Ein Einhorn für die zweite Chance

Mehr als ein Leckerbissen für Basketball- und Adam-Sandler-Fans: Die rassig, schmissig und bissig inszenierte Underdog- und Erlösungsgeschichte «Hustle» mag zwar fast schon aufreizend formelhaft sein; und trotzdem wirkt sie stets frisch, frech und flott.

Juancho Hernangomez und Adam Sandler im Film Hustle

Netflix

von Sandro Danilo Spadini

Das ist ja eigentlich auch kein Leben, zumindest nicht für einen Mittfünfziger: Da tingelt man kreuz und quer über den Planeten und verpasst Jahr für Jahr den Geburtstag der inzwischen pubertierenden Tochter, stopft den stets und überall gleichen Fast Food in sich rein und wird immer träger und fülliger, lässt sich von Agenten um den Finger wickeln und stellt dann doch Mal um Mal fest, dass der vermeintliche neue Basketball-Heiland eben doch keiner ist, der dem Team weiterhelfen könnte. Kein Wunder, freut sich Stanley Sugerman (Adam Sandler) wie ein Schneekönig, als ihm der greise Teambesitzer Rex Merrick (der 91-jährige Robert Duvall) einen Jobwechsel anbietet: Statt als Scout soll Stanley fürderhin als Assistenztrainer der stolzen Philadelphia 76ers wirken, jenes Klubs, für den einst Grössen wie Charles Barkley und Allen Iverson aufliefen. Es fühle sich an, als habe er sein Leben lang darauf gewartet, Coach zu werden, stammelt «Stan the Man» dankbar in Richtung seines Mentors. Und das, obwohl er doch zu meinen vorgibt, dass «Typen in ihren Fünfzigern keine Träume mehr haben, sondern nur noch Albträume und Ekzeme». Als er das sagt, hat es sich für ihn freilich auch schon wieder ausgeträumt. Gerade drei Monate war er im Amt, da musste er zurück in den alten Job und ins überwunden geglaubte Lotterleben, weil das der neue Besitzer so wollte. Er sei als Coach gut, als Scout aber unverzichtbar, meint der ihm seit je feindselig gesinnte schnöselige Vince (Ben Foster), der nach dem Tod seines Vaters nun das Sagen im Klub hat und dabei mit stupender Zuverlässigkeit stets die falschen und unsympathischen Entscheide trifft. So auch, als Stanley glaubt, seinen Auftrag erfüllt zu haben, und ihm einen Spieler auf dem Silbertablett präsentiert, der den Unterschied ausmachen könnte im Kampf um den NBA-Titel: den mysteriös wortkargen Bo Cruz (Juancho Hernangomez), den er in einem «Pick-up Game» in einem mallorquinischen Hinterhof per Zufall entdeckt hat. Bo war mal auf dem Weg zum Profi, wurde dann aber 15-jährig Vater, ging auf den Bau und beliess es dabei, sich als Strassen-Basketballer ein bisschen was dazuzuverdienen. Für Stanley indes ist er «der neue Freak», «ein Einhorn», «eine mystische Gestalt». Mit der Aussicht auf den NBA-Mindestlohn von 900'000 Dollar vermag er Bo auch tatsächlich in die USA zu locken. Doch dort legt ihm nicht nur der ahnungslose Vince manchen Stein in den Weg zum Glück.

NBA-Legenden ohne Ende

«Hustle» ist mithin die klassische Underdog-Geschichte. Und weil Adam Sandlers Figur die Last eines gewaltigen früheren Fehlers mit sich herumschleppt, ist das obendrein noch eine Erlösungsgeschichte – auch das ganz klassisch, um nicht zu sagen: nachgerade formelhaft. Für Sandler ist dies schon die vierte Hauptrolle in einem Netflix-Film nach Noah Baumbachs scharfzüngigem Familiendrama «The Meyerowitz Stories», dem fieberhaften Husarenstreich «Uncut Gems» der Safdie-Brüder und der vergleichsweise lauwarmen Komödie «Murder Mystery»; und als Regisseur kam für den inzwischen nur noch gelegentlich unterschätzten Blödelbarden, der hier unter anderen mit Basketball-Superstar LeBron James auch als Produzent waltet, einzig und allein der aus Philadelphia stammende Jungregisseur Jeremiah Zagar infrage. Zagar hatte davor lediglich das zärtliche Coming-of-Age-Drama «We the Animals» verantwortet und war zunächst gar nicht daran interessiert, ein Sportdrama solch traditionellen Zuschnitts abzureissen; es sei dies eine Geschichte, die null subversiv und schon x-fach erzählt worden sei. Doch Sandlers Idee, mit realen Spielern zu drehen, und die technischen Herausforderungen führten bei Zagar dann doch noch zu einem Sinneswandel. Und das war vermutlich das Beste, was diesem Projekt passieren konnte. Denn wiewohl Zagar die Genreformeln nicht mal gross variiert, wirkt es stets frisch, frech, flott, was er hier macht. Die Highspeed-Inszenierung ist dank der agilen Kameraarbeit rassig, bissig, schmissig, die Gags sind knackig, köstlich, kernig, und wie der Basketball-Sport hier auf und neben dem Feld zelebriert wird, mit einem Grossaufgebot aktiver Helden und unsterblicher Legenden von Seth Curry über Dirk Nowitzki bis Doc Rivers – das ist magisch, mirakulös, magistral und nichts weniger als der wirklich wahr gewordene cineastische Traum eines jeden NBA-Fans.

In den Strassen von Philadelphia

Da hat also jemand trotz seiner jungen Jahre ganz viel richtig gemacht. Matchentscheidend ist am Ende indes etwas anderes: dass «Hustle» auch ausserhalb des Stadions eine gewisse Authentizität versprüht. Und das ist vornehmlich dem Spiel von Adam Sandler und des auf diesem Terrain gänzlich unerfahrenen Utah-Jazz-Profis Juancho Hernangomez sowie der verblüffend guten Chemie zwischen den beiden geschuldet. Nicht Zagar, sondern seine beiden Stars avancieren so zu den MVP dieses Films, den «Most Valuable Players», die den Sieg in diesem Millionenspiel um zweite Chancen und falsche Freunde, echte Loyalität und kühles Kalkül, neue Lektionen und alte Weisheiten schliesslich eintüten. Herrlich, wie lustvoll der latent frustrierte Stanley und der nur auf den ersten Blick cool wie ein Eisberg wirkende Bo sich zu necken vermögen und wie auch die eklatanten optischen Unterschiede zwischen dem geradezu infam nachlässig gewandeten Trainerpummel und dem sehr zeitgemäss grossflächig tätowierten Athletenkoloss herausgestrichen werden – etwa wenn Stanley aus dem Auto heraus ein kaltes Kotelette mampfend und dumme Sprüche reissend in den frühen Morgenstunden Bo durch die Strassen von Philadelphia scheucht. (Hat jemand Rocky geraunt? Oder allenfalls Creed?) Zwar schlägt der Film gerade in diesen Trainingssequenzen auch mal einen Haken zu viel; und gegen Ende der zwei Stunden Spielzeit hin gönnt er sich die eine oder andere – angesichts des sonst so hohen Tempos sicher berechtigte – Pause. Doch Sandler und Hernangomez sorgen dafür, dass die Spannung trotzdem nicht abfällt. Ja, man kann und soll es nicht anders sagen: Die beiden sind halt ein regelrechtes Dream-Team!