von Sandro Danilo Spadini
Der eine möchte einfach nett sein, der andere will nur seine Ruhe haben: Zu viel verlangt ist das sicher nicht, was der Farmer Pádraic (Colin Farrell) und der Folkmusiker Colm
(Brendan Gleeson) vom Leben auf einer abgelegenen Insel an der irischen Westküste im Frühjahr 1923 erwarten. Und doch reicht es aus, um die jahrzehntealte Freundschaft zwischen den beiden
Saufkumpanen zu beenden. Denn der um einiges ältere Colm ist wild entschlossen, die Zeit, die ihm bleibt, sinnvoll zu nutzen: mit dem Kreieren eines Werks, das ihm Ruhm über den Tod hinaus
beschert und verhindert, dass er wie alle anderen hier in diesem Kaff namens Inisherin dereinst der Vergessenheit anheimfallen wird. Kostbare Stunden mit seinem zwar beliebten, aber auch ziemlich
langweiligen Kumpel zu verplempern, kommt da nicht mehr in die Tüte. Als er Pádraic also eröffnet, er wolle fürderhin nichts mehr mit ihm zu tun haben, glaubt dieser erst an einen Scherz
– zumal es tatsächlich der 1. April ist, als Colm erklärt: Er habe nichts gesagt, er habe nichts getan; er möge ihn einfach nicht mehr. Aber dann, als Pádraic realisiert, dass es seinem
Freund ernst, ja todernst ist: «Fecking Hell!» Was soll er auch sonst sagen, der arme Tropf, der seinen Vater verloren hat, seine Mutter verloren hat und nun damit klarkommen muss, dass er auch
noch seinen besten Freund und, was er da freilich noch nicht weiss, obendrein bald seine bereits auf halb gepackten Koffern sitzende Schwester (Kerry Condon) verlieren wird. Noch indes ist die
patente Siobhán da, und gemeinsam mit ihr und dem so tumben wie leidgeprüften Dominic (Barry Keoghan) versucht er, Colm umzustimmen. Doch der stellt sich stur und ein rabiat-rigoroses Ultimatum:
Für jedes Mal, dass Pádraic ihn anspreche, werde er sich einen Finger abhauen. «Fecking Hell!»
Das Leben ist hart, und dann stirbt man
Eine saftig grüne Irland-Idylle samt Regenbogen kredenzt uns Regisseur und Drehbuchautor Martin McDonagh («Three Billboards Outside Ebbing, Missouri) zum Auftakt von
«The Banshees of Inisherin», seinem mittlerweile
vierten Spielfilm, in dem er mit Colin Farrell und Brendan Gleeson die beiden Stars aus seinem Debüt «In Bruges» (2008) wiedervereint. Doch je länger und je genauer man hinschaut, desto mehr Grau
offenbart sich in diesem Grün. Und desto mehr wird man des Grauens gewahr, das sich hinter dieser lakonisch-skurrilen Fassade verbirgt, die McDonagh mit geduldeinfordernder Sorgfalt Stein um
Stein aufbaut. Da sind zum offensichtlicheren einen der Kugelhagel und das Donnergrollen, die als letzte Ausläufer des irischen Bürgerkriegs von nicht allzu weiter Ferne zur fiktiven Insel
Inisherin hinüberdringen; und da ist zum hintergründigen anderen eine tonnenschwere Tristesse, wie sie Käffern wie diesem eigen ist, in denen das lokale Pub die einzige Attraktion ist, zumal es
da immerhin dann und wann Musik gibt und es ab und zu, wenn auch selten, sogar Frauen hat. Und dazu gesellt sich diese lethargische Leere, die ab zwei Uhr nachmittags mit Whiskey und Guinness
gefüllt wird; eine monumentale Melancholie, weil der Tod hier auf die eine oder andere Weise allgegenwärtig ist; ein fundamentaler Fatalismus, da sich doch nie etwas ändern wird und weil auch
niemand will, dass sich je etwas ändern soll; und am schlimmsten wahrscheinlich: die bittere Bösartigkeit, die diesem nur vordergründig neckisch feixenden Menschenschlag innewohnt. Ob der
Polizist, der Priester, die Krämerin oder die Dorfälteste: Alle tragen sie das Schwarze im Herzen, harte Schale, modriger Kern, und ihren Nächsten wünschen sie nur das Übelste an den Hals und die
Pest gleich noch dazu. Da wird im Suff der Sohn befummelt, der Nachbar verprügelt, die Gattin abgestochen oder sich in den Fluten ertränkt. Unfrei nach dem Motto: Life is hard, and then you die.
Und so offenbart sich diese Postkartenkulisse mit ihrem rauen Charme und dem herben Humor endlich als zutiefst trostlos. Kahl. Öde. Kalt. Fade. Und die Leute? Verbittert. Vereinsamt. Verblödet.
Verloren.
Ein eingespieltes Duo
So furchtbar deprimierend das nun alles klingen mag: «The Banshees of Inisherin» ist, so wie es sich für einen Film des eigentlich vom Theater kommenden Martin McDonagh halt gehört, zugleich ein
makabrer Heidenspass. Dass die unvermittelt von Eselkacke zu Essenziellem hopsenden Dialoge ihre ganz spezielle schwarzhumorige Färbung haben würden, stand selbstredend zu erwarten und wurde von
diesem Wortschmied bitte sehr auch erwartet; dass McDonagh sie aber derart kunstvoll ausgestalten würde, verblüfft und verzückt dann doch. Eine nachgerade lyrische Note hat das Geplänkel zwischen
dem ungleichen Paar Pádraic und Colm, dem Dumpfen und dem Denker, mit einem Takt, der einen zu betäuben sucht mit seinem stoischen Ton und Tempo, seinen endlosen Wiederholungen und einen
reinreissen will in den Strudel, die Endlosschleife, den Trott des Immergleichen, nie Leichten, in dem diese traurigen Gesellen ohne Hoffnung auf einen Ausweg gefangen sind. Und Farrell und
Gleeson legen bei ihrer meisterhaften Darbietung dieses Wortwitzzaubers eine ähnliche Dynamik an den Tag wie in ihrem längst zum Kult avancierten Tête-à-Tête aus «In Bruges»: der eine noch etwas
dödeliger als damals, der andere noch knorriger. Dass sie von Kerry Condon («Rome») und Barry Keoghan («Dunkirk») gleichwohl bisweilen in den Schatten gedrängt werden und um die Show fürchten
müssen, ist eine der vielen Guinness-Schaum-Häubchen dieser Augenweide von einem Film, der einerseits so unstet ist wie das irische Wetter und andererseits so berechenbar wie dieses mit seiner
unverrückbaren Regel, dass auf jeden Sonnenschein garantiert in Kürze ein Schauer folgen wird. Es müsste mithin schon mit dem Teufel oder sonst der titelgebenden Todesfee zugehen, wenn «The
Banshees of Inisherin» bei den Oscars 2023 nicht in sämtlichen wichtigen Kategorien nominiert würde.