von Sandro Danilo Spadini
Er solle alles vergessen, was er wisse, wird dem Polizisten Harold (Craig Robinson) in den frühen Minuten von
«Mona Lisa and the Blood Moon» von einem Glückskeks geraten. Und natürlich liegt da der Gedanke nahe, dass die
iranisch-britisch-amerikanische Regisseurin Ana Lily Amirpour damit auch uns etwas signalisieren will: dass nun nämlich etwas noch nie Dagewesenes folgt. Da Amirpour eine ist, die sich was traut
und sich mit ihren bisherigen beiden Spielfilmen als Grenzenausloterin und Konventionensprengerin gerade bei der Kritik überaus beliebt gemacht hat, dürfte das nicht mal gelogen sein; da das im
feministischen Vampirfilm «A Girl Walks Home Alone at Night» ziemlich gut, im Kannibalenthriller «The Bad Batch» dann aber nur mehr leidlich funktioniert hat, ist eine gewisse Skepsis gleichwohl
nicht verkehrt. Sowieso haben wir zu diesem Zeitpunkt schon ein bisschen was gesehen: wie die junge Koreanerin Mona Lisa Lee (Jun Jong-seo) eines struben Vollmondabends aus der
Hochsicherheitsabteilung einer Irrenanstalt nahe den Sümpfen von Louisiana getürmt ist und dabei übernatürliche Kräfte hat walten lassen. Rein mit der Macht ihrer Gedanken scheint die von einer
schweren schizophrenen Psychose gepeinigte Mona Lisa ihr Gegenüber dazu bringen zu können, zur Salzsäule zu erstarren oder sich selbst zu verletzen. Eine Gabe, die ihr nun auch in den schäbigen
Ecken und schmierigen Winkeln von New Orleans zupasskommen wird bei ihren zufälligen und allesamt feindseligen Intermezzi mit Wichten und Widerlingen, Huren und Halunken, Proleten und sonstigem
Pack. Willkommen im French Quarter!
Kein Tempo, kein Rausch
Ein-, zweimal gestaunt haben wir in diesen Anfangsminuten von Amirpours Drittling in der Tat – meistens aber eher ungläubig: über die penetrant verzerrten Bilder der torkelnden Kamera, über
den aufdringlichen Hornbrillen-Soundtrack, über die Stümpereien der teils offenbar vom Strassenrand rekrutierten Darsteller und über die fast pubertär anmutende Attitüde, jederzeit und überall
schräg und kantig sein zu wollen – und zwar rein um der kantigen Schrägheit willen. In den schwärzesten Momenten wirkt das wie ein Studiprojekt, allenfalls die Abschlussarbeit halt, aber
jedenfalls nicht wirklich wie richtiges, professionelles Filmschaffen. Das indes wird selbstverständlich ironisch zwinkernd so gewollt sein; das Ungeschliffene und Unvollkommene ist ja immer noch
schwer en vogue. Attraktiver macht das diesen neongrellen Horror aus der Hipster-Hölle trotzdem nicht. In seinen lichteren Phasen vermag dieser zwar immerhin an den französischen Cannes-Gewinner
«Titane» oder den Safdie-Brothers-Exzess «Good Time» zu erinnern. Allerdings schafft er es nie, einen ähnlich hypnotischen Sog zu entwickeln. Dafür ist da zu wenig Tempo, zu wenig Rausch. Und
dafür ist das nicht krass genug, nicht krud genug, nicht cool genug, nicht klug genug, nicht kult genug. Als Kunstfilm geht diese mit – schon wieder?!? – feministischen Rachefantasien getränkte
Aussenseitergeschichte so denn auch nicht recht durch. Zum Horrorfilm taugt sie indes ebenfalls kaum. Dafür wiederum ist sie zu blutarm. Und für alles andere zu blutleer.
Wenig Stil, weniger Substanz
Statt sich kopfüber in die Nacht zu stürzen, um es in Anlehnung an einen mondsüchtigen Kinostreifzug aus den Achtzigern zu sagen, und die Zeit nach Mitternacht zu zelebrieren, um jetzt auch noch
einen artverwandten Scorsese-Titel aus ebendieser Zeit einzustreuen, bleibt das letztlich recht mau und lau. Auch weil wir nicht das Geringste über die Heldin erfahren, wird nie richtig klar, was
hier eigentlich auf dem Spiel stehen soll. Man mag zwar mit einem gewissen Staunen erkennen, dass Mona Lisa die real existierende Welt erst noch entdecken muss, und ihr dafür applaudieren, wie
stoisch sie es hinnimmt, dass es hier draussen auch nicht viel besser, dafür umso verkommener zugeht als in der auf Erniedrigung spezialisierten Anstalt. Und man mag deshalb eine Weile mit ihr
durch die Nacht streunen, mit ihr ein paar Chips knabbern, im Stripclub einen Augenblick abhängen, etwas TV gucken; und wer weiss, vielleicht hat man sogar ein bisschen Spass dabei. Aber allzu
wild wird das nicht werden; und dass man von diesem Albtraummärchen einen Kater bekommen wird, steht erst recht nicht zu befürchten. Erinnerungslücken könnten indes sehr wohl auftreten – zumal
hier kaum was passiert und rein gar nichts von Belang. Und weil die komischen Käuze und freakigen Vögel, die Mona Lisas Irrweg kreuzen, nicht allzu erinnerungswürdig sind: Weder Fuzz (Ed Skrein),
der liebesnärrische Dealer mit Goldherz und Gesichtstattoo, noch Heavy-Metal-Fan Charlie (Evan Whitten), eines dieser schrulligen Kids, von denen das Indie-Kino einfach nicht genug bekommt,
hinterlassen bleibenden Eindruck; und dass die doch eher züchtige Kate Hudson als berechnende Stripperin, die Mona Lisa unter ihre Fittiche nimmt, keine Offenbarung sein würde, war eh irgendwie
abzusehen. Stil über Substanz – das scheint auch hier das Motto zu sein. Wobei es am Ende der Nacht freilich nur ein bisschen Stil und ganz wenig Substanz ist.