von Sandro Danilo Spadini
Ein gutes Dutzend Kino- und Fernsehadaptionen von Stephen-King-Werken befindet sich derzeit in der Pipeline; und noch einmal rund doppelt so viele sind schon mal angekündigt worden.
Nicht mehr lange also, und das Hundert ist voll! Dass bei diesem monumentalen Output nicht alles die Güte von «Carrie», «The Shining» oder «The Shawshank Redemption» haben kann, ist schon seit
den Neunzigern allgemein anerkannt, weshalb die Ankündigung der neusten Stephen-King-Verwertung schon längst kein Kribbeln mehr auszulösen vermag. Und trotzdem tauchen auch heute noch, fast ein
halbes Jahrhundert nach dem ersten Eintrag in die nunmehr auch von ein paar Doppelten gestreckte Filmografie des notorischen Vielschreibers, regelmässig Perlen im Kino und vor allem im Fernsehen
auf, die King zu verdanken sind: die Miniserien «11.22.63» und «The Outsider» etwa oder die drei Staffeln von «Mr. Mercedes». Die Werke, die aus Kings Kooperation mit Netflix entstanden sind,
gehören indes nicht dazu. Auch das neuste nicht,
«Mr. Harrigan’s Phone», basierend auf einer 88-seitigen Erzählung. Dabei wären hier die Voraussetzungen immerhin insofern günstig
gewesen, als mit John Lee Hancock («The Blind Side») ein profilierter Hollywood-Haudegen für Regie und Drehbuch verantwortlich zeichnet – und einer obendrein, der zuletzt mit der
Bonnie-&-Clyde-Geschichte «The Highwaymen» und dem Serienkiller-Schmankerl «The Little Things» eine absolut bestechende Form unter Beweis gestellt hat.
Ziemlich beste Freunde
Für Hancock freilich ist «Mr. Harrigan’s Phone» eine doch recht kleine Kiste, um nicht zu sagen: ein Kistchen. Standen in seinen beiden letzten Filmen die Superstars Kevin Costner und Woody
Harrelson sowie die drei Oscar-Preisträger Denzel Washington, Rami Malek und Jared Leto für ihn vor der Linse, so sind dieses Mal Youngster Jaeden Martell («It») und der 87-jährige Donald
Sutherland die einzigen Promis. Letzterer gibt den titelgebenden Mr. Harrigan: den reichsten Mann im Bundesstaat Maine, Junggeselle, kinderlos, von vielen gefürchtet, von manchen gehasst, eine
Figur wie aus einem Dickens-Roman. Nun aber – wir schreiben das Jahr 2003 – hat der knorrige Kerl auf seine uralten Tage hin doch noch einen Freund gefunden: den soeben mutterlos gewordenen
kleinen Craig (Martell), der fortan über eine Spanne von fünf Jahren dreimal die Woche zu ihm kommt, um ihm vorzulesen aus den Klassikern der Literaturgeschichte. Und nicht nur das: Zwischendurch
wird auch mal parliert, debattiert, philosophiert und diskutiert, erklärt der Alte dem Jungen die Welt von gestern und der Junge dem Alten, was die Welt von heute an Neuem zu bieten hat – das
Smartphone etwa, dieses kleine Wunderding, das Börsenkurse in Echtzeit anzeigt und einen die Artikel des «Wall Street Journal» lesen lässt, bevor sie gedruckt werden. Und als Craig ihm auch noch
sein Lieblingslied – Tammy Wynettes «Stand by Your Man» – als Klingelton einstellt, da ist Mr. Harrigan endgültig überzeugt, ja richtiggehend angetan, wiewohl er prophetisch auch bereits die
Gefahren erkennt, die mit dieser Revolution einhergehen. Gleichwohl wird das iPhone zu einem starken Band zwischen Craig und Mr. Harrigan – und das sogar über dessen Tod hinaus. So sehr ist
der an der Highschool strauchelnde Craig erschüttert, dass er nach der Mutter nun auch noch seinen Freund verloren hat, dass er diesem das Smartphone mit in den Sarg legt – auf dass er ihm
eine Nachricht hinterlassen kann, wenn es ihm besonders mies geht. So weit, so halbwegs normal und einigermassen nachvollziehbar. Dann jedoch, als sich Craig gerade beim Verblichenen über einen
üblen Schikaneur an der Schule (Cyrus Arnold) ausgelassen hat, ertönt wider jede Logik tatsächlich Tammy Wynette und kündet eine – indes allzu kryptische – Botschaft von Mr. Harrigan an. Und
als am nächsten Tag der Bully von der Schule tot aufgefunden wird, da wird es erst recht bunt und Craig so richtig mulmig zumute. Was ihn freilich nicht davon abhält, weiterhin SMS ins Jenseits
zu senden.
Mässig motivierte Regie
Telefonische Kontaktaufnahme von ennet dem Jordan? Das hatten wir doch gerade eben. «The Black Phone» hiess dieser Horrorthriller, der dank stupender Story, spannender Charaktere und stimmiger
Atmosphäre Kritik und Publikum gleichermassen froh machte. Zumindest letztere Qualität darf auch «Mr. Harrigan’s Phone» für sich reklamieren. Und nicht nur stimmig ist die Atmosphäre hier
– sie ist auch typisch King: eine verschlafene Kleinstadt («eigentlich mehr ein Dorf») in New England, in herbstliches Graubraun getaucht und von einem nostalgischen Schleier überzogen.
Leider aber kippt dieses Melancholisch-Träumerische allzu oft ins Lethargisch-Sedierte und von da aus geradewegs ins Freudlos-Deprimierende. Dies nicht zuletzt, weil dieser Craig ein fürchterlich
unfroher Junge ist, dem im Verlauf der von allenfalls homöopathischem Horror gesäumten handelsüblichen Coming-of-Age-Geschichte kaum je ein Lächeln über die Lippen huscht. Aber auch der Film
selbst zieht keinerlei Spass aus seiner verrückten Prämisse. Stattdessen verwendet er ungesund viel Zeit darauf, sich mit der Beschaffenheit und der Benutzeroberfläche des ersten iPhone-Modells
auseinanderzusetzen und sich in trivialer Technologiekritik zu ergehen. Das ist nicht nur wenig elegant und nachgerade profan; es nimmt auch nochmals Tempo raus aus dieser ohnehin nicht gerade
rasanten Sache. Denn Hancock ist hier überhaupt nicht in Eile, trödelt bisweilen sogar ein wenig – nur um in den entscheidenden Momenten, bei den Dingen, die in diesem arg dünnen Plot einen
Unterschied machen könnten, auf einmal zu beschleunigen. Das Drama, das hier weit höher gewichtet wird als der Schrecken, kann sich so denn auch nie voll entfalten und bleibt letztlich an der
Oberfläche hängen. Ebendort verharrt auch Craig, der bei aller ihm zuteilwerdenden Aufmerksamkeit ein auffallend unauffälliger Geselle bleibt; und von den «furchtbaren Geheimnissen», die Mr.
Harrigan zu Beginn in Aussicht gestellt hat, hört man dann schlampigerweise grad gar nichts mehr. Wenig Sorgfalt lässt das Skript von John Lee Hancock freilich auch andernorts walten; und
überhaupt gewinnt man allmählich den Eindruck, der 66-jährige Texaner sei hier mit nur mässiger Motivation am Werk gewesen. Man mag es ihm nachsehen, ist das doch eine Vorlage, die von vielem ein
bisschen was sein möchte und von nichts richtig was ist. Niemand und nichts sticht hier heraus: keine Figur, kein Darsteller, keine Aufnahme, keine Idee – nicht mal Dialogfetzen gibt es, die
haften bleiben würden. Unter dem Schlussstrich, der in fast lustlos antiklimaktischer Manier nach etwas über 100 Minuten gezogen wird, ist das eine ziemlich zahme und lästig lahme Angelegenheit
– und mithin eher etwas vom Stephen-King-Restposten-Wühltisch.