von Sandro Danilo Spadini
«La vie est impossible», hadert die junge blonde Schönheit Madeleine (Nadia Tereszkiewcz) gegenüber ihrer etwas spröderen Mitbewohnerin Pauline (Rebecca Marder). Denn: «Ich bin eine
schlechte Schauspielerin. Du bist eine schlechte Anwältin. Niemand liebt uns. Wir sind pleite.» Sagts. Seufzt. Stöhnt. Schnieft. Und hält sich dann eine Pistole an den Kopf. Aber, wendet Pauline
ein, sie habe Sandwiches. «Was für welche?» – «Schinken und Butter.» Und damit sind die suizidalen Intentionen von Mademoiselle Madeleine auch schon wieder passé – wobei man natürlich
noch zugeben muss, dass diese Brote auch wirklich sehr schmackhaft ausschauen. Nichtsdestotrotz: Eine Pistolenkugel ist trotzdem in einem Schädel gelandet, wie wir im nächsten Augenblick erfahren
werden. Und zwar in jenem des berühmten und auch ein wenig berüchtigten Theaterproduzenten Montferrand (Jean-Christophe Bouvert) – ein «schmutziges altes Schwein» wird Madeleine ihn nennen,
als sie im Besinn von Pauline von dem etwas verwirrten und nicht so sehr an Gerechtigkeit im engeren Sinn interessierten Richter Rabusset (Fabrice Luchini) einvernommen wird. Und wie die beiden
erfolg-, mittel- und talentlosen jungen Damen da mit dem Richter um die Wahrheit feilschen, kommt ihnen ein Geistesblitz: Warum nicht den von wem auch immer verübten Mord gestehen und dann in
einem aufsehenerregenden Schauprozess wegen Notwehr freigesprochen werden? Das würde der Bekanntheit ja einen monumentalen Boost bringen und müsste doch der Karriere kräftig Schub verleihen. Und
genau so kommt es dann auch. In einem Gerichtsspektakel sondergleichen liefert Madeleine mit dem falschen Geständnis die Vorstellung ihres Lebens ab. «Was für eine ausgezeichnete
Schauspielerin!», ruft sogar der Staatsanwalt, und alle im Saal applaudieren. Kein Wunder, sichert sie sich so die Gunst der Geschworenen und kommt schliesslich wie aspiriert und spekuliert auf
freien Fuss. Wieder draussen, landet sie nicht nur abermals in den Armen des arbeitsscheuen Industriellensohns André (Édouard Sulpice); sie kann sich auch kaum retten vor Anfragen und steigt zum
Star empor. «La vie» ist nun nicht mehr «impossible», sondern «formidable» – wenigstens so lange, bis die wahre Mörderin (Isabelle Huppert) unter pompösen Pauken die Bühne betritt und diese
für sich reklamiert.
Famos spielfreudiges Ensemble
Im Paris des Jahres 1935 hat Regieroutinier François Ozon seinen quirligen Schwank
«Mon crime» angesiedelt. Und mit der losen Adaption des gleichnamigen Boulevardstücks von Georges
Berr und Louis Verneuil, das bereits 1937 und 1946 als Vorlage für amerikanische Kinoproduktionen diente, liegt er gerade voll im Trend: Kriminalkomödien solch klassischen Zuschnitts erfreuen
sich derzeit auffälliger Popularität – man denke schmunzelnd an David O. Russells gar nicht mal so üblen Flop «Amsterdam» oder die ebenfalls in der Welt des Theaters verortete
Agatha-Christie-Hommage «See How They Run». Mindestens so sehr freilich werden hier fröhliche Erinnerungen an Ozons auch schon 20 Jahre alten Hit «8 femmes» wach – und das eben nicht nur, weil
auch in seinem 22. Film die grosse Isabelle Huppert mit von der Partie ist. Sie ist es aber, die – in ihrem erst zweiten Auftritt bei Ozon – als verwelkte Stummfilm-Ikone Odette Chaumette im
letzten Akt allen anderen die Show stibitzt, auch den beiden jungen Hauptdarstellerinnen Nadia Tereszkiewcz («Seules les bêtes», «Les Amandiers») und Rebecca Marder («Une jeune fille qui va
bien»). Wiewohl diese auch im ersten und im zweiten Akt immer ein wenig im Schatten der Routiniers in diesem All-Star-Ensemble stehen – der famos spielfreudigen Fabrice Luchini und Dany Boon
etwa –, ist es doch allerhand, was sie an solch prominenter und exponierter Stelle abliefern. Wie alle anderen finden sie spürbar Gefallen am launig-charmanten Possenreissen; sie überspannen den
Bogen dabei aber nicht und lassen die Chose nie ins Alberne abdriften.
Und dazu eine Prise Feminismus
Von seiner spielerischen, um nicht zu sagen: verspielten Seite präsentiert sich in diesem heiteren Stück Unterhaltungskino auch François Ozon. Seinen Stars – es gesellen sich zu den
genannten auch noch Haudegen wie André Dussollier, Régis Laspalès, Franck de la Personne oder Michel Fau – lässt er eine genug lange Leine, damit sie ein komödiantisches Feuerwerk abfackeln
können, und lädt ihnen so viel Dialog auf, dass sie sich in einem Höllentempo um Kopf und Kragen quasseln dürfen. Sich gönnt er derweil die Freiheit, das betont bühnenhafte Geschehen mit körnigen
Schwarzweiss-Rückblenden im Stummfilm-Stil aufzulockern oder die Protagonisten auch mal raus aufs Dach und vor ein hitchcockhaft artifizielles Szenebild der Pariser Skyline zu schicken. So rasant
und raffiniert geht es hier zu und her, dass man glatt verpassen könnte, wie Ozon immer wieder sehr zeitgemässe Aspekte einstreut: von alternativen Fakten über frivole Selbstinszenierung,
grotesken Celebrity-Kult und infame Rufmordkampagnen bis zu feministischen Parolen. Ganz selten einmal, vielleicht in ein, zwei etwas zu lange geratenen Szenen, führt freilich ebendas
zu einem klitzekleinen Durchhänger – was indes nur deshalb überhaupt auffällt, weil es ansonsten so überaus flott und flüssig vorangeht. Die hohe Kadenz kompensiert denn auch die eher kurze
Spieldauer von knapp 100 Minuten. Das Gefühl, dass etwas ausgelassen worden wäre, hat man bei dieser stetig schneller und arger ausser Kontrolle katapultierenden Kaskade an Turbulenzen jedenfalls
nicht. Dafür einmal mehr die Gewissheit, dass die klassischen Rezepte noch immer hinhauen.