Bang-Bang mit Bling-Bling

Kein Western von gestern: «The Harder They Fall» ist ein überaus stilbewusster, letztlich aber substanzloser Versuch, das Genre aufzupeppen. Die ausnahmslos schwarzen Stars sind indes durchs Band nicht nur cool, sondern auch klasse.

Netflix

von Sandro Danilo Spadini

Die Geschichte der Afroamerikaner im Wilden Westen sichtbar machen: Das ist die noble und sicher spannende Absicht der Netflix-Produktion «The Harder They Fall». Und wie man dabei vorzugehen gedenkt, wird uns mittels einer Einblendung auch sogleich verraten: Die Ereignisse, die nun geschildert werden, seien zwar fiktional; doch die Menschen, die darin wüten und wettern, feuern und freveln, seien real – wobei Letzteres nach einer eminenten künstlerischen Pause und mit dramatischer Interpunktion doppelt unterstrichen verkündet wird: «These. People. Existed.» Das Abgehackte dieses Duktus, es darf als Vorbote gewertet werden für das, was da kommen mag in dem mit 130 Minuten Spielzeit überlang geratenen und durchaus zum Epischen hin strebenden Spielfilmdebüt des anderweitig unter dem Namen «The Bullitts» firmierenden britischen Filmemachers, Singer-Songwriters und Musikproduzenten Jeymes Samuel. Viel Stop-and-Go ist hier drin; Szenen mit Schmiss und Schmackes, mit Schmankerln und Scharmützel voller roher, animalischer und bisweilen barbarischer Gewalt wechseln sich ab mit Passagen des vollmundigen Fabulierens und salbungsvollen Schwadronierens. Und natürlich muss man ob dieses Prahlerischen und Grossmäuligen, dieses gleichsam spätpubertären Zynismus und Nihilismus subito an Quentin Tarantino denken, dessen langjähriger Weggefährte Lawrence Bender hier neben Hip-Hop-Superstar Jay-Z denn auch prompt als Produzent amtet. Daran ist theoretisch nun ja nichts Abtörnendes; schliesslich ist Tarantino ein Regisseur von höchstem Range, ein im Kino-Olymp hausender Filmgott gar. Doch praktisch wohnt der Kategorisierung eines Werks als «tarantinoesk» doch jedes Mal ein Geschmäckle inne – der Vorwurf des Abklatschs eben.

Spassige Stilbrüche

Tarantino ist hier freilich nicht die einzige offenkundige Inspirationsquelle. Geradeso klar tritt auch der Einfluss eines Baz Luhrmann zutage, jenes Mannes also, der damals in den wilden Neunzigern «Romeo und Julia» verpoppt hat. Für ihn hat Samuel gemeinsam mit Jay-Z vor einigen Jahren bei der ebenfalls modernisierten Version von «The Great Gatsby» die musikalische Begleitung konzipiert; und auch wenn die Stilbrüche, mit denen Samuel hier operiert – der prominente Hip-Hop- und Reggae-Soundtrack, aber auch mal die rotzige Sprache –, nicht mehr so taufrisch wirken wie ehedem, so ist das doch eine meist spassige Sache. Dies umso mehr, als dieses ganze Meta-Ding, das sich in den bewusst artifiziellen Sets nervig zwinkernd ankündet, dann dankenswerterweise doch nicht durchgezogen wird und stattdessen sehr wohl auch mal Genregrössen von Sergio Leone bis Sam Peckinpah gehuldigt wird. Die klassischen Western-Topoi (und -Klischees) hat Samuel jedenfalls mitnichten verschmäht; er hat sie wie die historischen Begebenheiten einfach teils mehr, teils weniger modifiziert, auf dass sein ambitioniertes Erstlingswerk ja nicht wie ein Western von gestern rüberkommen möge. Neben den schier unzähligen Figuren, die dieses bevölkern, drängt so auch noch die Regie forsch in den Vordergrund – was jetzt noch nicht per se verkehrt und bei Tarantino etwa auch selten anders ist. Das kann also durchaus funktionieren, und es tut das hier auch die meiste Zeit. Allerdings haftet dem Bemühen der Regie, cool und chic zu wirken, mitunter auch etwas Penetrantes an, und sie ist darin am Ende weit weniger erfolgreich als die ausnahmslos dunkelhäutigen und durchs Band spielfreudigen Stars: Jonathan Majors aus dem kleinen Filmwunder «The Last Black Man in San Francisco» führt als Outlaw Nat Love dieses Ensemble und eine Gang der nur Halbbösen an, die eine Saloonbesitzerin (Zazie Beetz), ein Sheriff (Delroy Lindo), ein Scharfschütze (Edi Gathegi), ein Maulheld (RJ Cyler) und eine Revolverheldin (Danielle Deadwyler) komplettieren; ihnen gegenüber steht die in Sachen Starpower schwereres Geschütz auffahrende Truppe um den brutalen Rufus Beck (Idris Elba), in der etwa Oscar-Preisträgerin Regina King («If Beale Street Could Talk») und Shootingstar LaKeith Stanfield («Judas and the Black Messiah») ihr Unwesen treiben. Von ihnen jemanden rauszupicken, ist müssig, und auch Samuel scheint keinen Liebling zu haben und gibt allen unterschiedslos genug Gelegenheit, unverschämt gut auszusehen. Umgekehrt vernachlässigt er auch alle gleichermassen: Einen fundierten Background, geschweige denn eine Seele lässt er keiner dieser zum Teil historisch verbürgten Gestalten angedeihen.

Herz- und Rhythmusstörungen

Und da sind wir dann bei einem der grossen Probleme von «The Harder They Fall»: dem von Samuel zusammen mit Routinier Boaz Yakin («Remember the Titans») verfassten Skript, das der Energie der Inszenierung nie ein adäquates Mass an Emotion entgegenstellt und ob all der coolen Attitüde und leeren Posen die elementarsten Dinge glatt vergisst. Klar ist das ein Western und keine Charakterstudie; aber diese Figuren bleiben trotz der Liebelei zwischen Nat und Beetz’ Mary allesamt derart unverbindlich, dass es einem am Ende doch recht egal ist, wer obsiegen wird, wenn die beiden rivalisierenden Gangs endlich aufeinandertreffen. Bis es so weit ist, ist freilich Geduld gefragt. Denn allzu viel passiert hier eigentlich nicht mehr, nachdem Nat als Knirps dabei hat zuschauen müssen, wie Rufus seinen Vater und seine Mutter umbringt. Vielmehr erweckt manche Szene den Anschein, das Skript habe hier nur wieder nach einer Ausrede gesucht, um ein paar Kugeln abzufeuern und kräftig Blut zu verspritzen. Nach einer Stunde ist der Plot noch keine zwei Pferdelängen vorangekommen – das ist alles nur Geplänkel und Geplauder, Vorbereitungsscharren und Hintergrundrauschen. Statt die Handlung mal voranzupeitschen, wird lieber nochmals wahllos auf den erstbesten entbehrlichen Pappkameraden eingedroschen. Und wirklich viel, was nach einer Ergänzung des Beschriebs «Rachewestern über zwei rivalisierende Gangs» schreit, wird in der zweiten Hälfte, wo sich zu den Herz- nun auch immer heftigere Rhythmusstörungen gesellen, auch nicht mehr erzählt. Es ist zwar auch hier noch so, dass fast jede Szene ihren Reiz hat. Aber diese hübschen, wiewohl arg repetitiven Vignetten finden einfach nicht recht zueinander. Ja, sie wirken mitunter so zusammenhanglos, dass ihre Anordnung beliebig erscheint. Es ist das dann mithin doch mehr eine Nummernrevue: eine substanzlose Stilübung, die zwar Talent verrät und Hoffnungen weckt, letzten Endes aber zu viele Enttäuschungen zurücklässt.