Was zur Hölle ist auf dem Highway los?

Der Thriller «Paradise Highway» ist ansprechend fotografiert und von der prominenten Besetzung solide gespielt, ansonsten aber trotz gewichtigen Themas ein ausgesprochen unbemerkenswerter Film, der am krampfhaften Bemühen um Relevanz erstickt.

Morgan Freeman und Juliette Binoche im Film Paradise Highway

Praesens-Film

von Sandro Danilo Spadini

Das ist ein verwirrender Film – und dies von aller Anfang an und gleich an mehreren Fronten. So stutzen nicht nur die Kolleginnen ob des «komischen» Akzents, den sie jeweils via Funk von dieser Sally vernehmen. Auch wir aus der erlauchten Cineastengemeinde sind zutiefst irritiert: darüber, von wem die dem Vernehmen nach aus Québec stammende Bandana- und Flanellhemd-Trägerin gespielt wird. In einer Rolle, die typischerweise Vierschrötern à la Jason Statham vorbehalten ist, blickt uns aus dem Führerstand eines mächtigen Trucks doch tatsächlich die distinguierte zierliche französische Oscar-Preisträgerin Juliette Binoche grimmig entgegen – die obendrein die Schwester des New Yorkers Frank Grillo gibt, eines Kerls, der weder als distinguiert noch zierlich noch französisch durchgeht. Es mag ja schön und gut, kess und keck sein, jemanden auch mal gegen den Typ zu besetzen. Aber Binoche als toughe LKW-Fahrerin? Das ist etwa so weit hergeholt, wie wenn Frank Grillo (oder Jason Statham) in die Rolle eines Gender-Studies-Professors gezwängt würde. Aber klar: Madame Binoche ist halt eine grösserkalibrige Nummer, gehört zu den profiliertesten Aktricen ihrer Generation und liefert trotzdem auch hier eine immerhin solide Performance ab. Und überhaupt ist das nicht mal die abenteuerlichste Truckerfrau-Besetzung in dem auch mit Schweizer Geld produzierten Thriller «Paradise Highway»: Diesen Titel staubt Veronica Ferres ab, deren Rolle freilich so klein ist, dass man sich wundert, weshalb ihr Name im Vorspann auftaucht. Wieder so eine Irritation – und bei Weitem noch nicht die letzte.

Blutleer und spannungsarm

Zunächst indes ist es Sally, die sich die Augen reibt. Zum Schutz ihres Bruders Dennis, der kurz vor der Entlassung aus dem Knast von gesichtslos bleibenden Grobianen bedroht wird, willigt sie abermals ein, eine illegale Fracht quer durch den US-Süden zu transportieren. Nur besteht diesmal das Cargo-Gut nicht aus Drogen, sondern aus einem Menschen: der etwa zwölfjährigen Leila (Hala Finley), die einem Kinderhändlerring in die schmierigen Klauen gefallen ist. Widerwillig und angewidert macht sich Sally auf den Weg zum vereinbarten Ort der Übergabe. Dort jedoch erlebt der feiste Ekelprotz, der die «Fracht» in Empfang nehmen soll, sein wohlverdientes tiefblaues Wunder, als ihn Leila mit Sallys Schrotflinte zielsicher über den Haufen schiesst. Und das ist der Moment, in dem für diese Schicksalsgemeinschaft die Flucht über die Highways des Südens beginnt – vor den gewissenlosen Häschern sowie den Hütern des Gesetzes, die in Person eines pensionierten FBI-Doyens (Morgan Freeman) und seines studierten jungen Sidekicks (Dominik Monaghan) die Spur aufnehmen. Es ist auch der Moment, in dem der Film der norwegischen Regie- und Drehbuchdebütantin Anna Gutto Fahrt aufnehmen könnte. Sollte. Müsste. Doch zur nächsten allgemeinen Verwunderung tuckert die Handlung auch nach dieser vermeintlichen Initialzündung gemächlich ihrem absehbaren Ziel entgegen. Dass auf dieser Reise auf ausbeuterische Schockeffekte verzichtet wird, ist angesichts der Tragweite des Themas zwar löblich oder zumindest legitim. Doch dann sollte das zwingend tiefer gehen, müsste sich der Film reinbeissen in die traurige Thematik, seine Systemkritik mit zähnefletschendem Furor vorbringen und die Figuren mit viel mehr Fleisch am Knochen ausstaffieren. Was wir stattdessen zu sehen bekommen, ist nebst einem beherzten Griff in die Klischeekiste ein oberflächliches, unentschlossenes und öfters orientierungslos wirkendes Herumstreifen um die Abgründe herum. Jederzeit spürbar ist dabei freilich das beinahe krampfhafte Bemühen um Relevanz, an dem der Film endlich erstickt. Wegen des Spannungsmangels und seines emotionalen Vakuums funktioniert dieser am Ende denn auch weder recht als Thriller noch als Drama, und das wiederum hat auch mit seiner grundsätzlichen Attitüde und einem doppelten Versagen Guttos zu tun: als Autorin, deren Skript dringend mehr Kick brauchte, wie auch als Regisseurin, deren Inszenierung ein Tritt ins Hinterteil guttun würde. Schmissiger und schnittiger müsste das sein, Letzteres auch in dem Sinne, dass sich einige seiner 115 Minuten Spielzeit locker hätten einsparen lassen.

Höchstens flüchtige Freuden

Seine besten Momente hat der Film, wenn er das Leben auf Achse beschreibt, Sally über Tricks, Kniffs und Unbilden referieren lässt, die spezielle Stimmung auf den Rastplätzen einfängt. Da gelingen Gutto einige stimmungsvolle Aufnahmen in spannenden Szenerien, die umso verheissungsvoller wären, als sie meistens ansprechend fotografiert sind. Doch leider öffnet sie die Tür zu diesen Unorten einer ganz eigenen, fremden Welt nur einen Spaltbreit, sodass der Erkenntnisgewinn beschränkt bleibt. Auch die Handvoll Landschaftspanoramen sind bloss eine flüchtige Freude und viel zu wenig, um Südstaaten-Atmosphäre zu erzeugen. Der grösste Trumpf von «Paradise Highway» ist indes seine prominente Besetzung. Aber auch hier passt über das exzentrische Casting hinaus allzu viel nicht zusammen: Juliette Binoche und der meist bloss telefonisch präsente Frank Grillo disqualifizieren sich rein schon wegen ihrer komplett unterschiedlichen Akzente als Geschwisterpaar, derweil dem natürlich ungleichen FBI-Duo Freeman/Monaghan die üblichen Scharmützel verordnet werden: hier der grantige Alte mit 50 Dienstjahren, der sich über die modernen Methoden seines Partners mokiert; dort der idealistische Yale-Abgänger, der noch so einiges über die Vorteile des Analogen lernen muss. Kein Wunder, schalten die beiden auf Autopilot. Und auch in der Beziehung, die im Zentrum des Geschehens steht, passiert nichts Weltbewegendes: Dass die bärbeissige Sally irgendwann zu Leilas Ersatzmutter würde – das war nun wirklich absehbar. Vom Twist, mit dem Gutto am Ende noch ein wenig Feuer reinbringen will, lässt sich dies hingegen kaum sagen. Leider ist der aber eher halb gar und verfehlt seine Wirkung: Statt zu erschüttern, löst er Verwunderung aus – was dann ja wieder konsequent und symptomatisch wäre. Denn wie für den Rest gilt auch hier: Das ist einfach nicht sonderlich gut gemacht.