von Sandro Danilo Spadini
Die besten Geschichten schreibe das Leben, sagt der Volksmund. Aber das ist halt nur die halbe Wahrheit. Denn die allerbesten Geschichten gibt es natürlich dann, wenn Hollywood solche
wahren Begebenheiten aufgreift und nach seinem Gusto grosszügig ausschmückt, aufbauscht und abrundet. Im günstigsten Fall kommt dann so etwas heraus wie
«Hit Man», eine Story, die «somewhat true» ist, wie es im Vorspann zu der Komödie von
«Boyhood»-Regisseur Richard Linklater heisst. Es ist das die also «halbwegs wahre» Geschichte von Gary Johnson (Glen Powell), einem auf den ersten Blick eher unwahrscheinlichen Hollywood-Helden.
Gary unterrichtet an der Universität von New Orleans Psychologie und Philosophie, lebt zusammen mit seinen beiden Katzen in den Suburbs, fährt einen Honda Civic, trägt Socken zu Sandalen, pflegt
sein Abendessen aus der Tupperware zu sich zu nehmen, und seine Ex ist seine beste Freundin – «oder zumindest die Person, die mich am besten kennt». Gary allerdings hat auch ein Faible für
alles Digitale und Elektronische; und via diese Passion ist er zu einem Nebenjob als Überwachungsspezialist beim New Orleans Police Department gekommen, wo sich ihm wiederum die Gelegenheit
bietet, quasi Feldforschung auf seinem angestammten Interessengebiet zu betreiben: menschliches Verhalten zu studieren. So hat es sich dieser Gary Johnson eingerichtet. Alles tipptopp. Er mag
sein Leben, und alle mögen Gary, diesen sanftmütigen Tscholi – auch wenn die Studis ob seiner Scherzchen die Nase rümpfen und die Kollegen bei der Polizei hinter seinem Rücken mal ein
Sprüchchen über ihn machen. Aber alles gut. Passt. Kann man so machen. «Und da bin ich nun, kümmere mich um meinen eigenen Kram, als das Leben die seltsamste aller Wendungen nimmt», verkündet
Gary dann aber ins Blaue hinein, und wenn einer wie Gary so etwas sagt, dann weiss man: Der übertreibt nicht. Da muss jetzt aber wirklich etwas wahrhaft Verrücktes geschehen sein.
Menschenkenner? Menschenfänger!
Ist es auch. Und gekommen ist es so: Bei einem verdeckten Einsatz ist Undercover-Polizist Jasper (Austin Amelio) wegen seines übertrieben brutalen Verhaltens in buchstäblich letzter Minute aus
dem Verkehr gezogen und dadurch seine Rolle als vermeintlicher Profikiller frei geworden. Und weil niemand anderes da ist, beordert Einsatzleiterin Claudette (Retta) kurz entschlossen den braven
Techniker Gary aufs Spielfeld mit der Aufgabe, den Verdächtigen dazu zu bringen, ihm einen Mordauftrag zu geben. Wider Erwarten füllt der normalerweise über Nietzsche und Kant philosophierende
und Veränderungen grundsätzlich sehr kritisch gegenüberstehende Biedermann seine Rolle dermassen überzeugend aus, dass man ihn fix befördert. Jasper gefällt das naturgemäss weniger; doch Gary
blüht nun richtiggehend auf, wächst über sich hinaus und mausert sich vom Menschenkenner zum Menschenfänger. In je auf das Zielobjekt ausgerichteten Rollenvariationen vom bebrillten Psycho über
den Zigarren rauchenden Lederjacken-Russen bis zum Patrick-Bateman-Verschnitt im Nadelstreifenanzug lockt er die von Mordfantasien beseelten Möchtegern-Masterminds scharenweise in die Falle. Doch
dann nimmt die Geschichte von Gary abermals eine Wendung – und mit ihr auch der Film, der nun einen Schwenker ins Romantische macht. Schuld daran ist die rehäugige Sirene Madison (Adria
Arjona), die Gary beauftragen möchte, ihren tyrannischen Gatten um die Ecke zu bringen. Sie ist es, die Gary aus dem bis dahin so prächtig aufgehenden Konzept bringt. Denn so sicher sein Gespür
ist für die Dinge, die Menschen tun und lassen oder tun lassen oder vorgeben zu tun; so untrüglich seine Intuition ist für die Rolle, in die er schlüpfen muss, um sein Gegenüber gefügig und
geständig zu machen: Wenn es um ihn selbst und sein Herz geht, dann gerät auch er schnell mal aufs Glatteis. Die Frage, die sich jetzt stellt, ist halt: Wird diese Madison sein Verderben sein?
Oder findet er bei ihr sein Glück und erfindet sich abschliessend neu? Bis das geklärt ist, wird es aber erst mal noch ein wenig verzwickter und verworrener, wird es erst richtig kompliziert –
und der Film erst recht knackig und spannend.
Alles (weit) überdurchschnittlich
«Scheiss auf normal», sagt Madison einmal neckisch verrucht. Und für sie und Gary mag das auch durchaus zutreffen. Für Richard Linklaters Film hingegen muss das nicht unterschreiben werden. Der
nämlich folgt in Bild, Wort und Ton recht stramm jenen Mainstream-Pfaden, die von anderen Schelmengeschichten wie «Catch Me if You Can» vorgespurt wurden. Dagegen ist prinzipiell freilich nichts
einzuwenden – vor allem dann nicht, wenn alles, was angepackt wird, ein gutes bis sehr gutes Stück über dem biederen Durchschnitt ist. Der Humor? Zwar mehrheitlich auf der schmunzeligen Seite,
aber nur gerade so züchtig wie unbedingt nötig. Die Schauplätze? So ausgewählt und ausgefallen, dass es in Richtung «Liebeserklärung an New Orleans» geht. Das Tempo? Flott, ohne zu stressen. Das
Timing? Alles im Fluss trotz ein paar weniger repetitionsbedingter Längen. Der Plot? Gewitzt und wendungsreich. Und die Stars? Da gilt es etwas auszuholen, denn da wird es ziemlich interessant.
Denn die Rolle des Gary, das ist einer jener Parts, die für Stars reserviert sind. Und Glen Powell ist zweifellos auf dem Weg dahin. Oder zumindest wurde er von «denen da oben» in Hollywood
zielstrebig auf diesen geschickt, nachdem ihm vor zwei Jahren als Hangman in «Top Gun: Maverick» der endgültige Durchbruch gelungen war. Ob er auch tatsächlich das Zeug dazu hat, dort oben
anzukommen, wo ein Tom Cruise oder ein Brad Pitt waren (oder besser: noch immer sind) – diese Frage ist zwar nicht abschliessend geklärt, gerade nach der schlimmen chemischen Störung mit
seiner Partnerin Sydney Sweeney in der romantischen Komödie «Anyone But You». Aber unstrittig ist, dass Powell mit «Hit Man», wo er mit Richard Linklater zusammen auch für das Drehbuch
verantwortlich zeichnet, ein nächstes Etappenziel erreicht hat – und das mit Bravour. Gelungen ist das dem feschen Texaner nicht nur mit seinem Charme, seinem Charisma und der
Chamäleon-Strategie, die er hier erfolgreich fährt. Sondern nicht zuletzt auch dank des knisternden Zusammenspiels mit der gebürtigen Puerto Ricanerin Adria Arjona («Morbius»), der ebenfalls eine
nicht unbeträchtliche Karriere winkt, wenn sie so reizend-forsch weitermacht. Wohl ist das Techtelmechtel der beiden in Einklang mit dem so keuschen wie rigiden Zeitgeist nur so sexy
ausgestaltet, dass es bloss niemanden empört oder verstört. Aber es macht keinerlei Mühe, sich da ein, zwei Sachen dazuzudenken. Und das ist eben schon auch das, was einen Star ausmacht: dass er
einen träumen lässt und die Fantasie beflügelt, auf dass wir nach den Sternen greifen und die strenge graue Realität ausblenden können auf unserer Reise hoch hinauf ins Reich der schwerelosen
Träumerei. Einer Reise, die umso köstlicher ist, wenn Hollywood mal wieder eine dieser verrückten wahren Geschichten aufstöbert und sie dann nach allen Regeln der Kunst eskalieren
lässt.