von Sandro Danilo Spadini
Rund 20 Jahre sind vergangen, seit Regisseur Gabriele Muccino in «L’ultimo baccio» über die Liebe und das Leben, über Freundschaft und das Erwachsenwerden, über erfüllte Träume und begrabene
Hoffnungen sinniert hat. Und wie danach immer wieder kehrt der Römer auch in
«Gli anni più belli» nun wieder zu diesen ewigen Themen zurück. Vier wechselvolle Jahrzehnte im Leben der Freunde Paolo (Kim Rossi
Stuart), Giulio (Pierfrancesco Favini), Riccardo (Claudio Santamaria) und Gemma (Micaela Ramazzotti) schildert er über 129 elegant inszenierte Minuten und flicht dabei auch die Geschichte des
Landes ein, dessen Irrungen und Wirrungen, das Auf und Ab, das Italien in dieser Zeit der steten und rasanten Veränderung geprägt und ein Stück weit zermürbt hat. Und wiewohl Letzteres Kollege
Mario Tullio Giordana in seinem fast siebenstündigen monumentalen Meisterwerk «La meglio gioventù» dann doch um einiges profunder und fundierter gemacht hat, zeigt sich doch auch gerade darin,
dass Muccino in seiner Heimat doch viel besser aufgehoben ist als in Hollywood, wo er zwischen 2006 und 2015 vier (zumal künstlerische) Flops fabriziert hat.
Dieses Chaos namens Leben
Es ist aber auch den vier überragenden Stars geschuldet, dass diese Geschichte derart in Bann zu schlagen und immer wieder zu rühren vermag. Während Favino und Santamaria hier jene typischen
Stärken ausspielen, die sich Muccino schon in «L’ultimo bacio» und dessen thematischem Nachfolger «Baciami ancora» (2010) zunutze gemacht hat, knüpfen Rossi Stuart und Ramazzotti an ihre
fruchtbare Beziehung in Daniele Lucchettis «Anni felici» (2013) an. Die Charaktere, die ihnen Muccino und sein Co-Drehbuchautor Paolo Costella («Perfetti sconosciuti») auf den Leib geschrieben
haben, und die Turbulenzen, in die sie sie rasseln lassen, sind zwar nicht frei von Klischees; weil den Figuren – dem ewig scheiternden Kommunistensohn Riccardo, dem idealistischen
Italienischlehrer Paolo, dem reich und hart gewordenen Bonzenanwalt Giulio und der im Zickzack zu sich findenden Kellnerin Gemma – aber auch eine gewisse repräsentative Funktion zukommt, ist das
trotzdem stimmig und selten störend. Beginnend im italienischen Fussball-Weltmeister-Jahr 1982, zeichnet Muccino die verschlungenen Wege, die die vier beschreiten, episodenhaft nach und
illustriert dieses Chaos namens Leben in oftmals bezirzenden Vignetten: mit einer irren Spritzfahrt euphorisierter Halbwüchsiger über holpriges Gelände im ersten eigenen Wagen; mit Paolos
zärtlich zaghafter Freude über das Wiedersehen mit der zwischenzeitlich nach Napoli entschwundenen Gemma; mit Riccardos Hochzeit auf freiem Felde oder viel später dann mit dessen beklemmendem
Besuch bei seinem mit der Mutter gen Norden gezogenen Teenagersohn Arturo (Matteo Zanotti); mit Giulios Spurensuche in der alten Nachbarschaft, um seiner im Palazzo aufgewachsenen Traumtochter
Sveva (Elisa Visari) seine Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen zu zeigen; mit einem Bad im Fontana di trevi und dann, endlich, mit einer fast so euphorisch wie ehedem gefeierten Reunion mit
Blick über das nächtliche Rom.
Hommage an Rom und ans Kino
Für das viele allzu Bekannte, das uns dabei auch aufgetischt wird, und die aufdringlich schwülstige musikalische Untermalung entschädigt Muccino uns derweil reichlich: mit manch wunderschöner
Aufnahme von Rom und der einen oder anderen, mal mehr und mal weniger offensichtlichen Hommage an seine cineastischen Vorbilder, allen voran an Ettore Scola und dessen Klassiker «C’eravamo tanto
amati», der ihm hier quasi als Blaupause dient. Es ist das denn auch ein sehr klassischer Film geworden, der tief verwurzelt ist in der Tradition des italienischen Erzählkinos. Am Ende, gegen
welches hin nochmals ziemlich dick und happy aufgetragen wird, ist jedenfalls eines unstrittig: «Gli anni più belli» ist nicht nur der persönlichste Film, den Gabriele Muccino je gedreht hat –
ein Heimspiel sozusagen, das er souverän gewonnen hat; es ist auch sein grösster Wurf seit über anderthalb Jahrzehnten und seinem Wunderwerk «Ricordati di me». Es scheint, als sei er wieder ganz
bei sich.