von Sandro Danilo Spadini
Pragmatisch könnte man es wohlwollend nennen. Doch herzlos umschreibt es dann doch weit besser, wie Enzo Ferrari (Adam Driver) in einer frühen Szene in Michael Manns Biopic
«Ferrari»
reagiert – zumal er zu diesem Zeitpunkt noch nicht allzu viel dafür getan hat, sich unser Wohlwollen zu verdienen. «Rufen Sie in meinem Büro an», sagt er also da zu dem neben ihm am Streckenrand
stehenden Rennfahrer Alfonso De Portago (Gabriel Leone), noch während die Leiche eines Berufskollegen abtransportiert und die Trümmer von dessen Bolide eingesammelt werden. Dass Ferrari durchaus
eine Mitschuld am Tod seines Fahrers gegeben werden kann und später in harschen Worten von der Presse auch wird – das ficht den Mann im edlen Zwirn und der charakteristischen Sonnenbrille im
Gesicht in diesem Moment nicht an. Scheinbar zumindest. Denn wie es in dem notorisch verschlossenen, geradezu legendär zurückgezogenen Mann an diesem 14. März 1957 im norditalienischen Modena
tatsächlich aussieht, das weiss kein Mensch. «Enzo, bau eine Mauer um dich», habe er sich nach einer ähnlichen Tragödie einst gesagt, wird er später zu Protokoll geben. «Oder mach etwas anderes.»
Doch etwas anderes zu machen, als die Konstruktion des perfekten Rennwagens voranzutreiben – das kommt für den «Commendatore» natürlich nicht infrage. Dafür nimmt er es auch hin, von der Presse
regelmässig gelyncht und von den Geistern der Vergangenheit behelligt zu werden. Und diese Geister, sie sind zahlreich und zeugen von einem Leben voller Schicksalsschläge, auch privater Natur. So
sterben nicht nur seine Fahrer reihenweise; ein Jahr bevor die Handlung von «Ferrari» einsetzt, ist auch sein Sohn Dino mit 24 Jahren einer Muskelkrankheit erlegen. Mit ihm spricht der als
so gefühllos Verschriene jeden Tag; und nicht selten hört er im Schlaf die Stimmen seines ebenfalls toten Bruders und des verstorbenen Vaters. Dass seine Mutter (Daniela Piperno) mit eiskalter
Verbitterung klagt, der falsche Sohn sei gestorben – darauf hingegen bekommen wir hier keine Reaktion.
Mehr (Ehe-)Drama als Sportfilm
Was der grosse Michael Mann («Heat», «Collateral») hier anstrebt, in diesem auf einem gut 30 Jahre alten Skript von Troy Kennedy Martin («The Italian Job») beruhenden und ebenso so lange von ihm
verfolgten Herzensprojekt: Das ist mithin ein Blick hinter diese Mauer, die Enzo Ferrari um sich errichtet hat. Entsprechend ist «Ferrari» denn auch ein Film über den Mann, nicht über die Marke;
und folgerichtig ist das mehr Drama denn Sportfilm und wird hier mehr geredet als gerast: übers Geschäft, das überhaupt nicht gut läuft, weil Ferrari alles, was er mit der Serienproduktion
verdient, fürs Renngeschäft ausgibt, sodass er nun laut dem Buchhalter fast pleite ist und sich einen Partner suchen muss, zum Beispiel Ford oder Agnelli. Über die Technik, was für das nicht
autobesessene Publikum eigentlich besonders langfädig ist, uns und ihm aber einige schöne Momente mit seinem unehelichen Sohn Piero (Giuseppe Festinese) beschert. Über taktische Manöver mit der
Presse und der Konkurrenz, die den gewieften Strippenzieher in Ferrari offenbaren. Und vor allem über die Familie – über seine beiden Familien, um genau zu sein: die offizielle, die
inzwischen nur mehr aus Gattin und Geschäftspartnerin Laura (Penélope Cruz) besteht – und die geheim gehaltene mit Piero und dessen Mutter Lina (Shailene Woodley), die Enzo auf einem Landgut
vor den Toren Modenas versteckt hat und von der die über seine Affären für gewöhnlich wohlunterrichtete Laura auch nach über zehn Jahren noch nichts weiss. Das alles ist nun recht informativ und
gibt sehr wohl einen gewissen Einblick in das Tun und Denken dieses sagenumwobenen Pioniers der Autorenngeschichte; es gibt dem Amerikaner Adam Driver – was für ein passender Name übrigens –
und der Spanierin Penélope Cruz auch reichlich Gelegenheit, sich nach ihren Auftritten als Maurizio Gucci und Donatella Versace erneut in einer italienischen Rolle zu profilieren. Es sorgt aber
auch dafür, dass der Film nur schwer in die Gänge kommt und bloss dann richtig zu fesseln vermag, wenn Mann und Erik Messerschmidts vibrierend nach Halt und Fokus suchende Kamera uns auf einen
dieser Höllenritte im Cockpit mitnehmen. Und weil in «Ferrari» das Sportliche eben nicht die Hauptrolle spielt, ist das nicht genug, trotz aller magnetischen Anziehungskraft, die Driver von
Anfang an ausspielt, und trotz der stupenden Eleganz, die man von einem überlegenen Stilisten wie Mann erwarten darf.
Untypischer Stil, typische Geschichte
Man ist freilich auch durchaus irritiert, von Mann, diesem Schöpfer meisterhafter nächtlicher (Stadt-)Gemälde, solch sonnendurchflutete ländliche Bilder des Italien der Fünfzigerjahre zu sehen.
Und wenn es dann doch für einmal dunkel wird und Ferrari im Scheinwerferlicht der sich jagenden Rennwagen gerade nochmals mystischer erscheint, als er ohnehin gezeichnet wird – dann
übermannt einen durchaus eine gewisse Sehnsucht nach dieser geschmeidigen, blautönigen Mann’schen Bildsprache, die es in den letzten rund zehn Jahren nur noch sehr sporadisch zu bewundern gab, im
ziemlich unterschätzten Flop «Blackhat» von 2015 und im Vorjahr in der Pilotfolge der bestechenden Krimiserie «Tokyo Vice». Es überkommt einen da freilich auch die Hoffnung, es möge doch noch
etwas werden mit dieser für den Regisseur typischen Geschichte eines Mannes, der von einer bisweilen ins Quasireligiöse eskalierenden Obsession beherrscht wird. Und in der Tat legt «Ferrari»
einen Steigerungslauf hin, je näher die «Mille Miglia» rücken, jenes Autorennen über öffentliche Strassen zwischen Brescia und Rom und wieder zurück, das Ferrari zum Schlüsselereignis in der
Geschichte des Rennstalls und der ganzen Firma erklärt und auf das der Film also gleichsam hinausläuft. Sobald der Startschuss zum Rennen erfolgt ist, ist das denn auch ein Meisterwerk – ist das
der Film, den man sich erhofft hat und den das spielfreudige Ensemble und die von der Ausstattung bis zur Kamera bravouröse Arbeit abliefernde Crew verdient hat. Es ist dann auch der Film, der
zeigt, dass der inzwischen doch schon 80-jährige Michael Mann immer noch auf der Höhe und damit bereit ist für ein Projekt, das seine Fans noch ungleich fiebriger herbeisehnen: die Fortsetzung
seines Opus Magnum «Heat». Die entsprechende Vorlage liegt in Form des von ihm mitverfassten Romans «Heat 2», der die Geschichte vor und nach den Ereignissen des Films von 1995 erzählt, ja
bereits vor; und Adam Driver soll auch wieder mit an Bord sein.