von Sandro Danilo Spadini
Es ist eine rundum malerische Gegend hier oben am Rand der französischen Alpen: nahezu unbefleckte Natur, ein Wald, ein See, ein unschuldsverheissendes Städtchen. Doch natürlich hat
der Teufel seinen Weg auch hierhin gefunden. Hat sein Feuer des Verderbens entfacht und eine hasserfüllte Eiseskälte hinterlassen. Was damals, vor rund zehn Jahren, geschehen ist, bleibt
vorderhand freilich unter dem Mantel des Schweigens. Augenfällig ist aber, dass die junge Mutter Joanne (Adèle Exarchopoulos), die vermutlich im Zentrum der grauslichen Geschehnisse gestanden
hat, die Kälte angenommen hat: 20 Minuten täglich geht sie im gerade sieben Grad warmen Bergsee schwimmen – wohl um sich abzuhärten. Oder besser vielleicht: zusätzlich abzuhärten. Denn geradezu
verhärtet ist Joanne schon jetzt. Nie huscht ihr ein Lächeln über die zugepressten Lippen. Nicht bei ihrer Tochter Vicky (Sally Dramé), einer eigenbrötlerischen Achtjährigen, die in der Schule
rassistisch gehänselt wird. Nicht bei ihrem trinkfreudigen Vater (Patrick Bouchitey), der Vicky Schnaps über den Kuchen kippt und Joanne unverblümt fragt, ob sie und ihr Gatte noch «ficken». Und
schon gar nicht bei Jimmy (Moustapha Mbengue), ebendiesem Gatten, einem einst aus Senegal hier in die Nähe von Grenoble emigrierten Feuerwehrmann, der irgendwie verloren wirkt. Doch dann wird die
Dorfschönheit, eine ehemalige Miss Rhône-Alpes, doch noch aus ihrer Lethargie gerissen: Zunächst entdeckt sie, dass Vicky über einen derart ausgeprägten Geruchssinn verfügt, dass sie alles, was
ihr unter die Nase kommt, benennen und reproduzieren kann. Und noch bevor sie sich angemessen darüber wundern kann, wird sie von Jimmy vor den Sturkopf gestossen: Seine Schwester Julia (Swala
Emati) wird zu Besuch kommen – Julia also, die vor zehn Jahren die Lawine des Unheils losgetreten hatte und auf deren Rückkehr niemand gewartet hat.
Nicht genug Atmosphäre
Es ist dann an der kleinen Vicky, endlich Licht in dieses Dunkel zu bringen. Ihre olfaktorischen Fertigkeiten nämlich gehen noch weiter und mithin über jene eines Hannibal Lecter oder gar eines
Jean-Baptiste Grenouille hinaus: Sie ermöglichen es ihr, in die Vergangenheit zu reisen und stumme Zeugin dessen zu werden, was sich damals zwischen ihrer Mutter, ihrem Vater und ihrer Tante
zugetragen hat. Und gerade da beginnen die Probleme des Zweitlings von Regisseurin Léa Mysius («Ava»), die sich zuletzt als Co-Drehbuchautorin an der Seite von Jacques Audiard («Les Olympiades»)
und Claire Denis («Stars at Noon») profiliert und das Skript zu
«Les cinq diables» gemeinsam mit ihrem Kameramann Paul Guilhaume verfasst hat. Denn weshalb es dieses
übernatürliche Element und die mit ihm einhergehende verworrene Erzählstruktur braucht, erschliesst sich einem bis zu dem nur dezent erhellenden Ende nicht vollends. Es wirkt vielmehr so, als ob
sich Mysius und ihr Film damit nur ein bisschen wichtig machen möchten – ein fraglos mit (zu) vielen interessanten Ideen ausgestatteter Film, der vorgibt, mehr zu sein, als er letztlich ist.
Früh schon in diesem nur rund anderthalbstündigen Drama hat es einem gedämmert, dass es unter der verdächtigen Kleinstadt-Oberfläche mit den gut und streng gehüteten Geheimnissen (hallo «Twin
Peaks»!) womöglich weniger auszubuddeln gibt, als allenthalben insinuiert, suggeriert, impliziert wird. Und auch wenn sich Mysius hier wohl lieber in der Nähe eines David Lynch wähnt, so erhärtet
sich je länger, je mehr der Verdacht, dass «Les cinq diables» wohl doch eher in den Gefilden des selten allzu stilsicheren Kino-Trickspielers M. Night Shyamalan anzusiedeln ist. Zwar zielt Mysius
darauf ab, dass man wie bei Lynch die Handlung eher erspüren denn verstandesgesteuert erfassen soll. Doch dafür mangelt es dem Ganzen dann ein wenig an Dichte, an Träumerei, an Atmosphäre und
nicht zuletzt an emotionalem Impact – allen bisweilen hervorragenden Ansätzen zum Trotz. Und um einen durchzuschütteln, ist «Les cinq diables» leider einfach nicht spannend, nicht gruselig genug.
Es ist das am Ende quasi ein zu tief dosierter Genremix.
Zu viele Zutaten
So wie Vicky im Garten einmal ein übles Gebräu mischt und von einer toten Krähe bis zu ihrem eigenen Urin alles in den Kessel kippt, was ihr in die Finger kommt, so spart aber auch Mysius nicht
mit den Zutaten. Neben den genrefremden Ingredienzien bringt sie auch noch kurz und halbherzig die Themen Rassismus und Homophobie zur Sprache – wohl einfach deshalb, weil sie das Gefühl hatte,
es würde sonst etwas fehlen. Dann wird immer wieder mit dem Gegensatz zwischen Feuer und Wasser gespielt, ohne dass das wirklich irgendwo hinführen würde. Hurtig geht es auch mal um die
vertrackte Beziehung zwischen Joanne und ihrem Vater, um die Probleme in der Ehe, um die alte Freundin Nadine (Daphné Patakia) – derweil andere Dinge gar nicht erst angesprochen werden.
Warum etwa in drei, äh, fünf Teufels Namen Julia überhaupt an den Ort des Grauens zurückkehrt, das wird man nie erfahren. Es hilft bei alledem selbstverständlich auch nicht, dass abgesehen von
der jungen Debütantin Sally Dramé, dem Routinier Patrick Bouchitey und der sowieso immer famosen Adèle Exarchopoulos, deren monotone Übellaunigkeit indes mit der Zeit ermüdend wird, die übrigen
Darsteller reichlich blass bleiben. Dafür aber holt Kameramann Paul Guilhaume ein ums andere Mal die Kohlen aus dem Feuer mit seinen prächtig vielschichtigen, wunderschön gesättigten, herrlich
körnigen auf 35-mm-Film gebannten Bildern. Ja wenn er und Mysius ihr visuelles Konzept noch etwas konsequenter verfolgt und das Stylische zwischendurch nicht immer wieder dem Banalen, dem
Profanen geopfert hätten – dann hätte man vermutlich mit mehr Langmut über ihr überambitioniertes und unterentwickeltes Skript hinweggesehen.