von Sandro Danilo Spadini
«Wo zur Hölle bin ich?», ist das Erste, was man von ihr hört. Die Prinzessin von Wales drückt am Steuer ihres Porsche-Cabrios damit zwar bloss ihren Unmut darüber aus, dass sie sich auf dem Weg
zur royalen Weihnachtsfeier heillos verfahren hat. Doch als sie dann endlich im Sandringham House in Norfolk eintrifft, fühlt sie sich noch immer verloren und deplatziert. Sie will da nicht hin.
Sie gehört da nicht hin. Obwohl sie doch «gleich dort drüben hinter dem Hügel» aufgewachsen ist. Doch das ist eine Ewigkeit her. Eine Erinnerung aus einem anderen Leben. Als sie noch Diana
Spencer war. Nicht Lady Di, die die unentwegt allgegenwärtige Öffentlichkeit zur «Königin der Herzen» idealisieren und zum Objekt ihrer nie enden wollenden Neugierde degradieren sollte. Es war
die Zeit, als sie noch ein Mensch sein durfte. Und diese Zeit sehnt und fantasiert sie nun mehr denn je wieder herbei. Doch einstweilen ist sie hier, in diesem mächtigen Kasten, in dem es ihr
stets zu kalt ist und wo es sie auch sonst permanent fröstelt. «Drei Tage – that’s it», sagt sie sich. Drei Tage an einem Ort, wo es nur eine Zeit gibt, wie sie ihren beiden Söhnen einmal sagt:
Die Zukunft existiere nicht, und die Gegenwart und die Vergangenheit seien ein und dasselbe. Auch wegen solcher zumindest halblauter Unmutsbekundungen sind sie hier, wo es überall Augen und Ohren
hat, besorgt ihretwegen. Alle reden sie denn auch auf sie ein, erinnern sie an ihre Pflichten, gemahnen sie, die für sie vorgesehene Rolle zu verkörpern. «Die alberne Aufmerksamkeit, die Ihre
königliche Hoheit erregt», macht sie nervös. Wobei: Zeigen würden Charles oder die Queen das sicher nicht. Und Regisseur Pablo Larraín hat auch wenig Interesse daran, zu zeigen, was diese
ausgestopften Komparsen umtreibt. Er hat nur Augen für Diana, die ihrerseits erst mal um das Wohl ihrer Söhne besorgt ist. Alles andere ist Dekoration. Diana ist buchstäblich wie sprichwörtlich
der Farbtupfer in dieser stocksteifen Tristesse in Braun und Grau, dieser musealen Freudlosigkeit in Beige und Grün, wo alle – die Königsfamilie ebenso wie die öfter in den Fokus gerückten
Bediensteten – in erstickender Traditionswahrung und lähmendem Pflichtbewusstsein gefangen sind. Und wo Dianas wiederholte Missachtung des heiligen Protokolls das grössere Problem scheint als die
Tatsache, dass sie sich von alledem innerlich längst verabschiedet hat, die Fesseln wie diese gottverdammte Perlenkette abstreifen und nur noch raus will aus diesem goldenen Käfig, über dem ein
solch dicker Schleier hängt, dass kein Licht und keine Hoffnung und nicht einmal mehr Luft zum Atmen durchdringt.
Angespannt, abgestumpft, ausgelaugt
Es ist die Weihnachtszeit im Jahr 1991, die Larraín zum Anlass nimmt, seine in milchigem Look gehaltene «Fabel basierend auf einer wahren Tragödie» zu erzählen und dabei nach demselben Muster wie
vor fünf Jahren in «Jackie» das Psychogramm einer Ikone in einer Extremsituation zu entwerfen. Auch damals bei seinem englischsprachigen Debüt waren es just drei Tage, die der Chilene die
trauernde Witwe von John F. Kennedy begleitete. Das war freilich eine Geschichte von ganz anderer historischer Tragweite; dafür geht es hier umso bewegter zu und her, kippt die Sache bisweilen
unvermittelt ins Hysterische, ins Surreale, ins Delirierende, um sich dann doch wieder der Etikette gewahr zu werden und sich wie die Protagonistin mit scheinbar letzter Kraft am Riemen zu
reissen. Diese Kraft indes, sie ist endlich. Die Diana, die in
«Spencer» gezeigt wird, ist angespannt, abgestumpft, ausgelaugt. Und sie ist königlich angepisst: am Ende nicht nur ihrer Kraft,
sondern auch ihrer Geduld, wie ihre gehauchten Worte und gehetzten Gesten unmissverständlich kundtun und wie das der freakig-freejazzige Soundtrack von Radiohead-Guru Jonny Greenwood und die
flatterhafte Kamera von Claire Mathon («Portrait de la jeune fille en feu») nachdrücklich bekräftigen.
Knackige Dialoge, kernige Weisheiten
In Kristen Stewart, dem immer latent gereizt wirkenden einstigen Teeniestar, der es längst zur Charaktermimin gebracht hat, findet diese Figur mithin ihre geradezu ideale Darstellerin. Ein Film
wie dieser verlangt von seiner Hauptdarstellerin ja Enormes ab, eine gleichsam erschlagende Präsenz. Und Stewart bleibt da tatsächlich nichts schuldig und liefert ab, was unabdingbar ist, damit
«Spencer» funktioniert, damit dieses «Mood Piece» zur intendierten Opfergeschichte gerinnt und nicht im betulichen Niemandsland zwischen «The Crown» und «Downton Abbey» hängen bleibt. Der Sog,
den der Film trotz fast aufreizend gemächlichem Erzähltempo entwickelt, ist denn auch zuvörderst Stewarts Verdienst, wiewohl auch Timothy Spall als wachsamer Zeremonienmeister, Sean Harris als
verständnisvoller Küchenchef, Sally Hawkins als mit Rat und Tat assistierende Anziehdame und Jack Farthing als Charles, der Diana einfach nicht in die Augen schauen kann, allesamt ein Quell
cineastischer Erquickung sind. Nichts weniger lässt sich über das Skript von Steven Knight sagen, in dessen Schaffen sich Glänzendes wie das Ein-Personen-Stück «Locke» und Grausliches wie die
Pandemiekomödie «Locked Down» abzuwechseln pflegen. Hier nun ist Knight wieder in Hochform und kredenzt ohne Unterlass knackige Dialoge und kernige Weisheiten. Das indes ändert nichts an der
unangenehmen Wahrheit, dass der Film seine Botschaft schon recht bald einmal ausgesendet hat und das meiste danach primär nur mehr dem Unterstreichen und Untermauern dient. Und das letzte Drittel
kaum mehr Eminentes zu verkünden weiss.