von Sandro Danilo Spadini
«Ich fürchte, ein nuklearer Krieg steht bevor, und ich möchte ihnen dabei helfen, diesen zu verhindern.» Das ist jetzt doch mal eine Ansage, die der GRU-Oberst Oleg Penkowski (Merab Ninidze) da
im August 1960 in seinem Schreiben zuhanden der amerikanischen Widersacher macht. Und naturgemäss ist damit das Interesse der CIA und des von ihr in dieser Sache um Hilfe gebetenen britischen MI6
geweckt und obendrein schlagartig auch das von uns, die wir noch keine fünf Minuten kritisch aufmerksam abgewartet haben, was da im Spionagethriller
«The Courier» wohl gehen könnte. Und dieses
Interesse, es wird bleiben, wird zu jeder der nächsten rund 100 Minuten Bestand haben, wenn wir mit dem vom MI6 für die CIA nach Moskau entsandten Greville Wynne (Benedict Cumberbatch)
mitfiebern; wenn wir diesem «gewöhnlichen Geschäftsmann mittleren Alters, der ein bisschen zu viel trink», die Daumen drucken, der KGB möge ihm nicht auf die Schliche kommen, und wir diesem
zufälligen Spion, «der keine Aufmerksamkeit erregt», und Oberst Penkowski wünschen, ihre konspirativen Treffen und Aktentransfers mögen unentdeckt bleiben. Man sitzt da zwar nicht gerade auf
Nadeln; aber man steht auch nicht auf und wandert herum. Und das ist doch schon eine Leistung: nicht nur, weil das eine wahre Geschichte ist und wir also Gewissheit darüber haben, wie deren
wahrhaft weltbewegender Kern ausgehen wird; sondern auch, weil etwa eine satte halbe Stunde vergeht, bis Penkowski auf Vermittlung unseres Handlungsreisenden in Sachen Friedenssicherung dann
endlich mal mit der CIA-Agentin Emily Donovan (Rachel Brosnahan aus «The Marvelous Mrs Maisel») und ihrem MI6-Pendant Dickie Franks (Angus Wright) zusammensitzt und seine notabene patriotischen
Motive offenlegt: «Chruschtschow macht mir Angst. Er ist impulsiv, chaotisch», erklärt er, der am Ende der Kennedy-Regierung jene Informationen liefern wird, die auf Kuba das Schlimmste zu
verhindern helfen und so mitverantwortlich dafür waren, die Menschheit vor einem dritten Weltkrieg zu bewahren.
Ein unermesslich hoher Preis
Was für die erste halbe Stunde gilt, hat freilich auch für das Weitere seine Gültigkeit: Der Film lässt sich Zeit, verplempert diese aber nicht, er trödelt nicht und tändelt nicht, bleibt stets
fokussiert und am Ball. Tadellos gemacht ist das von Regisseur Dominic Cooke («On Chesil Beach») und Drehbuchautor Tom O’Connor («The Hitman’s Bodyguard»): nicht übermässig fesselnd wie gesagt,
aber packend genug. Dies auch deshalb, weil ihnen weniger am Abfeiern von Heldentaten gelegen ist, die sich entlang der historischen Gut-Böse-Linien ereignen, als vielmehr an dem Preis, den deren
Urheber dafür zu entrichten hatten. Es ist das mithin nicht so sehr Geschichtslektion, wiewohl «The Courier» ein wenig staubig und bisweilen ein klein bisschen steif daherkommt; es ist das in
erster Linie eine pathoslose Schicksalsgeschichte zweier Menschen, die Grosses geleistet und Unermessliches dafür bezahlt haben, zweier unprätentiöser unbesungener Helden, die sich auf Anhieb
bestens verstehen, die von ihren Frauen schwärmen und ihre Kinder beschenken, bei Kaviar und Wein am Mittag schäkern und am Abend bei Wodka und Whiskey shaken, in schummrigen Unterführungen über
die Zukunft werweissen und im Bolschoi-Theater andächtig eine «Schwanensee»-Aufführung bewundern. Das sind Oleg Penkowski und Greville Wynne: zwei mutige Figuren in einem geopolitischen
Spiel auf Leben und Tod, vor allem aber auch zwei Menschen mit Stärken und Schwächen, Gefühlen und Bedürfnissen, Zweifeln und Ängsten.
Alles sehr angemessen
Funktionieren kann so was freilich nur, wenn es auch zwischen den Darstellern funkt. Beim brillanten Benedict Cumberbatch, der zumal zu Beginn eine gewisse Leichtigkeit ins seriöse Geschehen
bringt und im nahrhaften Schlussdrittel dann mit körperlicher Einsatzfreude beeindruckt, und dem aus diversen «Tatort»-Auftritten bekannten Merab Ninidze tut es das ganz ordentlich; ebenso
zwischen Cumberbatch und der zurzeit so präsenten Newcomerin Jessie Buckley («I’m Thinking of Ending Things»), die als Wynnes im Dunkeln gelassene und zusehends misstrauischere Frau Sheila
eigentlich eine eher undankbare Rolle gefasst hat, aber verblüffend viel daraus macht. Nichts an diesen Beziehungen und Interaktionen ist indes markerschütternd; das Äusserste, was sich der Film
erlaubt, ist, Sheila sagen zu lassen, dass Wynne überaus «energetisch» im Bett geworden sei, seit er so oft nach Russland reise. Ein Draufgänger ist an Regisseur Cooke jedenfalls nicht verloren
gegangen. Seiner Kamera gestattet er zwar die eine oder andere Extravaganz, wenn sie mal eine kecke Fahrt hinlegt oder einen frechen Winkel wählt; ansonsten aber ist das ein in angemessenem Look
und gebührendem Tempo gehaltener, im besten Sinn altmodischer Film, der sich jederzeit vertraut anfühlt und selbstbewusst und unbekümmert ob seines Mangels an frischen Ideen den geraden Weg ins
Ziel geht. Ein Film, der eine ihm wichtige Geschichte zu erzählen trachtet, sich dabei aber für nichts Besonderes hält. Und das passt doch perfekt zu diesen beiden Männern, die sich einst
unverhofft im Mittelpunkt des Weltgeschehens fanden.