von Sandro Danilo Spadini
«Das kann unmöglich legal sein», konstatiert Terry (Aaron Pierre) schnell einmal perplex. Und dann, die stoische Haltung allmählich ablegend: «Das ist verdammt noch mal surreal!» Und
recht hat der junge Mann – mit beiden Einschätzungen. Als schwarzer Mann ist man in den USA von der Polizei ja leider Gottes so einiges Garstiges gewohnt. Aber das, was diese beiden
Südstaaten-Hinterwäldler-Bullen (David Denman und Emory Cohen) da mit Terry abziehen, ist dann doch nochmals eine neue Stufe in Sachen Willkür, eine andere Liga der Schikane. Da radelt der
ehemalige Marine frei von jedem finsteren Gedanken in Richtung Rathaus, um die Kaution für seinen inhaftierten Cousin cash zu hinterlegen – und dann wird er von den beiden Hillbilly-Rambos
grundlos von der Strasse gerammt. Doch das ist nur der Anfang: Mit einer fadenscheinigen Begründung aufgrund eines konstruierten Verdachts wird ihm sein gesamtes Bargeld abgenommen, 36'000 Dollar
insgesamt, gedacht für die Rettung seines Cousins, dem bei der bevorstehenden Verlegung ins Staatsgefängnis der sichere Tod winkt, und den Kauf eines Lastwagens für den Neuanfang. «Civil
Forfeiture» nennen sie das in den USA, zivilrechtliche Beschlagnahme. Und wiewohl es dafür in der Tat eine gesetzliche Grundlage gibt: Das, was hier vonstattengeht, ist dermassen illegal, dass es
tatsächlich ins Surreale abdriftet – oder besser vielleicht noch: ins Kafkaeske. Denn wie Josef K. in «Der Prozess» muss sich Terry je länger, je mehr fühlen – auch wenn er in der mit ihren
eigenen Dämonen ringenden jungen Gerichtsschreiberin Summer (AnnaSophia Robb) eine patente Verbündete findet, mit deren Hilfe er immer tiefer vorstösst in das Netz der Verschwörung, das der
örtliche Polizeichef Sandy (Don Johnson) geknüpft hat, diesen Sumpf der Korruption, in dem sie hier trotz eines erst kürzlich zu den Akten gelegten Justizskandals unbeirrt weiter waten. Klar ist
freilich: Bei Terry, dem Aufgeben fremd ist, sind sie an den Falschen geraten.
Vielschichtig, aber meisterhaft unverkrampft
«Rebel Ridge» ist der fünfte Spielfilm von Regisseur und Drehbuchautor Jeremy Saulnier, der
insbesondere mit den Thrillern «Blue Ruin» (2013) und «Green Room» (2015) mancherorts für Furore gesorgt hat. Und es war eine ziemliche Zangengeburt, bis das exklusiv auf Netflix ausgestrahlte
Projekt endlich vollendet war. Dass die Pandemie und das Ausscheiden des familiär verhinderten Stars John Boyega die Produktion auf mehr als vier Jahre streckten, ist dem fertigen Produkt indes
so ganz und gar nicht anzusehen. Wie aus einem Guss kommt das alles daher: präzise inszeniert, prägnant auf den Punkt gebracht vom Drehbuch und präsent gespielt von dem noch wenig bekannten
englischen Hauptdarsteller Aaron Pierre («Old»). Schnörkellos geht es schon los – ohne lästiges Zögern, ohne leidiges Zaudern. Und zackig und zügig schreitet die Story sodann fort. Doch so, wie
der bevorzugt in knappen Hauptsätzen parlierende Terry hier den Eindruck von maximaler Zurückhaltung vermitteln möchte und dabei trotzdem nie den in seinem Inneren brodelnden Vulkan zum Erlöschen
bringen kann, so hat auch der nonstop packende und pulsierende Film noch ein paar Schichten mehr zu bieten als das, was an der Oberfläche als recht simpel erscheint. Im Gewand des Thrillers, der
«Rebel Ridge» in erster Linie und auch noch auf den zweiten Blick eingedenk der klassischen Motive und des vehementen Unterhaltungsanspruchs definitiv ist, verbirgt sich nämlich ein Drama, das
alles andere als blind ist für die sozialen Brennpunkte des zerrissenen und zusehends zerfledderten Amerika im Jahr 2024. Wider Erwarten wird zwar die Rassismusthematik im Zusammenhang mit
Polizeigewalt nicht aufgegriffen; dafür kommen die Opioidkrise und die grassierende Bandenkriminalität ebenso zur Sprache wie eher trockene Aspekte: die Problematik der unterfinanzierten
Strafverfolgungsbehörden etwa oder die Ticks und Tücken der amerikanischen Justiz. All das webt Saulnier freilich so meisterhaft unverkrampft in den Plot ein, dass es nicht ablenkt von der
eigentlichen Action.
Besonnen und dem Zweck verpflichtet
Niedere Instinkte zu befriedigen und den Vulkan in Terry endlich ausbrechen zu lassen, das hingegen mag Saulnier nicht. Sosehr man sich in dem einen besonders bitteren oder dem anderen speziell
perfiden Moment womöglich auch wünscht, dass der rechtschaffene Zorn des unumstrittenen Helden sich Bahn bricht und seine Peiniger in einer Eruption der Gewalt ihr verdientes Ende finden mögen:
Am Ende ist man Saulnier doch dankbar, dass er wie Terry stets besonnen bleibt. Nach einer Stunde könnte sein Film eigentlich fertig erzählt sein – ist er aber nicht, zum Glück nicht. Stattdessen
drosselt Saulnier nun das Tempo; und statt die Dinge geräuschvoll eskalieren zu lassen, lenkt er das Geschehen immer wieder mehr in Richtung Drama. Gleichzeitig verliert er seinen Kernauftrag nie
aus den Augen: Mit wilder (oder eben milder) Entschlossenheit – auch das etwas, was der Film mit dem Protagonisten gemeinsam hat – steuert er wie die sehenswerte «Reacher»-Serie im Stile
eines Westerns auf den ultimativen Showdown zu – gänzlich unbeirrt und unbeeindruckt, wenngleich mit einem Schlenker hier und einer Wendung da, die der mehr und mehr schachspielhaften
Konfrontation noch mehr Würze verleihen. Optisch mag das zwar nicht allzu viel hergeben; es ist das ein mehr zweckdienlich-nüchterner, Substanz über Stil stellender Look ohne gröbere
Kabinettstückchen. Saulniers handwerkliche Kompetenz ist aber in jeder Einstellung offensichtlich. Und die Schmankerl liefern sowieso die Darsteller nach: AnnaSophia Robb mit einer
unwiderstehlichen Mischung aus Verschrobenheit und Verletzlichkeit; Don Johnson, der auf seine alten Tage – der Mann ist tatsächlich schon 75 – das Schmierig-Schurkenhafte
perfektioniert hat; und natürlich dieser Aaron Pierre, der im wahrsten Sinne des Wortes in jedem Moment da ist und mit den Augen weit mehr anstellt und auslöst als mit den Fäusten.