Mit aller gebotenen Diskretion

Der adäquat kontrolliert inszenierte Businesstrip eines Genfer Privatbankiers ins raue Argentinien des Jahres 1980 wächst sich im stillen Thriller «Azor» zu einer vertrackten Spurensuche und einem verstörenden Sittenbild aus.

Xenix

von Sandro Danilo Spadini

Es gibt einladendere Orte als das von politischen und wirtschaftlichen Wirren aufgewühlte Argentinien des Jahres 1980. Und wirklich wohl scheint sich der Genfer Privatbankier Yvan De Wiel (Fabrizio Rongione) hier in dem von patrouillierenden Militärs bevölkerten Buenos Aires denn auch nicht zu fühlen. Aber er und seine Frau Inés (Stéphanie Cléau) sind ja auch nicht zum Spass da. Sie sind da, um zu retten, was noch zu retten ist, nachdem Yvans Partner René Keys spurlos verschwunden ist. Auf einer Ochsentour klappern sie nun einen nervösen Kunden nach dem anderen ab, und was sie dabei zu hören bekommen, ist stets dasselbe: dass die Zeiten düster seien, dass die Lage unberechenbar sei – und dass Yvan einen ganz anderen Stil als sein ominöser Vorgänger pflege. Ansonsten freilich ist da viel Small Talk, wird gerne um den heissen Brei geredet und wenig preisgegeben. Und das gilt nicht nur für die Akteure in der schweizerisch-argentinischen Koproduktion «Azor», sondern auch für den Regiedebütanten Andreas Fontana. Der 39-jährige Genfer geizt nicht nur mit Informationen zum offenkundig verworrenen Geschehen; er verweigert auch den historischen Kontext, der uns helfen würde, das Ganze einzuordnen. Am geheimnisvollsten freilich gibt er sich, wenn es um diesen René Keys geht, diesen grossen Abwesenden, der mit der Zeit eine Aura wie Harry Lime aus «The Third Man» bekommt, der grösste Abwesende der Kinogeschichte. Es gebe da Gerüchte, schlimme Dinge, unaussprechliche Sachen. Und konsequenterweise werden diese dann auch nicht näher ausgeführt, so wie vieles in diesem filmgewordenen Bankgeheimnis beim Hörensagen bleibt, nicht zuletzt auch die Aufstände, von denen sich der Geldadel so bedroht fühlt, in dessen illustren Kreisen sich der Film praktisch exklusiv bewegt.

«Ein aggressiverer Ansatz»

Entscheidend ist indes auch nicht, was hier gesagt wird. Wichtiger ist, wie und in welcher luxuriösen Umgebung – Villa, Gestüt, Landsitz, Bibliothek, Privatclub oder Nobelrestaurant – geredet wird; was die Gesichter, allen voran das des brillanten belgischen Hauptdarstellers, erzählen; und vor allem: was nicht gesagt wird. Von dieser Verschwiegenheit rührt denn auch der Filmtitel her. «Azor», erklärt Inés einmal, sei ein Code für «Sei schweigsam» und «Pass auf, was du sagst». Und wenn einer das verinnerlicht hat, dann ist das ihr Gatte. Dieser wurde in diesen Job hineingeboren; sein Grossvater gründete die Genfer Privatbank einst, sein Vater machte sie gross. Yvan wiederum ist nun da, sie in eine neue Ära zu führen, und soll sich so seine Sporen abverdienen. Gefühlsregungen erlaubt er sich hierbei keine. Alkohol trinkt er nur, wenn er dazu genötigt wird. Sein Auftritt: scheinbar harmlos, aber sicher auch berechnend. Und seine Art hat etwas Serviles, bisweilen auch etwas Kriecherisches. Dabei vermittelt Yvan aber stets den Anschein eines Bankiers – wenngleich er am Ende nichts weiter als ein gewöhnlicher Banker ist. Das indes ist es, was die Kundschaft eben wünscht: einen «aggressiveren Ansatz». Und weil nun auch die Kreditbanken mitmischen, sei «ein regelrechter Krieg der Gier» ausgebrochen; das sei nicht mehr die Welt seines Vaters, wird ihm von einem Routinier beschieden. Von Yvan wird nun also erwartet, dorthin zu gehen, wo vor ihm noch kein Mann seiner Zunft war. Raus aus der Komfortzone und den noblen Gefilden. Raus aus dem Schatten und rein ins Zwielicht. In die Grauzone. In die Finsternis. Dorthin, wo einem mulmig wird. Wo ein Gewissen bloss Ballast ist. Dorthin, wo es wehtut.

Grosser Erkenntnisgewinn

«Azor» ist ein prächtiges Beispiel dafür, welch mächtige Wirkung sich entfaltet, wenn Form und Inhalt, Erzähltes und Gezeigtes in vollkommenem Einklang sind. Distinguiert, kontrolliert und reserviert geht es hier zu; fokussiert, komprimiert und distanziert ist das Ganze adäquat in Szene gesetzt. Und wenn das Gespräch doch mal abschweift, dann erlaubt sich auch die Kamera umherzustreifen – nicht weltvergessen jedoch, sondern mehr wie der Buchhalter, der zum Inventar schreitet. Die Merkwürdigkeiten, die in mancher Situation unter der polierten Oberfläche hervorblinzeln, und die Abgründe, in die immer wieder geblickt wird, werden derweil von dem spärlich eingesetzten Soundtrack aufgenommen, der mit seinem irren Hupen und Dröhnen aufzurütteln versteht. Greifbar sind in dieser klaustrophobisch korrekten Analyse des Wesens des Private Banking, diesem quasi forensischen Sittenbild der obersten Oberschicht auch die Nervosität und die Anspannung der um ihre Pfründe und Schätze bangenden Strippenzieher und Zuarbeiter im gerne verrauchten Dunstkreis der Militärregierung. Und so wie sich Yvan trotz massivem Druck keine Auszucker gestattet, so verzichtet etwa auch der Film auf Showeinlagen und Spezialeffekte. Das ist insofern doch recht erstaunlich, als Regisseur Andreas Fontana damit so gar nicht wie ein Debütant agiert, sondern wie ein alter Hase, der niemandem etwas beweisen muss und ein Gottvertrauen in seinen Stoff und seinen Ansatz hat. Nicht nur wahnsinnig souverän ist das. Es ist oft genug auch glanzvoll und bei aller Diskretion dann doch ungemein reich an Erkenntnisgewinn.