von Sandro Danilo Spadini
Viele sind es nicht, aber es gibt sie schon: Kunstschaffende aus anderen Sparten, die sich im Kino durchaus passabel schlagen. Der Autor Alex Garland etwa. Die Fotografin Sam
Taylor-Johnson. Der Modedesigner Tom Ford. Der Videokünstler Steve McQueen. Oder der Maler Julian Schnabel. Die iranische Multimediakünstlerin Shirin Neshat, 65-jährig und seit 1975 in den USA zu
Hause, gehört indes nicht dazu. Zwei Spielfilme hatte sie bisher gedreht, beide in Nordafrika; hohe Wellen geschlagen hat keiner der beiden. Und dass sich das mit
«Land of Dreams», ihrer ersten englischsprachigen
Kinoarbeit, ändern wird, kann man recht risikofrei ausschliessen. Basierend auf einem Skript des kürzlich verstorbenen französischen Autors Jean-Claude Carrière, erzählt sie hier mit ihrem
Co-Regisseur Shoja Azari von einem Amerika in nicht allzu ferner Zukunft. Eine junge Frau namens Simin (Sheila Vand), im Iran geboren und in Cincinnati aufgewachsen, reist im Auftrag des
Statistikamts durch den Mittleren Westen, um die Leute in den Suburbs nicht nur über nackte Fakten auszufragen, sondern auch über ihre Träume. «Zu Ihrer Sicherheit», wie Simin betont. Aber diese
Argumentation verfängt – zu Recht! – nicht bei allen. «Es ist das Gesetz, Honey», meint dagegen die sehr blonde Dame im Leopardenkostüm (Anna Gunn) zu ihrem skeptischen Gatten (Christopher
McDonald) und erzählt hernach freimütig von ihrem letzten Traum. Sie ist eine dieser ganz normalen Exzentriker, die Simin bei ihrer Arbeit trifft – und die Carrière und Neshat mit diesem
elitären Blick der ausländischen Intellektuellen betrachten, die sich ausserhalb der Küstenstädte in einer Parallelwelt wähnen und die Menschen im Heartland bestenfalls bloss komisch finden.
Entsprechend wenig Interesse zeigen sie an diesen nur halbwegs originell, nur halbherzig wirklich skurril gezeichneten Gestalten, die hinter den weissen Gartenzäunen und den USA-Flaggen hausen.
Und kein Wunder ist es da, dass ihnen dann kaum mehr als die üblichen Klischees von der tumben Rassistin und dem glühenden Schwulenhasser einfallen.
Flüchtige Ferndiagnose
Es ist ein Land in Angst, das hier in Roadmovie-Manier und Panoramaaufnahmen aus der Immigrantenperspektive und also quasi dem staunenden Blick von aussen geschildert wird. Ein Land, das sich vor
dem Fremden fürchtet, dem Abgehängtwerden, dem Verlust der Macht, dem Abhandenkommen der Identität, dem Fremdsein im eigenen Land. Ihre (Fern-)Diagnose der amerikanischen Gesellschaft mag Neshat
indes nicht mit verbissenem Furor vortragen, wofür ihr grundsätzlich Lob gebührt, sondern bissig und witzig, mit den Waffen der Satire – und poetisch und surrealistisch, mit entwaffnender
Schöngeistigkeit. Untermalt wird dieses flüchtige Sinnieren über Kunst, Krieg, Religion, Rassismus, Familie und Liebe von sphärischen Klängen, die ihren Teil beitragen zu der verträumten
Stimmung, die sich hie und da tatsächlich noch einstellt; illustriert ist es derweil mit krampfhaft kunstvoll anmutenden Aufnahmen von Orten und Unorten, die die Absonderlichkeiten dieses Landes
einfangen wollen, letztlich aber etwas profan und prosaisch sind: Bilder von Tankstellen bei Nacht, die einfach aussehen wie Tankstellen bei Nacht; von Bars, die nur ein klein bisschen schummrig
sind; oder von Behausungen und deren Bewohnern, die auf biedere Art schräg sein wollen.
Eine angenehme Erscheinung
Bisweilen ist das aber auch hübsch anzusehen: hier etwas Edward Hopper, da etwas David Lynch – wobei sich natürlich speziell Letzterer beim Thema Träume nachgerade aufdrängt. Neshat spart denn
auch nicht mit Reverenzen an den Zaren des Bizarren, tauft eine Figur Cooper, eine andere Palmer und lässt endlich auch noch Lynchs einstige Muse und Partnerin Isabella Rossellini auftreten.
Dessen (Alb)traumlandschaften vermag sie aber trotzdem nie zu evozieren, weder visuell noch strukturell. Stattdessen lässt sie Simin mit ihrem weltfremden Verehrer (William Moseley), ihrem
cowboyhaften Beschützer (Matt Dillon) oder einem schwarzen Künstler (Gaius Charles) in gestelzten Dialogen und erstaunlich ermüdender und nie erhellender Form philosophieren; oder sie lässt die
von Simin interviewten Verrückten ausführlich ihre Träume erzählen, was dann genau so spannend ist, wie es sich anhört und es eben ist, wenn andere einem davon berichten, was sie geträumt haben.
Das Potenzial ist hier zwar da; doch ist es offenkundig, dass Neshat nicht die Mittel findet, dieses umzusetzen, und dass sie sich nicht in ihrem angestammten Medium bewegt. «Land of Dreams» ist
insofern nicht mehr als eine Idee auf der Suche nach einer Vision. Ein Film, der formal weitestgehend so banal ist, wie er inhaltlich belanglos ist. Was er hingegen hat, ist in Sheila Vand («A
Girl Walks Home Alone at Night») eine Hauptdarstellerin, die neben zu vielen hölzernen Mimen eine gewisse Präsenz markiert. Ihre Simin ist sanftmütig, interessiert, geduldig und eine rundum
angenehme Erscheinung, wie sie da ohne Hast durch diese leider zu unspektakulären Landschaften schlafwandelt, die immerhin entfernt an Wim Wenders’ amerikanische Abenteuer erinnern. Einen im
Sturm einzunehmen, in einen Sog reinzuziehen und in diese stets leicht abgehobene, abgespacte Szenerie zurückzukatapultieren vermag sie mit dieser stillen Art aber naturgemäss nicht. Und so ist
auch die Gefahr nicht ganz gebannt, dass man zwischendurch mal einnickt. Aber vielleicht träumt man dann halt was Schönes. Es müssen ja keine allzu tiefschürfenden Träume sein. Aber wenigstens
wären es die eigenen.