von Sandro Danilo Spadini
Am Anfang dröhnt es bedrohlich. Doch dann legt sich eine liebliche Musik über die an sich ja geradeso liebliche Szenerie mit den beiden turtelnd Liebenden im smaragdgrünen Meer fern
der Heimat. Und auch als Sara (Juliette Binoche) und Jean (Vincent Lindon) wieder zurück im regnerischen pandemiegeplagten Paris sind, schmeichelt und schmalzt es auf der Tonspur und schmachten
und schmusen sie auf der Leinwand wie zwei Frischverliebte, die beiden Mittfünfziger, die seit neun Jahren ein Paar sind. Zu reden braucht da niemand. Volle fünf Filmminuten lang nicht.
Stattdessen: begehrende Blicke, die bald in zärtlichen Berührungen und endlich in wilder Leidenschaft münden – die reinste, vollkommene Glückseligkeit. Aber eben: Da war dieses Dröhnen.
Unheilschwanger hat es von aller Anfang an einen Schatten auf dieses noch so frisch wirkende gestandene Glück gelegt. Und dieser Schatten, er hat einen Namen: «François, François, François», wird
Sara stammeln, noch ehe man hier richtig angekommen ist, lange bevor man sich einen Überblick hat verschaffen können. Eine halbe Ewigkeit war er weg, der Mann, den sie jetzt draussen auf der
Strasse vor ihrem Büro kurz gesehen hat; rund ein Jahrzehnt hat sie nichts mehr vernommen von François, mit dem sie zusammen war, als sie Jean kennen lernte. Und nun, mit einem Schlag in die
Magengrube, ist er also wieder da, ist François zurück und tritt mit aller Macht und unbändiger Kraft abermals in ihr beider Leben. Den einstigen Kumpel Jean möchte er für ein neues Projekt ins
Boot holen – und die alte Liebe Sara will er ins Bett locken. Die sagt zwar, sie fühle etwas Spezielles für ihn; «wenn man einmal jemanden geliebt hat, dann geht das nie mehr wirklich weg.»
Im gleichen Atemzug relativiert sie das aber und findet, dass Jean, der aus nicht näher erläuterten Gründen einst im Knast war und finanziell von ihr abhängig ist, das Angebot von François doch
annehmen solle, und sowieso liebe sie nur ihn. Wenn sie François sieht, dann kriegt sie freilich trotzdem Zustände: Ob aus Angst oder aus Lust, das wird nicht direkt klar und bleibt wie vieles
vorerst im Vagen. Aber jedenfalls führt sie sich auf wie eine Besessene.
Immer nur das Gleiche
Woher diese Besessenheit rührt? Auch das bleibt recht undurchsichtig in Claire Denis’ fast zweistündiger Dreiecksgeschichte
«Avec amour et acharnement». Dies umso mehr, wenn der zuvor durch Gespräche zwischen Sara und Jean nachgerade
mystisch überhöhte François endlich die Bühne betritt und regelrecht entzaubert wird. Dass Saras Vereinnahmung durch ihren vormals Liebsten gleichsam eine horrorhafte Note hat, ist zumindest
zwischenzeitlich zwar spannend und bezeichnend für Denis, die sich in ihrer langen Karriere als Wandlerin zwischen den Genres profiliert hat. Doch entpuppt sich das als unerfülltes Versprechen,
so wie es auch ein ums andere Mal ins Leere läuft, wenn die Musik suggeriert, dass etwas im Busch sei, und dann doch wieder nichts Dramatisches und nur das immer Gleiche geschieht. Oder dann sind
da die Szenen, in denen Denis sich so unerklärlicher- wie unratsamerweise aus der vertrackten Ménage-à-trois herauswindet und sich aufs sozialkritische Parkett wagt: etwa wenn Sara in ihrer
Tätigkeit als Radiojournalistin mit dem früheren Fussballstar Lilian Thuram über Rassenfragen diskutiert oder Jean seinem bei seiner betagten Mutter (Bulle Ogier) lebenden und ihn sonst nur
peripher interessierenden gemischtrassigen Sohn (Issa Perica) einen erschöpfenden Vortrag über gesellschaftliche Gegebenheiten hält. Das führt zu nichts und ist auch insofern Zeitverschwendung,
als es hier neben allzu vielem Repetitiven obendrein so manche Szene hat, die überhaupt keinen tieferen Sinn zu haben und keinerlei näherem Zweck zu dienen scheint. Aber das alles ist noch nicht
einmal das Unglücklichste an diesem unfertigen und zu allem Übel auch noch von plumpen Metaphern durchtränkten Skript, das Denis gemeinsam mit der Romanvorlagengeberin Christine Angot verfasst
hat.
Fou oder bloss dumm?
«Warum können wir nie reden?», fragt Sara einmal verzweifelt ihren Jean, und es klingt das wie Hohn in unseren Ohren, wird hier doch kaum was anderes gemacht als geredet. Leider können Denis und
Angot auch mit all den vielen Worten und Binoche und Lindon trotz formidabler Performance nie schlüssig nachvollziehbar machen, warum Sara und Jean das tun, was sie tun. Ihr Handeln mag im Kopf
einer Französin gehobenen Alters und Intellekts Sinn ergeben. Es entbehrt ausserhalb der seit je eigenen Gesetzen gehorchenden Welt des französischen Kinos aber jeglicher Logik. Schon klar: Die
Liebe ist irrational, bisweilen ist die Amour sogar fou. Aber wie Jean seine Sara dem Nebenbuhler François förmlich in die Arme treibt, ist bloss dumm; und wie sie dann «mon amour, oh, mon amour»
ohne auch nur einen Liebesbiss ihres Gewissens zugunsten eines ziemlichen Ungustls hintergeht – das führt alles, was man von dieser Frau zu wissen geglaubt hat, ad absurdum. Unerbittlich ist die
Liebe gemäss Originaltitel; unerklärlich wäre besser. In dessen englischer Version ist derweil von einem zweischneidigen Schwert («Both Sides of the Blade») die Rede; stumpf träfe es mehr. Da
kann die Kamera noch so nah, noch so aggressiv rangehen und uns hautnah reinziehen in diesen öfter profanen denn profunden, eher prätentiösen als prägnanten Tumult: Emotional involvierender wird
das auch nicht, wenn die Lautstärke im finalen Akt hochgefahren wird und das erotische Treiben noch einen Zacken zulegt. Eher das Gegenteil ist wahr: Je lauter und zünftiger es wird, desto mehr
(heisse) Luft entweicht aus dieser Liebesgeschichte, die so tut, als sei sie ein Thriller. Und der Schluss? Der bietet quasi konsequenterweise auch keinen Höhepunkt mehr und kann als
antiklimaktisch abgebucht werden. Aber das ist da schon egal.