von Sandro Danilo Spadini
Ein Vierteljahrhundert ist tatsächlich schon vergangen, seit der Londoner Autor Alex Garland mit schmalen 26 Lenzen auf dem schmächtigen Buckel sein Debüt «The Beach» vorlegte und
eine vornehmlich jugendliche Leserschaft euphorisierte. Als der «erste grosse Roman der Generation X» im Jahr 2000 dann von Danny Boyle verfilmt wurde, war er längst zum Kult-Hit avanciert;
und wiewohl die Adaption lauwarme Reaktionen auslöste, hatte sie gewichtige Folgen wenigstens für Garland selbst – markierte sie doch bereits den Beginn seiner zweiten Karriere: seines
Wirkens fürs Kino. Nach zwei weiteren Kooperationen mit Boyle («28 Days Later», «Sunshine») sowie einigen weniger markanten Arbeiten machte er vor sieben Jahren mit dem Sci-Fi-Thriller «Ex
Machina» endlich den nächsten Schritt: vom Autorenpult auf den Regiestuhl. Einen neuen Roman hat er seit dem Drittling von 2004 nicht mehr geschrieben, mit dem Folk-Horror-Streifen
«Men» präsentiert er nun aber seine schon dritte
Regiearbeit.
Hell leuchtende Stars
Das filmische Schaffen dieses Alex Garland wird in den ersten Minuten seines neuen Streichs recht gut auf den Punkt gebracht: «Men» beginnt mit zwar verstörenden, aber gleichsam poetischen
Bildern – Farbfilter und Zeitlupe inklusive. Was unmittelbar folgt, ist indes maximal nüchtern und so prosaisch wie die Werbung für eine banale Mittelklassekarre. Und ebendieses
Nebeneinander von Simplem und Stupendem, von Sprödem und Raffiniertem, von Plattem und Originellem – das ist durchaus charakteristisch für Garlands Œuvre. Oder anders gesagt und weiter gefasst:
Sein Werk mag beseelt sein von manch zündender Idee und gelegentlichen Geistesblitzen; es ist aber auch durchzogen von Füllmaterial. Auf den grossen Wurf, der nach «The Beach» nur eine Frage der
Zeit schien, wartet man jedenfalls noch immer. Dieses Warten könnte mit «Men» nun freilich ein Ende finden – aber nicht so, wie es zu wünschen stünde, sondern einfach deshalb, weil man es
leid ist und aufgibt. Denn was Garland hier zumal am Ende veranstaltet, ist der Tiefpunkt schlechthin seiner Karriere. Dabei legt dieser Spuk noch halbwegs verheissungsvoll los: Die junge Witwe
Harper (Jessie Buckley) fährt zur Kur von der Stadt aufs Land, in ein fast 500 Jahre altes Herrschaftshaus in Herefordshire, wo sie erst von Vogelgezwitscher und Naturpracht und alsdann ihrem
Vermieter (Rory Kinnear) in Empfang genommen wird: einem Kauz, der zwar den linkischen Humor von Hugh Grant in «Notting Hill» hat, dessen gutes Aussehen und blasierte Noblesse aber durch
hinterwäldlerische Plumpheit und ein schauderhaftes Äusseres «kompensiert» – und der mithin mehr Creep als Kauz und das erste Highlight des Films ist. Harper ists aber mehr oder minder
einerlei; sie hat andere Sorgen, wie uns in Rückblenden gezeigt wird: Ihr Mann (Paapa Essiedu) hat sich womöglich das Leben genommen. Zumindest gab es da diese Ankündigung von ihm, nachdem sie
ihm ihren Scheidungswunsch eröffnet hatte. Aber vielleicht war es auch ein Unfall – den sie insofern provoziert hat, als sie ihn aus der Wohnung schmiss, nachdem er vom passiv-aggressiven in den
Brutalomodus gewechselt und sie geschlagen hatte. Aber seis drum: Wir werden es nicht rausfinden, und es ist auch nicht weiter wichtig. Worum es hier vielmehr geht, sind die Scheusslichkeiten,
die Frauen von Männern generell angetan werden. Harper erlebt bei ihren Streifzügen in malerischem Ambiente und ihren Begegnungen mit einem Geistlichen, einem Polizisten oder auch einem nackten
Stalker nämlich die ganze Palette männlichen Fehlverhaltens: aufdringlich, anzüglich herablassend, besserwisserisch, rückständig, belehrend, feindselig, tollpatschig, hasserfüllt grobschlächtig,
gewaltbereit. Es ist eine Parade des Grauens – und das quasi im doppelten Sinn. Denn obzwar die Stars – die viel beschäftigte Jesse Buckley und der in unterschiedlicher Kostümierung sämtliche
dieser Männerschweine verkörpernde Rory Kinnear – hell leuchten: Unter der prätentiösen Oberfläche ist das reichlich plakativ und in seinem provokanten Universalanspruch und den feministischen
Rachefantasien letztlich ziemlich anbiedernd.
Atmosphärisch dürftig
Bevor der Film im gruseligen, grauslichen, grauenhaften Schlussdrittel in destillierten, delirierenden, derangierten Horror eintaucht, ist das freilich eine sehr langsame und, ganz ehrlich,
bisweilen recht lahme Angelegenheit. Zum Beispiel: Man sieht eine Frau im Grünen, die kompetente Kamera von Garlands treuem Weggefährten Rob Hardy suggeriert Gefahr, der Frau ist ebenfalls
irgendwie mulmig zumute, doch wir fühlen: nichts. Und eben das ist die Krux dieses Films: Man kann das sicher so machen mit dem ewigen Andeuten und Hinhalten und Hinauszögern; manch Klassiker
dieses Genres hat das ja vorexerziert. Aber dann muss da mehr Geschlossenheit, mehr Stimmigkeit, mehr Atmosphäre sein. Nur so entwickelt sich ein Sog. Nur dann ist man mittendrin. Hier indes
bleibt es wie allzu oft bei Garland bei Ansätzen, recht guten zwar, aber das reicht nicht. Jedenfalls nicht, um uns an den Punkt zu bringen, wo Garland uns haben will. Dass vieles im Vagen
bleibt, ist das geringste Problem. Dass manches offen für Interpretation ist, hat vielmehr seinen Reiz. Aber dass wir uns die essenziellen Fragen auch stellen – dafür müssten wir uns erst mal
scheren.