von Sandro Danilo Spadini
Liest man die Grundprämisse der romantischen Komödie
«Marry Me», so könnte man auf den Gedanken kommen, Hollywood habe uns in eine Zeitmaschine verfrachtet und ein gutes
Vierteljahrhundert zurück in die Vergangenheit verpflanzt. Und da kann man nun ja an sich nichts dagegen haben. Was uns Regisseurin Kat Coiro und ihr Autorentrio hier vorfabulieren, geht also so:
Pop-Superstar Kat Valdez (Jennifer Lopez) möchte live auf einer Bühne in New York City vor 20 Millionen Zuschauern in einem minutiös choreografierten und monströs kommerzialisierten Mega-Event
den Sängerkollegen Bastian (Maluma) ehelichen. Doch just als sie zum Höhepunkt der Show schreiten und mit ihrem Galan den Welthit «Marry Me» schmachten und alsdann ihr Jawort in die Welt und
ihren Instagram-Feed posaunen will, poppt auf den Handybildschirmen die atemlos gepushte Breaking News auf, dass der ölige Tattoo-Tölpel Bastian sich mit Kats Assistentin vergnügt hat –
Videobeweis inklusive. Aber weil die bereits dreimal geschiedene Kat nun schon mal da und in ihre Hochzeitsklamotten gewandet ist, kann sie das ja auch gleich durchziehen. Und so lässt sie jetzt
ihren nur dezent verheulten Blick auf der Suche nach einem Ersatzprinzen durchs Publikum wandern und findet dabei ihn: Charlie Gilbert (Owen Wilson), geschiedener Mathelehrer an einer Highschool,
herzensguter Vater einer Kat anhimmelnden Teenagertochter und die Genügsamkeit in Person. Und da Charlie einfach niemandem ein Begehr abschlagen kann, macht er dann halt mit bei dieser Farce und
gelobt vor Millionen «OMG!!!» in ihr Handy hämmernder und Tausenden ihre Seele aus dem Leib kreischender Fans, diese Ikone der Popmusik zu lieben und zu ehren, bis dass der Ehevertrag sie
scheidet. Doch was sich als spleeniger Marketing-Jux mit naht- und pausenloser Social-Media-Anbindung anlässt, wächst sich – haben wir es doch geahnt! – bald zu einer ernsten Sache des Herzens
aus: zu einer spät und aus dem Nichts auftauchenden Chance für Kat und Charlie, ihr Leben in eine neue Richtung und die richtige Bahn zu lenken. Ob die beiden diese Chance aber auch nutzen
werden? Na aber sicher doch – es sei denn, Hollywood hat nach Jahren der Verschmähung dieses ehedem so populären Genres nun doch tatsächlich vergessen, wie Romcoms gehen.
Kaum Romantik und Komik
Es ist also reichlich albern, was man sich hier mal wieder ausgedacht hat. Aber das macht ja nichts – das war bei «Notting Hill» schliesslich auch nicht gross anders. Das Problem von «Marry Me»
ist vielmehr, dass man zwar alles algorithmenbasiert penibel durchgerechnet und zielgruppenoptimiert hat, um bloss den Zeitgeist nicht scheu zu machen; dass darob aber nicht nur die Flirts mit
Diversität und Feminismus zum anbiedernden Alibi gerinnen und sogar der Hund stereotyp besetzt wirkt, sondern vor allem auch, dass in dieser Kalkulation die beiden Kernelemente des Genres auf der
Strecke geblieben sind: Herz und Humor. Wenn Kat mithin von ihrem treuen Manager Colin (John Bradley) ermahnt wird, sie wolle doch kein Joke sein, und sie darauf entgegnet, sie wolle vielmehr
nicht die Pointe sein, dann muss sie sich keine Sorgen machen: Jokes und Pointen sind in diesem zuckrigen Märchen, das so generisch wirkt wie die in üppiger Menge von J.Lo dargebotenen Songs,
grösstenteils nicht auffindbar – weder bei Sarah Silverman in der Rolle von Charlies bester Freundin noch beim erschütternd sparwitzigen Jimmy Fallon, der hier nebst zahlreichen weiteren
TV-Persönlichkeiten quasi in Kommentarfunktion auftritt. Überhaupt hat es der Film, der doch tatsächlich auf einer Graphic Novel beruht, mit der Metaebene: Wie um zu untermauern, dass jetzt
gerade wirklich etwas passiert ist, werden unablässig Handybildschirme eingeblendet, wo gelikt, geteilt, spekuliert und protestiert wird. Denn während der Smartphone-lose Charlie null mit Social
Media am Hut hat, ist der Film so besessen davon wie der kommune aufmerksamkeitsdefizitäre Teenie. Und nicht nur der gehetzte Inszenierungsstil, sondern auch die gelackte Ästhetik nähert sich
hier den Sehgewohnheiten der TikTok-/Instagram-Generation an. Das kann man nun modern finden – oder ein wenig kunstfrei. Letzterer Eindruck wird jedenfalls noch dadurch verstärkt, dass diese
Mittelklasseproduktion vielleicht nicht billig, aber doch seltsam mickrig daherkommt.
Immerhin recht sympathisch
Bisweilen fragt man sich indes, ob die praktisch exklusiv mit Versatzstücken aus besseren Filmen und konsequent nach Schema F operierenden Macher und Macherinnen das alles überhaupt (be)kümmert.
Oder ob «Marry Me» einfach nur ein etwas aufwendigeres Vehikel ist, um Jennifer Lopez’ Musikkarriere in Schwung zu halten. «I was never fun», sagt ihre in manch fragwürdiges Outfit gewandete Kat
einmal, und eingedenk ihrer früheren Romcom-Schandtaten wie «Maid in Manhattan» oder «Monster In-Law» kann man dann einfach nicht anders, als energisch zustimmend mit dem Kopf zu nicken. Aber
immerhin: Ihre Figur ist sympathisch genug und die von Owen Wilson erst recht, auch wenn der seinen inneren Spassvogel dermassen zügelt, dass er nachgerade zur Schlaftablette schrumpft. Die
beiden als Liebespaar zu besetzen, geht dann derweil doch steil ins Abenteuerliche; und was sich schon auf dem Papier wie ein monumentaler «Mismatch» liest, entpuppt sich auch auf der Leinwand
nicht eben als Traumkombination: Von sprühenden Funken fehlt definitiv jede Spur. Oder um es neutraler auszudrücken: Die beiden pflegen einen höflich professionellen Umgang miteinander.
Anerkennung verdient dieses kuriose Casting gleichwohl, und zwar dafür, dass man hier für einmal zwei Stars Anfang 50 in romantische Gefilde entsendet, ohne dabei deren fortgeschrittenes Alter je
gross zu thematisieren. Hätten die Verantwortlichen von «Marry Me» doch nur öfter solchen Mut zur Abweichung bewiesen und einen etwas unverfroreneren Groove an den Tag gelegt, so wie das etwa die
ebenfalls frisch erschienene Amazon-Produktion «I Want You Back» auf überaus bezaubernde Art tut – die Reaktion auf das Kinocomeback der Romcom wäre deutlich euphorischer ausgefallen. So aber
schaut es in der Tat danach aus, als sei Hollywood in dieser Disziplin ein wenig aus der Übung geraten.