von Sandro Danilo Spadini
So ist das italienische Kino. Es geht ums Leben. Es geht um die Liebe. Es geht um den Tod. Drunter machen sie es nicht. Zumal dann nicht, wenn da jemand am Werk ist, dem man eine
gewisse Ambition unterstellen darf: ein Paolo Sorrentino und ein Paolo Virzì etwa oder auch ein Paolo Genovese und ein Gabriele Muccino. Der 74-jährige Gianni Di Gregorio ist derweil ein Mann von
gezügelter Ambition – ein Output von ganzen fünf Regie- und lediglich rund doppelt so vielen Drehbucharbeiten zeugt davon. Zwar geht es auch in seinen stets kurzen und im sympathischsten Sinn
kleinen Filmen, deren erster und – doch, doch – «wichtigster» die preisgekrönte Komödie «Pranzo di ferragosto» von 2008 war, durchaus auch ums Leben, gerne auch einmal um die Liebe und
immerhin insofern um den Tod, als die Protagonisten seiner launigen Erzählungen typischerweise schon in einem recht fortgeschrittenen Alter sind. Es geschieht dies aber auf eine ausgesprochen
leichte Art, auf eine milde Weise. Ja man könnte wohl sagen, dass Gianni Di Gregorio leichte und milde Filme dreht: milde gestimmt, leicht witzig, milde unterhaltend, leicht skurril. Bedächtig
und bekömmlich, gemütlich und gelassen, herzig und harmlos sind sie auf den ersten flüchtigen Blick. Eine schlichte Sache. Simple Storys. Sparsame Schauplätze. Überschaubares Personal. Gezähmtes
Temperament. Geschichten aus dem Alltag – oder besser: über die dezenten Turbulenzen, die sich ergeben, wenn dieser Alltag aus dem Tritt gerät, der Trott gestört wird. Nichts Disruptives. Nichts
Spektakuläres. Nichts Weltbewegendes, möchte man meinen. Doch unter der spartanischen Oberfläche, da sprudelt eine umarmende Menschlichkeit, ganz und gar echt, vollkommen ungekünstelt, komplett
unaufdringlich. Und so vermögen diese nie unsere Aufmerksamkeit überstrapazierenden und selten länger als 80 Minuten um selbige buhlenden Miniaturen eben doch einiges zu geben. Denn eines ist
gewiss: Nach einem Film von Gianni Di Gregorio gehts einem besser. So wie nach einem Aperol Spritz unter der sommerlichen Mittagssonne.
Der vergammelte Palazzo
Nehmen wir
«Astolfo», sein neustes Werk, in dem er wie stets für die Regie, das Skript und die Hauptrolle verantwortlich
zeichnet. Da muss der Titelheld, ein pensionierter Professore aus Rom, schon in der Auftaktszene ganz unvermittelt einen Tiefschlag einstecken: Seine Vermieterin eröffnet ihm, dass er nach einer
halben Ewigkeit aus seiner Stadtwohnung ausziehen müsse, weil ihre Tochter – gerade noch «una bambina»! – heirate und eine neue Bleibe brauche. Okay, einen kleinen Moment braucht der etwas
verträumte Astolfo, um sich zu sammeln. Doch dann fällt ihm ein, dass seine längst verarmte Familie draussen auf dem Land in den Hügeln doch dieses herrschaftliche Haus hatte, das nun eigentlich
ihm gehören müsste. Ein Anruf bei der Ex-Frau – sicher ist sicher – bestätigt ihm das. Und ja, das Haus sei unbewohnt – zumindest sei es dies vor 20 Jahren gewesen. Also packt Astolfo einen
Koffer – tatsächlich nur einen – und steigt in seinen nicht mehr ganz so blütenweissen Fiat Panda. Es beginnt eine Reise in die Vergangenheit, zu den Wurzeln – Astolfo war seit
Jahrzehnten nicht mehr dort. Und mehr noch ein Trip in die Zukunft, in ein neues Leben. Denn lange dauert es nicht, bis sich der bescheidene Mann mit dem kunsthistorisch wuchtigen Namen («Orlando
Furioso»!) in das Land verliebt, in die Leute – und ganz besonders in Stefania (Stefania Sandrelli), eine sanftmütige, alte Filme liebende und ein jugendliches Lächeln lachende Witwe, die
ihm sein Playboy-Cousin (Alfonso Santagata) vorgestellt hat. Was kümmert es ihn da, dass seine Ankunft vom Bürgermeister (Simone Colombari) und vom Pater (Andrea Cosentino) mit Argwohn quittiert
wird. Dass sein 500 Jahre altes Haus – ein wahrer Palazzo notabene – ziemlich heruntergekommen ist, um nicht zu sagen: vergammelt. Und dass darin «seit sieben, acht Jahren» ein reichlich
zerfledderter Typ (Alberto Testone) haust, der aber immerhin auf der Couch zu schlafen pflegt – «dein Bett habe ich nie angerührt!» Vielmehr freut sich Astolfo sogar über dessen Gesellschaft; und
deshalb ziehen dann bald auch noch ein pensionierter Koch (Gigio Morra) und ein arbeitsloser junger Handwerker (Mauro Lamantia) bei ihm ein – lauter Aussenseiter also oder wie es der zwielichtige
Pater von nebenan ausdrückt: «Leute, die ausserhalb der Zivilisation leben».
Ein sonnendurchfluteter Zauber
Grosse Verwerfungen sucht man in «Astolfo» gleichwohl (und ungeachtet der Andeutung im Filmtitel) vergebens – ein paar Scharmützel mit den korrupten örtlichen Obrigkeiten um die Eigentumsrechte
und Stefanias misstrauisch-missgünstiger Sohn (Biagio Forestieri), der die Babysitter-Dienste seiner Mutter wohl nur allzu gerne und selbstverständlich in Anspruch nimmt, ihr aber kein eigenes
Leben gönnt – das wars mit Drama. Und auch herzzerreissende Gefühle und zwerchfellzerfetzender Klamauk werden hier natürlich so wenig aufgetischt wie markerschütternde Weisheiten; dafür ist
das alles viel zu entspannt, unprätentiös und gleichsam altersgerecht. Was bei Di Gregorio stattdessen auf dem Menüplan steht: immer mal wieder was zu schmunzeln, etwa wenn Astolfo im Kreise
seiner neuen Freunden mit der Inbrunst eines verzagten Teenagers absolut hilflos auf Stefanias erste Textnachricht reagiert: Was solle er jetzt schreiben? Er sei doch eh zu alt, vom Leben
gezeichnet, was habe er dieser schönen Signora schon zu bieten? Und überhaupt sei das lächerlich. Das sind die Momente, die diesen sonnendurchfluteten und in seinem prächtigen ländlichen Ambiente
aufgehenden Film ausmachen. Von Magie ist das zwar noch weit entfernt – Gianni Di Gregorio ist definitiv kein Magier. Aber zu verzaubern vermag er doch immer wieder aufs Neue. Das dann
schon.