Der Papst ist tot – lasst die Intrigen beginnen

Die schnittig gefilmte, rassig erzählte und zackig gespielte Bestselleradaption «Conclave» ist ein Musterbeispiel dafür, wie göttliches Kino geht: smart und fesselnd, fundiert und flüssig, intellektuell immer wieder tiefschürfend und gleichzeitig bisweilen auch ein wenig albern.

Zar Amir-Ebrahimi im Film Holy Spider

Ascot Elite

von Sandro Danilo Spadini

Die einen rauchen noch kurz eine, andere checken ein letztes Mal ihr Handy, und wiederum andere witzeln ein bisschen rum. Alles ziemlich weltlich also, was sich da in den Gemäuern der Sixtinischen Kapelle gerade abspielt. Doch der Eindruck täuscht. Denn die Stimmung ist in Tat und Wahrheit maximal angespannt. Und diese Anspannung, sie ist nicht nur hier und jetzt, sondern wird auch im weiteren Verlauf von Edward Bergers Kirchenthriller «Conclave» allerorten und jederzeit mit Händen zu greifen sein. Stimmungsvoll und mit präzisem Pathos setzt der Regisseur von «Im Westen nichts Neues» die Ränkespiele aus Robert Harris’ gleichnamigem Bestseller in Szene, die ihren schlängelnden und stetig verschlungeneren Lauf nehmen, nachdem der Papst gestorben ist, halbwegs unerwartet, obzwar es Gerüchte um seine Gesundheit gab, offenbar einem Herzinfarkt erlegen, wiewohl sie gedacht hatten, er werde sie alle überleben. «Der Heilige Stuhl ist vakant», wird mithin ausgerufen in der gespenstischen Eröffnungssequenz. Und es ist das der schallgedämpfte Startschuss zu etwas, was Kardinal Lawrence (Ralph Fiennes) drei Wochen später nur halb im Scherz die «Hölle» nennen wird: eben zum Konklave in der Sixtinischen Kapelle, diesem «Game of Thrones», dessen Durchführung ihm als Dekan obliegt und wo sich entscheiden wird, wer das neue Oberhaupt der Katholiken wird. Die Papabili sind der von Lawrence portierte Kardinal Bellini (Stanley Tucci), der die progressive Agenda des verstorbenen Papsts fortführen würde, der konservative Ehrgeizling Tremblay (John Lithgow), dem undurchsichtiges Tun und unlautere Machenschaften unterstellt werden, der rückwärtsgewandte Nigerianer Adeyemi (Lucian Msamati) und der aufbrausende Traditionalist Tedesco (Sergio Castellitto), der die Kirche am liebsten ins Mittelalter zurückführen würde. Es steht hier somit eine wegweisende Wahl an – oder um es in den Worten der liberalen Fraktion zu sagen: Es stehen 60 Jahre Fortschritt auf dem Spiel. Und dann betritt völlig unerwartet ein mysteriöser neuer Player das Feld.
 
Fast wie bei den Amerikanern
 
Was der Deutsche Edward Berger und der Brite Robert Harris hier anbieten, ist ein scharfer und aufschlussreicher Blick hinter die Kulissen des Vatikans. Und was wir dabei zu Gesicht bekommen, ist eine Institution in Aufruhr, in der jeder gegen jeden kämpft, aber auch die meisten mit sich selbst im Widerstreit stehen: Der Papst hatte das Vertrauen in die Kirche verloren, Dekan Lawrence laboriert an einer Glaubenskrise, Kardinal Bellini zweifelt an seiner Eignung für das hohe Amt, sein Konkurrent Tremblay soll wegen groben Fehlverhaltens vom Papst unmittelbar vor dessen Tod gefeuert worden sein, dem erzkonservativen Adeyemi sind fleischliche Begierden nicht fremd, und der am Boden zerstörte Erzbischof Wozniak (Jacek Koman) hat ein kaum mehr zu kaschierendes Alkoholproblem. Auch das also: alles sehr weltlich. Und es drängt sich der Eindruck auf, dass das, was man über Menschen sagt, die sich für die amerikanische Präsidentschaft bewerben, auch hier zutrifft: dass nämlich nicht normal sein kann, wer so ein verantwortungsvolles Amt anstrebt und sich dieses zutraut. Bellini meint dazu passend: Kein geistig gesunder Mensch könne das Amt des Papsts wollen. Als ob er auf einem amerikanischen Nominierungsparteitag sei, fühlt sich denn auch Dekan Lawrence mehr und mehr. Und das kann man angesichts all der Hinterzimmerdeals, die da geschlossen werden, der wechselnden Allianzen, der Beschuldigungen, Erpressungen, Druckversuche, der dunklen Geheimnisse, die mittels klandestiner Detektivarbeit ans Licht gezerrt werden, und des immerzu verschwörerischen Tons, in dem um das Wohl und Wehe der katholischen Kirche gefeilscht wird, durchaus nachempfinden. Keiner traut sich hier über den Weg, Intrigen lauern an jeder Ecke, der Dolchstoss ist auch in der Umarmung möglich – und mit jedem ergebnislosen Wahlgang wird der Ton schärfer, wird der Einsatz erhöht. Es fallen da dann auch von besonnenen Leuten Sätze wie: «Es ist ein Krieg!» Idealisten wettern gegen Pragmatiker. Und die Zündler gehen sowieso auf tutti und bezichtigen die Liberalen des Verrats, ja der Zerstörung der Kirche. Das Pulverfass steht kurz vor der Explosion. Die Wahl als Qual. Das kleinste Übel oder der grosse Wurf? Viel Schall, viel Rauch. Noch freilich ein gedämpfter Schall und notabene ein schwarzer Rauch. Denn bis der das «Habemus papam» verkündende weisse Rauch aufsteigt aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle und draussen auf dem Petersplatz laut gejubelt werden kann – das wird wohl noch dauern.  
 
Der beste Ralph Fiennes aller Zeiten
 
Es ist ein nachgerade berückendes und zutiefst vereinnahmendes Schauspiel, das sich einem hier bietet – oder besser: das der schnittig inszenierende Regisseur Edward Berger, die rassig erzählenden Autoren Robert Harris und Peter Straughan (Drehbuch) und gerade auch das zackig aufspielende Ensemble uns hier bieten. Man ist kein Prophet, wenn man verkündet, dass es für «Conclave» Oscar-Nominierungen hageln wird: sicherlich für Ralph Fiennes, der als melancholisch zerrissener Dekan die beste Leistung seiner Karriere abruft, aber auch für den einen oder anderen Nebendarsteller (Sergio Castellitto tut sich dabei besonders hervor) sowie Nebendarstellerin Isabella Rossellini in der Rolle der aufmerksamen Schwester Agnes. Der eigentliche Star des Films ist aber der einstige «Tatort»-Regisseur Berger. Als tadelloser Techniker hat sich dieser schon vor zwei Jahren in seinem neunfach Oscar-nominierten Epos «Im Westen nichts Neues» präsentiert. Was er hier nun abliefert, ist aber sogar makellos – ist ein Musterbeispiel dafür, wie gutes Kino geht: Von Takt über Tempo bis Timing stimmt hier alles. Der Ton? Immer adäquat. Die Musik? Perfekt platziert. Der Schnitt? Nur magistral. Die Bildkomposition? Gern monumental. Die Attitüde? Exakt richtig. Denn wiewohl es hier um eine ernste Sache geht – darum, wer der berühmteste Mensch der Welt wird, wie Dekan Lawrence einmal sagen wird – und wenngleich immer wieder tief geschürft wird: Der Spass und auch der Humor bleiben deshalb nicht auf der Strecke. Sowohl smart als auch fesselnd ist Bergers wendungsreicher Film. Zugleich fundiert und flüssig. Und derweil er regelmässig in luftige intellektuelle Gefilde emporsteigt, gönnt er sich (und uns) auch mal eine Albernheit – auf dass wir nicht erstarren in schwelgerischer Faszination für das Prozedere und den Schauplatz, denen Berger so viel Liebe, Ehrfurcht und Aufmerksamkeit angedeihen lässt.