von Sandro Danilo Spadini
Das ist ein Film, wo es nicht regnet, sondern schüttet. Wo es nicht windet, sondern stürmt. Wo es nicht knirscht, sondern kracht. Wo nicht geklopft, sondern gehämmert wird. Wo nicht gegangen,
sondern gestampft wird. Dafür wird lieber geschwiegen als geredet. Und wenn dann doch mal gesprochen wird, dann wird nur das Nötigste gegrummelt. In Hauptsätzen und ohne schmückende Adjektive.
Prosaisch und auf den Punkt. Das heisst: sofern man denn überhaupt versteht, was da gesagt wird und es nicht vom Tosen der Wellen und dem Pfeifen des Winds verwischt und verschwommen, verweht und
verschluckt wird. Das also ist die Sorte von Film, die Regisseur Francis Lee mit
«Ammonite» gedreht hat, einem in den 1840er-Jahren spielenden, im englischen Südwesten angesiedelten historischen Drama über die
fiktive lesbische Beziehung der Fossiliensammlerin Mary Anning (Kate Winslet) mit der schottischen Geologengattin Charlotte Murchison (Saoirse Ronan). Ein Streifen ganz auf der Höhe des
Zeitgeists ist das in seiner grimmigen Ödnis und schlichten Freudlosigkeit: laut, grob, ungeschlacht, lärmig, voller versehrter Seelen, die durch garstige Gefilde flattern. Ein Streifen also im
Stil etwa von Andrea Arnolds «Wuthering Heights» und so vieler anderer Historiendrama jüngeren Datums, die davon künden, dass früher alles harscher war; gedreht von ernsten Kunstschaffenden, die
eine Welt in Grau- und Brauntönen jenseits jeden Jane-Austen-Schnörkels entwerfen und mit emotionsloser Wucht auf die Leinwand dreschen. Bemerkenswert rigid und bewundernswert real sind diese
Werke jedes Mal; doch die Krux dabei ist auch stets dieselbe: Sie sind so kahl, karg und kühl, so reserviert, distanziert und kontrolliert, dass sie kaum zum Publikum durchdringen und an ihm
abzuprallen drohen.
Weitestgehend ereignislos
«Ammonite» ist dem stürmisch schroffen Exterieur zum Trotz mithin kein Film der grossen Gefühlsausbrüche, sondern der kleinen Gesten, der flüchtigen Blicke, der zarten Regungen, der sanften
Berührungen. Aber Lee, der vor vier Jahren mit dem gefeierten Schwulendrama «God’s Own Country» erste Spuren auf der Kinolandkarte hinterliess, treibt dieses Spiel in Zeitlupe geradezu auf die
Spitze; bisweilen braucht es schon ein Mikroskop oder die Achtsamkeit eines tibetischen Mönchs, um zu erfassen, wie sich die in sich gekehrte Mary und die aus der Melancholie ausbrechende
Charlotte allmählich annähern. Bis das so weit ist, bis zur ersten Ahnung eines romantischen Funkens, vergehen freilich gut drei Viertel Stunden weitestgehend ereignislos. Ja, wir erfahren, dass
Charlotte unfroh ist in ihrer Ehe und dass ihr Gatte (James McArdle) seine Kollegin Mary darum bittet, sich ihrer ein wenig anzunehmen. Und wir wissen da bereits, dass Mary in ihrem Berufsstand
zwar allseits geachtet wird, sich davon aber nichts kaufen kann und deshalb ihre Fossilien an Touristen verhökert, um sich und ihre vergrämte Mutter (Gemma Jones) über Wasser zu halten. Was wir
an deren vor Verzicht und Verbitterung wässrig und matt gewordenen Augen da ebenfalls bereits ablesen können: dass die Menschen hier ihr Leben nicht leben, sondern erdulden. Dass sie ihr Los und
die Unbilden ihres Daseins am falschen Ende der Welt zwar nicht klaglos, aber doch tatenlos hinnehmen: Was war, war. Was ist, ist. Was wird, wird. Und wenn dann doch einmal etwas geschieht, gegen
das man sich aufbäumen möchte, oder etwas nicht geschieht, das man erzwingen möchte – dann wissen sie nicht, was zu tun ist.
Steinharte Kost
Gerade diese Unbeholfenheit, dieses Zaghafte und Verzagte ist das Spannendste und Menschlichste, was «Ammonite» zu offerieren hat. Freilich mag es da schon zu spät sein, mag die Neugier auf das,
was abseits all der repetitiven Verrichtungen doch noch geschehen möge, bereits erloschen sein. Denn weshalb man Anteil nehmen sollte am Schicksal dieser Figuren, erschliesst sich einem kaum,
bleiben diese doch viel zu lange blank und blass. Und wenn sie endlich ein wenig Form und Farbe erhalten, wirkt das erst noch unschlüssig. An den beiden Leads liegt das indes nicht. Von der
siebenfach Oscar-nominierten Winslet und der 20 Jahre jüngeren und auch schon vierfach Oscar-nominierten Ronan darf man natürlich schon erwarten, dass sie auch hier ihr Bestes geben und abermals
Grosses liefern. Doch sowohl in der rauschenden Bucht als auch am lauschigen Kaminfeuer halten sich die chemischen Reaktionen zwischen den beiden in Grenzen – und das, obwohl Lee die Szenen in
chronologischer Abfolge gedreht hat, um die Darstellerinnen enger in die psychologische Reise ihrer Figuren einzubinden und tiefer in deren Gefühlschaos eintauchen zu lassen. Eine interessante
Taktik ist das, so wie vieles, was Lee hier macht, sicherlich interessant ist. Dass er ein versierter Filmemacher mit einer Vision ist, steht denn auch ausser Frage. Und verkopft ist es sowieso
nicht, was er tut. Vielmehr ist Lee jemand, der sich von der Intuition leiten und bisweilen treiben lässt, dabei aber auch mal auf Ab- und Irrwege gerät. Dass er sich historische Freiheiten nimmt
und die lesbische Beziehung zwischen Mary und Charlotte wohl erdichtet hat, mag ja noch als Statement durchgehen; dass aber einige Szenen wie Fremdkörper wirken, ist schon problematischer: etwa
wenn er ruppig und abrupt nach all der steinharten Kost sich in einen sonnendurchfluteten Garten mit blühenden Blumen und zirpenden Grillen vorpirscht, für dessen Schönheit nicht nur die
sauertöpfische Mary, sondern auch wir in diesem Moment der Überrumpelung eher unempfänglich sind. Am Ende ist das eine ziemlich zähe und durchzogene Angelegenheit: Als eine weitere Talentprobe
von Lee ist «Ammonite» sicher beachtenswert, als Plattform für Winslet und Ronan durchaus sehenswert – als emotionale Erfahrung indes ist dieses Stillleben in Aschfahl zu unergiebig, weil ob
aller Beherrschtheit recht eigentlich die Leidenschaft vergessen gegangen ist.