von Sandro Danilo Spadini
Zwölf Jahre war sie jetzt also weg vom Kino; und während das Kritikervolk und daselbst vor allen Dingen der vornehme Feuilleton sie ganz bitterlich vermisst hat, dürfte der kommune
geneigte Lichtspielhausgänger ihre Wiederkehr nicht gar so innig herbeigesehnt haben. Denn Jane Campion, die mittlerweile 67-jährige Regisseurin des vor bald drei Dekaden Oscar-prämierten Dramas
«The Piano», ist keine, die es einem leicht macht, sich mit Haut und Haaren ihren Filmen hinzugeben, sich Hals über Kopf in sie zu verlieben. An ihren Werken, gerade mal acht an der Zahl und
lediglich fünf nach ihrem internationalen Durchbruch, an diesen pittoresken Stillleben ist nämlich so gar nichts Stürmisches, das einen weghaut, nichts Drängendes, das einen kirre macht, nichts
Bebendes, das einen schwindeln lässt. Bei ihr geht es still und stoisch zu, sublim und subtil. Campion lässt sich Zeit. Sehr viel Zeit. So viel Zeit, dass man darüber glatt die Geduld und endlich
die Anteilnahme verlieren mag. Und wirklich viel missen würde man dann ja auch nicht: ein paar sehenswerte, oft sogar atemberaubende und immer stupend ausgeklügelte Aufnahmen, selbstredend. Aber
kaum allzu aufregende Verwerfungen der Handlung oder der Figuren und auch eher selten mimische Schmankerln. Entsprechend waren das letztlich meist auch recht zähe und fruchtlose Bemühungen, die
Campion da nach «The Piano» offeriert hat: die betuliche Henry-James-Adaption «Portrait of a Lady», das inkohärente Sektendrama «Holy Smoke», den gekünstelten Erotikthriller «In the Cut» oder
zuletzt und unlängst die kolossal klischeebeladene Krimiserie «Top of the Lake». Wundersamerweise aber haben all diese Fehlschläge ihrem exzellenten Standing in der Rezensentengemeinde rein gar
nichts anhaben können. Ein neuer Jane-Campion-Film gilt da nach wie vor als Ereignis. Und der von Netflix produzierte Western
«The Power of the Dog», die Verfilmung eines Romans von Thomas Savage aus dem Jahr 1967, wird daran schon gar
nichts ändern. Ganz im Gegenteil. Er hat das Zeug dazu, sie in den Olymp zu katapultieren.
Kontrolliert und leblos
Erzählt wird in dem im Jahr 1925 verorteten Film von den beiden wohlhabenden Burbank-Brüdern, die in Montana gemeinsam eine Ranch betreiben: dem zänkischen Phil (Benedict Cumberbatch), der einen
Hass auf alles und jeden hegt, und dem langmütigen George (Jesse Plemons), der von seinem Bruder grundsätzlich nur «Fettsack» geschimpft wird. Als George von einer Szene auf die andere die Witwe
Rose (Kirsten Dunst) heiratet, scheint Phil endlich ein Ziel für seinen aufgestauten Frust gefunden zu haben. Freilich wird nicht nur Rose von ihm drangsaliert, sondern auch ihr überaus femininer
Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee) von dem übellaunigen Kerl von altem Schrot und Kern nach Strich und Faden fertigmacht. Was genau die Triebfeder von Phils feindseligem Verhalten ist, wird derweil
nur insinuiert: Vielleicht ist es Eifersucht, womöglich aber auch ein latentes Trauma, das mit seinem verehrten verstorbenen Mentor Bronco Henry zu tun haben könnte. Schlüssig klären wird sich
das auch nach zwei Stunden nicht, wenn der Abspann rollt, so wie das allermeiste in diesem ohne jeden Schmäh und Revolverhelden auskommenden Western Andeutung und unausgesprochen bleibt, unter
der Oberfläche gehalten und bloss angedacht wird. Es ist das eine sehr kontrollierte Angelegenheit, derart beherrscht und zurückhaltend im Umgang mit Emotionen, dass es fast schon ins Asketische
schwappt. Jedes Aufflammen von Gefühlen, jede Wallung des Herzen wird jedenfalls derart schnell im Keim erstickt, dass der Film nicht nur wenig lebendig, sondern bisweilen nachgerade leblos
wirkt. Die Stars tun zwar, was sie können, mit ihren papierdünn gezeichneten Figuren, die mit lakonischen, teils läppischen Dialogen zurechtkommen müssen. Doch Interesse an ihnen zu schüren
vermögen sie kaum: weder der sonst stets so vornehme Muster-Brite Cumberbatch, dem man das amerikanische Raubein obendrein nur sporadisch abnimmt, noch der auf seine sattsam bekannten Stärken
setzende und gewiss nicht schlecht besetzte Plemons, der indes erwartungsgemäss prächtig mit seiner Gattin Kirsten Dunst harmoniert. Diese kam erst nach der Absage von Elisabeth Moss zu ihrem
Part, legt sich dafür aber umso mächtiger ins Zeug und zeigt die wohl reifste Leistung ihrer Karriere. Ebenfalls zu gefallen weiss der junge Australier Kodi Smith-McPhee.
Mystisch und atmosphärisch
Aber eben: Die Figuren sind es nicht, die einen in fasziniertes Sinnieren stürzen. Freilich hat der Film andere Qualitäten und Vorzüge. Die sind zwar nicht ganz so überwältigend, als dass sie
eine schlüssige Rechtfertigung dafür liefern würden, mit welcher Vehemenz «The Power of the Dog» zu einem der vordringlichsten Oscar-Favoriten dieser Saison emporgeschrieben wird. Sie
entschädigen aber leidlich für die anderweitigen Versäumnisse und Unbilden und belohnen jene Geduldigen, die über die vollen zwei Stunden drangeblieben sind. Wie noch immer bei Campion sind da
zuvörderst die optischen Verzückungen: Aufnahmen von erdiger, naturverbundener Schönheit, fotografiert in der neuseeländischen Heimat, atemberaubende Quasi-Standbilder, minutiös arrangiert und
präzise komponiert. Sie fügen sich elegant nicht nur in das stringente und konsequente Gesamtbild, in diese mystische und atmosphärische Stimmung; sie spiegeln auch den Ton, der achtsam und
gelassen, weder wichtigtuerisch noch selbstgefällig ist. Dabei ist das doch alles sehr fein- und vergeistigt, und es wird sehr wohl furchtbar tief geschürft. Ob man da aber mitdenken, sich in das
zermürbende Unbehagen stürzen und beim Ausbuddeln der ganz weit unter der staubigen Erde schlummernden Erkenntnisse mitmachen möchte, ist letztlich halt auch eine Frage der Geistesverfassung –
und der Bereitschaft, das nötige Quantum an Engagement in diese gediegene «Prädikat wertvoll»-Filmkunst zu investieren. Es gibt nicht wenige, die nachdrücklich dazu raten: Man werde hier reich
belohnt mit einer berückenden Filmerfahrung. Und klar: Möglich wärs.