Zombies im Zeitraffer

Statt zum freudigen Wiedersehen mit der «Forrest Gump»-Truppe gerät das Drama «Here» zu einem Desaster von monströsem Ausmass. Robert Zemeckis’ formales Experiment ist eine visuelle Zumutung und ein einziges Durcheinander, das nicht nur amateurhaft wirkt, sondern auch geist-, würde- und seelenlos ist.

Zar Amir-Ebrahimi im Film Holy Spider

DCM Film

von Sandro Danilo Spadini

Offen sein, nicht vorschnell urteilen – das sind fraglos Eigenschaften, die einem jeden gut anstehen. Bisweilen ist es aber halt auch so, dass die Sache schnell klar ist, gleichsam von vornherein – dass man etwa, bereits bevor das erste Wort gesprochen wurde, sagen kann, dass das mit einem Film nichts wird. Genau ein solcher Fall ist «Here» von Starregisseur Robert Zemeckis: Es reicht hier die auf nachgerade infame Weise pampige Auftaktsequenz, um zur Erkenntnis zu gelangen, dass dieser einstige Magier des Kinos («Back to the Future») nur mehr die wohlfeilen Tricks eines gichtbefallenen Taschenspielers auf dem Kasten hat. Zu sehen kriegen wir da eine amateurhaft wirkende Montage, die uns den Lauf der Zeit erklären möchte, indem sie uns mittels einer fixierten Kamera die Veränderungen eines bestimmten Orts vor Augen führt. Wir werden da also auf eine Reise geschickt, die bei den Dinosauriern beginnt und über Cowboys und Indianer, die Kolonialzeit und den Unabhängigkeitskrieg bis zu jenem Haus oder genauer gesagt jenem Zimmer führt, das alsdann im Zentrum dieses grotesken Durcheinanders stehen wird. Bewohnt werden wird dieses im Jahr 1902 errichtete Haus, das laut Maklerin «nicht perfekter» sein könnte und «robust ist wie ein alter Baum», zunächst von einem Piloten und seiner besorgten Frau, danach von einem jovialen Erfinder und seiner Pin-up-Gattin und schliesslich vom Kriegsveteranen Al (Paul Bettany) und seiner Frau Rose (Kelly Reilly), die eine Familie gründen und mit dieser sechs Jahrzehnte hier sein werden, bis am Ende ein schwarzes Paar mit Kindern einzieht (damit das auch noch reinen Gewissens abgehakt werden kann und man doch nicht ganz so blütenweiss rüberkommt).
 
Wie im Schülertheater
 
Basierend auf einer Graphic Novel von Richard McGuire wird das Ganze, in das unter vielem anderen auch noch eine Brautwerbung amerikanischer Ureinwohner sowie der uneheliche Sohn des US-Gründervaters Benjamin Franklin reingepresst werden, in nonlinearer Form «erzählt» – wobei von Erzählung im engeren Sinn nicht die Rede sein kann: Die Kamera noch immer statisch, serviert uns Zemeckis in vogelwildem Flug durch die Zeiten und ohne jedes Gespür für Timing winzige Schnipsel – nicht mal Vignetten, sondern lediglich Miniclips! – mit vermeintlichen Schlüsselszenen aus dem Leben der verschiedenen Bewohner, die fader und banaler nicht sein könnten. En passant möchten Zemeckis und sein Drehbuchautor Eric Roth so zudem einen kleinen Streifzug durch die amerikanische Geschichte insbesondere des 20. und 21. Jahrhunderts veranstalten – und scheitern damit derart kläglich, dass man es einfach nicht in den Kopf bekommt, wie dieses Duo einst, vor ziemlich genau 30 Jahren, ebendies in «Forrest Gump» noch so geschmeidig hinbekommen hat. Weil neben Zemeckis und Roth von damals auch Kameramann Don Burgess und Komponist Alan Silvestri, vor allen Dingen aber Tom Hanks und Robin Penn (in den Rollen von Als und Rose’ Sohn und Schwiegertochter) mit an Bord sind, drängt sich der Vergleich mit der sechsfach Oscar-prämierten Tragikomödie selbstredend umso mehr auf. Doch anstelle einer freudigen Reunion gerät «Here» zu einem Desaster von monströsem Ausmass – und nein, weder die wie mit einer Gratis-App erstellt wirkenden rechteckigen Fenster, mit denen Burgess seine Bilder zu überlagern pflegt, noch der niedliche Soundtrack von Silvestri sind da eine grosse Hilfe, ganz zu schweigen von den via KI-Tool würdelos bis ins Teenageralter verjüngten und dann bis zu Greisen gealterten und zu Zombies degradierten Hanks und Penn, die ohnehin keinen Gala-Tag einziehen. Nicht nur formal mit dem stets gleichen Sitcom-haften Bildausschnitt erinnert das alles denn auch an das, was eine Gruppe mässig motivierter und leidlich talentierter Schüler an einem echt schlechten Tag auf der Bühne verbrechen würde, um ihren Lehrer hässig zu machen. Was Hanks und Penn bieten oder eben nicht bieten, ist freilich noch nichts im Vergleich zu dem hölzernen und täppischen Overacting eines Paul Bettany und seiner irrelevanten Konsorten, zu denen mit der immerhin hübsch benamsten Zsa Zsa Zemeckis auch eine Tochter des Regisseurs gehört. Kein Wunder ist es da, dass die Figuren Fremde bleiben und uns ihr kursorisch gestreiftes und generisch entwickeltes Schicksal entsprechend herzlich egal ist.  
 
Ein Chaos – aber nicht wie das Leben
 
Das ganze Spektrum menschlicher Emotionen möchte Zemeckis hier abbilden – und schafft es, in 104 Minuten keine einzige davon einzufangen. Allein am monumental gescheiterten formalen Konzept und den chargierenden Mimen liegt das aber nicht. Es ist schlicht plump, was in «Here» geboten wird, harm- und belanglos, geist- und sinnlos, kunst- und seelenlos, humor- und leblos – so inspirierend wie die floskelverseuchte Weihnachts-E-Mail vom Chef und so berührend wie ein verlogener Werbespot einer Lebensversicherung. Es ist das aber auch ein unreifer und in seinem kunstverachtenden Kalkül zutiefst unsympathischer Film, der ermüdet und enerviert mit seiner zappeligen Inkonsequenz, seinem zuckenden Getue und seinem zum Fremdschämen zuckerigen Versuch, ein Chaos vom Stapel zu lassen, das das Leben in all seinen Facetten widerspiegeln soll – ein 30-sekündiger Teaser zu jeder x-beliebigen «This Is Us»-Folge schafft das besser. «Was für ein Abenteuer das war!», ruft eine Figur wie zum Hohn am Schluss aus, gedacht wohl als Kommentar zu dem Geschehen, wo die Zeit, wie ein ums andere Mal gelabert wird, «wie im Flug vergeht», während dem sie sich in Wahrheit indes gefühlt bis ins Unendliche gestreckt hat, bisweilen nahezu stillgestanden ist und letzten Endes kolossal verschwendet wurde. Für einmal wäre es also okay gewesen, seinem allerersten Impuls zu folgen, die Konsequenzen zu ziehen – und diesem schlechten Witz von einer allumfassenden Reflexion über die Zeit und das Leben den Rücken zu kehren.