Himmelspforte? Höllentor!

Hugh Grant läuft in dem psychologischen Horrorthriller «Heretic» zu absoluter Hochform auf: als onkelhaft charmanter Creep, der in einem philosophisch anregenden Katz-und-Maus-Spiel zwei junge Mormoninnen vom Glauben abbringen will.

Zar Amir-Ebrahimi im Film Holy Spider

Pathé Films AG

von Sandro Danilo Spadini

Das sollte man dann wohl als Zeichen von oben werten: Just als Schwester Barnes (Sophie Thatcher) und Schwester Paxton (Chloe East) sich dem Haus eines gewissen Mr. Reed (Hugh Grant) nähern, öffnet der Himmel seine Schleusen, und die eben noch so friedliche Szenerie verwandelt sich in eine horrorgerechte Kulisse. Die beiden jungen Mormoninnen jedoch erkennen den Wink ihres Schöpfers nicht; sie sind gerade ein bisschen aufgeregt, vor allem die pausenlos schnatternde Schwester Barnes, die noch nicht so lange dabei ist. Es werde langsam Zeit für ihre Feuertaufe, sagt Schwester Paxton noch, bevor sie an die Tür klopft, die sich als Tor zur Hölle erweisen wird. Und als dieses sich endlich öffnet und ein freundlicher Herr in gesetztem Alter erscheint, da weicht die Nervosität bald einer gewissen Euphorie – zumal dieser Mr. Reed im Gegensatz zu so vielen anderen ihnen nicht mit Häme oder Ablehnung begegnet, sondern sich neugierig und bestens informiert gibt. Sie sollten doch hereinkommen, hier draussen würde sie ja klatschnass, ermuntert er die Missionarinnen. Und überhaupt: Seine Frau habe eben einen Blaubeerkuchen in den Ofen geschoben. Das nun überzeugt Schwester Barnes und Schwester Paxton endgültig – indes nicht so sehr aus kulinarischen Gründen als vielmehr durch die Tatsache, dass da also wie von ihrer Kirche in solchen Situationen gefordert noch eine weibliche Person im schummrig beleuchteten und eigentümlich eingerichteten Haus ist. Schnell entwickelt sich ein lebhaftes Gespräch oder vielleicht eher ein Monolog des auf seine linkische Art durchaus charmanten und drolligen Mr. Reed auf philosophisch-theologisch ansprechendem Niveau; nicht lange dauert es aber auch, bis es zum ersten unangenehmen Moment kommt, der bei den jungen Gottesfrauen für bedröppelte Gesichter sorgt. Dass der Geruch nach Blaubeerkuchen von einer Duftkerze verströmt wird und sich die Gattin als Hirngespinst, als Lügengebilde entpuppt, das wird auch bald einmal klar, und es überrascht dann nicht mehr so sehr. Denn längst hat das Gespräch eine Wendung genommen, die Schwester Paxton und Schwester Barnes ein ums andere Mal hat leer schlucken und den Plan reifen lassen, jetzt den geordneten Rückzug anzutreten. Aber das ist gar nicht so einfach. Denn Mr. Reed ist noch nicht fertig mit ihnen.
 
Wechselnde Dynamiken
 
Was die beiden Regisseure und Drehbuchautoren Scott Beck und Bryan Woods vor allem in der ersten Stunde ihres neuen Films «Heretic» Hugh Grant und seine beiden aufstrebenden Mitstreiterinnen Sophie Thatcher und Chloe East veranstalten lassen, gibt dem Begriff des psychologischen Horrors nachgerade eine neue Dimension. Es ist das ein Katz-und-Maus-Spiel auf engem Raum, das einerseits fraglos stimmungsvoll und timingsicher inszeniert ist – das andererseits und zuvörderst aber von den so gewitzten wie geistreichen Dialogen und dem überragenden Spiel des Mini-Ensembles lebt. Nicht nur ist es messerscharf analytisch und sowohl intellektuell als auch popkulturell unterfüttert, was der gute Mr. Reed da in seinen religionskritischen Betrachtungen den vermeintlich überforderten Besucherinnen vor Augen führt und unter die Nase reibt, um sie vom Glauben abzubringen – wobei er freilich bis zum Schluss gelassen und onkelhaft bleibt und sich, wie es Hugh Grant selbst formuliert hat, wie ein sich seinen Studentinnen anbiedernder Professor gebärdet; es ist das auch von ungeheurer Eloquenz und unerhörter Geschliffenheit, ein rhetorisches Feuerwerk, das die Spiellust von Grant offenbar dermassen anzuregen vermag, dass er sich zur sensationellsten Leistung seiner Karriere emporspielt. So gnadenlos grandios ist Grant, dass Beck und Woods vorderhand komplett auf «Jump-Scares» verzichten können; diese im Horrorgenre obligaten Schreckmomente besorgt der schon seit geraumer Zeit überaus formstarke 64-Jährige ganz allein mit seiner Mimik. Kein Wunder, geht die Kamera da gerne ganz nah ran – schliesslich spielt sich in Grants Gesicht die halbe Geschichte von «Heretic» ab. Die andere Hälfte, wenn man so will, kommt von Thatcher und East. Wie sie ihre Figuren entwickeln und ausformen, wenn diesen zusehends mulmiger zumute wird, ehe sie sich fangen und zum Gegenangriff übergehen – das ist nichts weniger als stupend und ein kritischer Faktor für das Gelingen des in puncto Personal und Schauplätze so minimalistischen Films. Denn dieser bezieht seine Spannung zu einem grossen Teil von der wechselnden Dynamik im Machtverhältnis zwischen den Protagonisten und ist mithin auf ein substanzielles Gegengewicht zu Grants zunächst doch recht dominanter Figur angewiesen – die beiden Newcomer liefern dieses souverän.
 
Leichter Spannungsabfall
 
Weil dieser Kampf der Ideen und Ideale, dieses Spiel mit versteckten Agenden und durchaus unerwarteten Wendungen derart gut funktioniert, wirkt es beinahe wie ein Verrat, wenn es in der zweiten Hälfte des mehr oder weniger in Echtzeit ablaufenden Films physischer wird – wenn sich das genreerprobte Regieduo, das mit dem Skript zum Kassenschlager «A Quiet Place» (2018) einst den Durchbruch schaffte, also nach einer guten Stunde in traditionellere Horrorgefilde vorwagt. War es zuvor noch jederzeit gleichermassen an- und aufregend, wie Mr. Reed auf perfid eskalierende Weise versuchte, die Widersprüche im Glauben seiner Gäste zu entlarven und deren lebensphilosophisches Konstrukt wie ein Kartenhaus zum Einsturz zu bringen, so gibt es zum Finale hin auch mal Längen. Fast mehr ins Gewicht fällt indes, dass dabei auch der Humor weitgehend auf der Strecke bleibt. Dieser hatte im ersten Teil immer wieder für wohltemperierte Auflockerung gesorgt – und selbstredend ist er die Paradedisziplin von Hugh Grant, der entsprechend (aber nur bedingt nachvollziehbar) in der Komödienkategorie für den Golden Globe nominiert wurde. Immerhin entschädigt die ziemlich fulminante finale Konfrontation, in der in schönster «The Usual Suspects»-Manier Reeds Manipulationen der vergangenen 90 Minuten enthüllt werden, für das allmähliche Absinken des Spannungspegels und die Zugeständnisse an das anvisierte Massenpublikum. Und auch der Herrgott scheint am Ende wieder besänftigt zu sein. Gleichsam zur Versöhnung rieselt nun leise der Schnee. Aber ob jetzt wirklich alles wieder in Ordnung ist, bleibt fraglich.