von Sandro Danilo Spadini
Sechs Monate und vierzehn Tage: So lange dauert es nach den Berechnungen der eher unter dem Radar fliegenden Nerds von der Michigan-State-Universität, bis ein zehn Kilometer breiter
Komet auf die Erde treffen wird: ein «Big Boy» also, wie es einmal heisst, oder das, was an anderer Stelle weniger flapsig ein «Planetenkiller» genannt wird. Ein rundes halbes Jahr jedenfalls
noch, bis mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,78 Prozent «die Menschheit und jegliches Leben auf dem Planeten aussterben» werden. «Das ist nicht real. Das passiert nicht wirklich. Das ist eine
alternative Realität», stammelt der entsetzte Dr. Randall Mindy (Leonardo DiCaprio) zu seiner Assistentin Dr. Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence), die den Kometen entdeckt hat und nach der dieser
traditionsgemäss alsbald benannt wird. Und zwar gibt der Astronomieprofessor, der laut eigenen Aussagen schon länger nicht mehr publiziert hat, in diesem Moment seiner Hilf- und
Hoffnungslosigkeit im Hinblick auf das anscheinend unabwendbare Massensterben Ausdruck. Wie sich bald weisen wird, könnte er damit aber auch die Realitätsverweigerung der Politik und der
Gesellschaft anprangern. Sieben Stunden lässt man ihn und Kate vor dem Oval Office warten, um sie dann unverrichteter Dinge trotzdem wieder wegzuschicken. Und als Präsidentin Orlean (Meryl
Streep) sich dann doch die Zeit nimmt, sich über den bevorstehenden Weltuntergang informieren zu lassen, werden schlappe 20 Minuten für die Audienz veranschlagt. Doch weil diese Präsidentin eine
Art weibliche Version von Donald Trump und oder halt eine Wiedergängerin von Sarah Palin ist und weil in drei Wochen die Zwischenwahlen stattfinden, gibt man sich nicht im Geringsten beeindruckt
von der Einschätzung, dass der Dibiaksy-Komet die Zerstörungskraft von einer Million Hiroshima-Bomben habe. «Ruhe bewahren und sondieren», lautet die Order. Und als es dann Wochen später
wahltaktisch doch noch opportun wird, zu handeln, ereilt selbst die Apokalypse jenes Schicksal, das heute noch jedem Thema beschieden ist: Sie wird zum Spielball wirtschaftlicher Interessen und
zur politischen Glaubensfrage, die mittels Fake News und Social-Media-Hype ad nauseam angeheizt und endlich ad absurdum geführt wird.
Referenzreicher Rundumschlag
Es ist eine knallharte und messerscharfe Analyse unserer übergeschnappten Zeit, die der Komödienspezialist Adam McKay uns in
«Don’t Look Up» vor den Kopf knallt: ein referenzenreicher Rundumschlag, in dem bald einmal alle Phänomene der
allgemeinen Infantilisierung ins Visier geraten, eine atemlose Abrechnung auch, in der nach und nach sämtliche Agenten des Irrsinns ihr Fett abkriegen. Politiker und Promis, Medienleute und
Techfritzen, Witzfiguren und Wichtigtuer, Idioten und Ideologen, Wissenschaftsfeinde und Verschwörungstheoretiker: Keiner ist sicher vor McKays Suada über das Ignorieren der Klimakatastrophe und
den blinden Wachstumsglauben, über Algorithmenhörigkeit und Datenobsession, über politischen Nihilismus und narzisstische Onlineinszenierung, über Verdummung und Spassgesellschaft, über falsche
Balance und debile Shitstorms, über die Allmacht der Techkonzerne und den Aktienkurs als alles entscheidenden Parameter. Das alles geschieht in dem für McKay üblich hohen Tempo, doch nicht ganz
so hektisch und spleenig verspielt wie in der Sachbuchverfilmung «The Big Short», seiner verblüffend verständlichen Satire zur Finanzkrise, oder in «Veep», seiner schwarzen Komödie über den
machiavellistischen früheren US-Vizepräsidenten Dick Cheney. Es ist in diesen vernünftig üppig bemessenen 140 Minuten freilich nicht minder viel drin, einfach ein wenig geordneter; und weil das
alles durch die Pandemie noch eine zusätzliche Ebene erhalten hat und unsere unmittelbare Gegenwart so noch stärker betrifft als die beiden anderen Oscar-gekrönten Werke, hat das umso mehr die
Aura einer gewissen Dringlichkeit. Es ist mithin auch eine Warnung an die geistig umnachtete, von allerlei Tech-Tand betäubte Gesellschaft, dass Dummheit in der Tat tödlich sein kann, und eine
schroffe Erinnerung daran, was passiert, wenn man das Wohl und Wehe der Welt skrupellosen Stümpern und seelenlosen Strebern anvertraut und die Akzeptanz von Fakten an seiner politischen Gesinnung
ausrichtet.
Drei Königinnen aufs Mal
Das klingt nun alles ein bisschen so, als ob McKay hier in einem Fort mit dem Zeigefinger in der Luft herumfuchteln würde. Tut er natürlich nicht; es ist dies ja schliesslich immer noch der Mann,
der einst mit brachialen Blödeleien wie «Anchorman» oder «Step Brothers» auf den Plan trat. Und auch wenn sich McKay mittlerweile wider jedes Erwarten zu einem der scharfsinnigsten Kino-Analysten
des wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Status quo gemausert hat, weiss er doch immer noch, wo sich die Lachmuskeln befinden und wie man auf kürzestem Weg zu ihnen gelangt.
Entsprechend sind die Turbulenzen in «Don’t Look Up» auch weniger etwas, worüber man versonnen schmunzeln oder verschmitzt lächeln würde; und man muss auch nicht allzu lange graben und grübeln,
um zu realisieren, worauf mit dieser Breitseite oder jenem Frontalangriff abgezielt wird. Vielmehr kommt einem das alles grauenhaft vertraut vor, und obwohl es eigentlich zum Heulen und zum
Schimpfen ist, will einem das Losprusten einfach nicht im Halse stecken bleiben. Das ist zum einen dem Skript geschuldet, das der einstige «Saturday Night Live»-Gagschreiber McKay wie stets
selbst verfasst hat. Zum anderen aber auch einer Besetzung, die in der Kinogeschichte fast ihresgleichen sucht und einen nicht nur aus dem Lachen, sondern auch aus dem Staunen kaum mehr
rauskommen lässt. Neben dem lustvoll gegen seinen Typ anspielenden DiCaprio als akademischem Underdog, dem zwischenzeitlich der kometenhafte Aufstieg zum Mediendarling zu Kopf steigt, sind da Rob
Morgan als sympathischer und loyaler Mitstreiter für das Gute, Mark Rylance als entrückter Tech-Guru und Pseudo-Gutmensch, Jonah Hill als proletenhafter Präsidentinnensohn und Chief of Staff
sowie Timothée Chalamet, Ariana Grande und Tyler Perry in schmucken kleineren Nebenrollen. Vor allem aber vereint «Don’t Look Up» die drei mehrfach gekrönten Schauspielköniginnen ihrer jeweiligen
Generation: Jennifer Lawrence ist als punkige Astronomin das moralische Zentrum und eine Festung der Vernunft, derweil Meryl Streep als Dilettantenpräsidentin mit Arschgeweih und Cate Blanchett
als windige Fernsehmoderatorin den Fiesen, Finsteren und Freakigen zudienen. Unfassbar: So viele Stars waren noch nie am Filmhimmel, und einer leuchtet heller als der andere. Sicher auch
ihretwegen ist das ein fast perverses Vergnügen: eine vor Wut schäumende und vor Sarkasmus triefende Bestandsaufnahme, die wahnsinnig komisch und furchtbar deprimierend zugleich ist. Bisweilen
mag das zwar etwas schräg und ziemlich schrill sein. Aber es sind ja auch schräge und schrille Zeiten, in denen wir leben.