von Sandro Danilo Spadini
Es sei eine fiktive Geschichte, die im Anschluss erzählt werde, heisst es in der Eröffnung des französischen Umweltthrillers
«Goliath»; aber Ähnlichkeiten mit realen
Geschehnissen und Personen seien weder zufällig noch unbeabsichtigt. Na dann: Der hier in seinem perversen Profitstreben mit maximaler Menschenverachtung agierende Agrochemiekonzern namens
Phytosanis stellt mithin Monsanto dar und sein potenziell krebserregendes Pestizid Tétrazine das berüchtigte Glyphosat. Was hingegen das Personal im dritten Spielfilm von Regisseur Frédéric
Tellier («SK1») angeht: Da wird es schon schwieriger, reale Bezüge zu finden – und umso einfacher, fiktive Vorbilder auszumachen. Denn die Figuren, die in diesem auf den Spuren
amerikanischer Aktivistenfilme wie «Silkwood», «Erin Brokovich» oder zuletzt «Dark Waters» wandelnden Zweistünder den ungleichen Kampf um Recht und Gerechtigkeit ausfechten, sie wirken mehr wie
altgediente Funktionsträger und Botschaftsüberbringer denn wie seelenhafte Wesen. So dünn sind sie gar gezeichnet, dass sie bisweilen unter der Last der ihnen aufgebürdeten Klischees
zusammenzubrechen drohen: der unbeugsame und ein wenig zu trinkfreudige Anwalt Patrick Fameau (Gilles Lellouche) etwa, der vor geraumer Zeit vom unrechten Weg abgekommen ist und sein Gewissen
entdeckt hat, dies aber halt mit chronischen Finanzsorgen teuer bezahlt. Oder auf gegnerischer Seite der brillant aalglatte Lobbyist Mathias Rozen (Pierre Niney), der es sich chic und komfortabel
eingerichtet hat in seiner nihilistisch fatalistischen Überzeugung, die Welt sei ohnehin im Arsch, und sich wohl zu Recht auf die Faulheit und Feigheit, die Kurzsichtigkeit und Käuflichkeit der
Leute verlässt. Und sowieso deren Klienten: die sich nur um Marktbedingungen und politische Ränkespiele scherenden Wirtschaftskapitäne und die von Patrick vertretenen und Mathias bedrängten Opfer
des grossflächigen Pestizideinsatzes und ihre Nächsten – die um ihre Frau trauernde Bäuerin Lucie (Chloé Stefani) also oder die um ihren ebenfalls erkrankten Mann bangende Sportlehrerin France
(Emmanuelle Bercot). In deren Schilderung schlittert der Film mitunter an die Grenze zum karikaturhaften Gutmenschen-Kitsch, was umso erstaunlicher und bedauerlicher ist, als er sonst doch so
sehr um Nüchternheit und Komplexität bemüht ist.
Gift und Galle
Aber gut: letztlich alles halb so wild. Denn zum einen wird die mangelnde Tiefe zu einem guten Teil von den durchs Band charismatischen Mimen aufgewogen; und zum anderen hat es auch seinen Sinn
und Reiz, dass die von Tellier zusammen mit Simon Moutaïrou («Boître noire») konzipierte, auf mehreren Ebenen herumstreunende Handlung die Einzelschicksale auf das eher Praktische reduziert.
Angesichts der Faktenfülle, die hier präsentiert wird, muss eben ökonomisch gehaushaltet werden mit der zur Verfügung stehenden Zeit. Und die Fakten sind es am Ende ja, um die es in diesem
engagierten und, wie man so gerne raunt, wichtigen Film primär und auch gleich noch sekundär gehen soll. Dazu passend hat Tellier einen ans Dokumentarische angelehnten Stil gewählt: nicht nur was
den Erzählton anbelangt, dessen Sachlichkeit nur gelegentlich von – freilich willkommenen – emotionalen Eruptionen erschüttert wird, wenn jene, die Gift versprühen, in die Defensive geraten,
oder jene, die dazu auch noch Galle spucken, die Schnauze allmählich voll haben. Sondern auch in der Inszenierung. Die leicht nervöse Wackelkamera-Ästhetik mag zuweilen zwar nerven und ein klein
bisschen penetrant nach Dringlichkeit haschend wirken. Sie erfüllt aber durchaus ihren Zweck und ist auch nicht darum verlegen, dann und wann, bevorzugt zu später oder zu unchristlich früher
Stunde, Bilder von berückender Schönheit einzufangen. Was sie hingegen nicht ganz vermag: einen vollständig reinreissen in das verzwickte Geschehen, in dem gespinnt und gespammt, an der
Wahrnehmung rumgedoktert und den Tatsachen gefeilt wird. Da fehlt dem Film, auch wegen der verzettelten Erzählform, dann leider die Dichte.
Treffer und Fehlschüsse
Gleichwohl gelingen «Goliath» machtvolle Momente, berührende Sequenzen, aufwühlende Kostproben: wenn ein ehemaliger Forscher erklärt, es gehe den Agrarkonzernen um nichts weniger als «die
Privatisierung der Natur»; wenn der Umweltminister am Fernsehen zum Papageien schrumpft und Wort für Wort die Argumentation von Mathias nachplappert; oder wenn die zusehends verzagte France
Aktionen wie Flugblätter und Demonstrationen als Zeitverschwendung verwünscht und zum bitteren Schluss hinausschreit, man verliere, man habe verloren, man sei verloren. Das sind die Szenen, die
nachhallen. Und nicht jene trockenen, in denen vor Gericht, auf Podien oder in Versammlungen argumentiert wird. Oder jene, in denen Tellier amerikanische Verschwörungsthriller nachäfft und
konspirative Treffen in Tiefgaragen veranstaltet oder einen Informanten wie weiland Donald Sutherland in «JFK» die schockierende Wahrheit enthüllen lässt. Und schon gar nicht jene, in denen er
den speckigen Zweihänder auspackt und etwa einen besonders infamen Diener des Kapitals spekulieren lässt, ob man den Fakt, dass die mutmasslich vom Pestizid dahingeraffte Bäuerin lesbisch war,
eventuell ausschlachten sollte. Das ist dann bloss noch platt und auf billigste Weise manipulativ. Und das hätte dieser vielschichtige, mehrdimensionale Film eigentlich nicht nötig gehabt: ein
Film, dessen Relevanz unbestritten ist und der zwar weiss, dass die Würfel gezinkt sind, der sich davon aber zum Glück trotzdem nicht entmutigen lassen will.