fast poetische Worte gehüllten Antwort anfängt, die ihr der Bürgerrechtsaktivist Hakim Jamal (Anthony Mackie) darauf gibt. Aber Regisseur Benedict Andrews schert sich in seinem Zweitling «Seberg» dann letzten Endes doch nicht so sehr um die politischen Ansichten und Ambitionen der jungen Frau, die acht Jahre zuvor in Jean-Luc Godards «À bout de souffle» zur Kultfigur der Nouvelle Vague avanciert war und nun wieder am Tor der Traumfabrik anklopft; abseits der publicityträchtig gereckten Faust im Kreise der Black Panthers, des gezückten Scheckbuchs und der für Fundraising und Philosophieren zur Verfügung gestellten Hollywood-Villa ist dazu nicht viel, jedenfalls nichts Tiefschürfendes in Erfahrung zu bringen. Was Andrews («Una») und das Drehbuchgespann Joe Shrapnel & Anna Waterhouse weit mehr an dieser faszinierenden wahren Geschichte kümmert, ist das, was Jean Seberg zerstört hat, was sie in die Verzweiflung, den paranoiden Wahnsinn und endlich den Freitod getrieben hat: die perfiden Taktiken, mit denen das FBI sie abgehört und überwacht, sie Fake News streuend medial angeschwärzt und ihren Ruf und ihre Karriere vernichtet hat.

Kristen Stewarts Gala

Diese üblen bundespolizeilichen Machenschaften, sie setzen auch dem FBI-Novizen Jack (Jack O’Connell) mit der Zeit zu. Dem Verhörspezialisten bleibt indes nichts anderes übrig, als sich zu fügen, kommt der Befehl zur (illegalen!) Überwachung und Verunglimpfung Sebergs doch von ganz oben: FBI-Chef J. Edgar Hoover höchstselbst ist es, der diese knapp 30-Jährige mit dem subversiven blonden Bubikopf für eine Bedrohung der politischen Ordnung hält. Und die Ekelpakete, mit denen Jack arbeitet (u.a. Vince Vaughn und Colm Meaney), sind da nicht so zimperlich und scheinen sogar eine gewisse sadistische Lust an ihrem vermeintlich vaterlandsschützenden gottlosen Tun zu verspüren. «Unser Job ist es, sie zu blamieren», sagt Jacks Boss denn auch einmal, was den jungen FBI-Mann vollends in die Sinnkrise stürzt. Doch so edelmütig dessen Zögern und Zaudern, Abwägen und Aufbegehren auch ist – es entpuppt sich recht bald einmal als Hauptgrund dafür, warum «Seberg» einfach nicht richtig funktionieren will. Denn wiewohl O’Connell diesem Jack ein Gesicht zu geben vermag und das Drehbuch ihm eine eigene Geschichte und in Person von Margaret Qualley («The Leftovers») eine Gattin zugesteht, die das Zeug zur nächsten Kristen Stewart hat: Man ist dann doch jeweils froh, wenn die Handlung zurück zur Titelfigur geht. Dies nicht nur, weil Kristen Stewart in dieser Rolle – wen wundert das noch? – einmal mehr grossartig ist, ja vielleicht so grossartig wie noch nie gar. Sondern einfach auch deshalb, weil die historisch verbürgten Geschehnisse um diese komplexe Kinopersönlichkeit ungleich spannender sind. «Ich möchte etwas bewirken», sagt diese gleich zu Beginn einmal mit Verweis auf das nach ihrem Geschmack viel zu seichte Skript zu einem, nun ja, Musicalwestern (den sie dann freilich an der Seite von Clint Eastwood und Lee Marvin trotzdem abspulen wird). Aber auch über die künstlerischen Aspirationen von Seberg, die einst von Otto Preminger unter 18'000 Bewerberinnen und grossem Trara für die Rolle der Jeanne d’Arc ausgewählt wurde, lässt sich der Film nicht sonderlich viel entlocken. Die Entscheidung, nur einen kleinen Ausschnitt aus diesem viel zu kurzen Leben zu zeigen – knapp zwei Jahre sind es schliesslich –, ist zwar zu akzeptieren und so verkehrt ja auch wieder nicht. Und doch bleibt so vieles hier unbefriedigende Andeutung, unergiebige Randnotiz: Die offene Ehe, die sie mit dem Schriftsteller Romain Gary (Yves Attal) in Paris führte; die Comebackpläne für Hollywood; die Emanzipation von ihrem Image als Unschuld vom mittelwestlichen Lande; ihr Rang als Stil- und Modeikone – all das wird zwar auch noch irgendwie reingepresst, aber noch schneller abgehakt als die jäh abgebrochene Politikübung mit der Bürgerrechtsbewegung oder das Ausschmücken der Nebenfiguren, die samt und sonders nicht über den Statistenstatus hinauswachsen. So wie sie unsicher zwischen Biografie und Politthriller navigieren, zeigt sich auch hierin, dass es sowohl der Regie als auch dem Skript an Fokus und Struktur mangelt.

Echo ins Jetzt

All diesen Makeln zum Trotz gibt es in «Seberg» aber auch eine Menge zu beklatschen und zu bewundern. Von den exklusiven Sets über das extraordinäre Dekor bis zu den exquisiten (Chanel-)Kostümen ist das ein Augenschmaus, der es mit den visuellen Beglückungen von «Mad Men» aufnehmen kann. Die Kameraarbeit von Oscar-Preisträgerin Rachel Morrison («Fruitvale Station», «Black Panther») hat die Geschmeidigkeit, die der Regie abgeht, und verleiht Seberg jene Tiefe, die ihr das Drehbuch verwehrt. Und was die schwarzen Aktivisten hier darlegen, proklamieren, predigen, deklamieren und hinausbrüllen, klingt allzu vertraut und viel zu jetzig: «Amerika ist im Krieg mit sich selbst», sagt Jamal etwa einmal, und man meint mit Recht, diesen Satz auch in diesen Tagen und Wochen immer wieder gehört zu haben. Gleichwohl ist das, was das beim Jesse-Owens-Drama «Race» bereits mit Rassenfragen beschäftigte Autorenduo an politischen Statements abgibt, letztlich zu oberflächlich, so wie der Film als Biografie zu kurz und als Thriller zu langsam ist. Was von ihm haften bleibt, ist dieser Abschiedsblick von Kristen Stewart und mit ihm ein Hauch von Tragik, eine Ahnung des Dramas, das das Leben der Jean Seberg war. Diese kehrte nach all dem Unrecht, das ihr angetan wurde, nie wieder nach Hollywood zurück. Von Drogen und Alkohol versehrt, beging sie 1979 in Paris mutmasslich Suizid. Sie wurde 40 Jahre alt.