von Sandro Danilo Spadini
Todd Haynes, dieser feinsinnig subversive Regiekünstler, suchte sich ihm anzunähern, indem er ihn in sechs separaten Handlungssträngen von sechs verschiedenen Mimen porträtieren
liess, darunter auch eine Frau. Dass sein Kollege James Mangold eine ebenso waghalsige, eine ähnlich intellektuelle, eine annähernd so krude Strategie wählen würde für seine Bob-Dylan-Biografie
«A Complete Unknown», stand derweil nicht zu vermuten. Mangold nämlich ist keiner, der sich auf
Experimente einlässt. Er flippert zwar durch die Genres wie kaum ein anderer und hat von Dramen über Polizei-, Action- und Sportfilme, Western, romantische Komödien, Abenteuerstreifen, Thriller,
Biopics bis zu Superheldenkisten schon so ziemlich alles gedreht, was das Kino hergibt. Er hat sich dabei aber nie je angeschickt, das Rad neu zu erfinden. Ob man das nun goutiert oder nicht: Für
seinen Dylan-Film muss das nichts Übles verheissen. Zumal das Ergebnis von Haynes’ Bemühungen jetzt auch nicht über jeden Zweifel erhaben war – und zumal Mangold vielleicht noch nie einen
wahrhaft grossen, fraglos aber auch noch nie einen Film auf die Beine gestellt hat, der nicht mindestens solide war (wobei man freilich das letzte «Indiana Jones»-Abenteuer unter der Kategorie
«überflüssig» ablegen könnte). Was ebenfalls zuversichtlich stimmt: Seinen bislang grössten Wurf hat Mangold mit der Johnny-Cash-Biografie «Walk the Line» gelandet – in einem Genre mithin,
in das er nun zurückkehrt (und mit einem Film über einen Künstler, der auch hier eine Rolle spielen wird). Und sowieso: Sein Werk hat acht Oscar-Nominierungen eingeheimst, unter anderem in der
Haupt- und der Regiesparte sowie in drei Darstellerkategorien – so mies wird es nicht sein.
Als ob ihm alles zufliegen würde
Die Handlung von «A Complete Unknown» (der Titel stammt aus dem Refrain von «Like a Rolling Stone») setzt ein im Jahr 1961 mit der Ankunft des Robert Zimmerman alias Bob Dylan (Timothée Chalamet)
in New York. Per Autostopp ist dieser 19-jährige «Midwestern Boy» in den Big Apple aufgebrochen, um seinem schwer kranken und drüben in New Jersey hospitalisierten Idol Woody Guthrie (Scoot
McNairy) seine Aufwartung zu machen. An dessen Bettstatt trifft er mit Pete Seeger (Edward Norton) dann auch gleich noch die andere Ikone der amerikanischen Folkmusik an; und ebendieser Pete
Seeger ist es, der sich für den noch vollkommen unbekannten jungen Musiker aus Minnesota als Türöffner erweisen wird. Wohl nicht gerade kometenhaft, aber doch ziemlich zügig und reibungslos
verläuft dessen Ein- und Aufstieg in der New Yorker Folkszene – da ist nichts mit Tingeln und Klinkenputzen. Und was das Erobern von Frauenherzen angeht, läuft es ähnlich geschmeidig: Die
kulturell mannigfaltig interessierte Sylvie Russo (ein von Elle Fanning gespielter fiktiver Charakter, der nach Dylans einstiger Muse Suze Rotolo modelliert ist) erobert er im Sturm mit
Geschichten über seine Zeit beim Karneval; bei der bereits etablierten Folksängerin Joan Baez (Monica Barbaro), mit der er parallel eine On-off-Beziehung eingeht, sind es seine hypnotisierend
brillanten künstlerischen Fertigkeiten und der gänzlich andere musikalische Ansatz, die sie in Bann ziehen. Ob er ein Freak sei, fragt ihn Sylvie einmal. Er hoffe es doch, entgegnet Dylan
lakonisch. «Du bist ein bisschen ein Arschloch, Bob», meint Joan Baez ein andermal. «Ja, stimmt wohl», gibt Bob schulterzuckend zurück. Und so wenig, wie er sich für die Gefühle seiner
Mitmenschen zu interessieren vorgibt, scheint ihn das Weltgeschehen zu kümmern. «Well, that’s that», lautet seine Reaktion auf die Nachricht, dass ein Atomkrieg mit der Sowjetunion im Zuge der
Kuba-Krise nun doch habe verhindert werden können. Es ist ein weder schüchterner noch bescheidener, aber eher weltabgewandter Mann, der hier durch die Strassen und Folkclubs von New York City
streift – einer, der noch nicht einmal gelernt hat, wie man daheim Kaffee kocht, der nichts Wesentliches und Persönliches über seine Vergangenheit preisgibt, der mit Johnny Cash (Boyd
Holbrook) eine Brieffreundschaft und mit der guten Seele Pete Seeger eine immer distanziertere Beziehung pflegt, der recht haushälterisch mit seinen Gefühlen nicht nur für seine Frauen umgeht und
auch sehr dosiert seiner Leidenschaft Ausdruck verleiht, dem der Rummel um seine Person schnell einmal zu viel wird und der doch nicht frei von Allüren ist, der das Enigmatische, das ihn umgibt,
zu kultivieren scheint, und vor allen Dingen einer, der sich nichts vorschreiben lässt, niemandes Erwartungen gerecht werden will und der gerade auch in musikalischer Hinsicht nichts von Grenzen
hält. Dieses Störrische, das Ignorieren und Brechen von Traditionen, mit dem er nonchalant in Kauf nimmt, es sich mit Fans und Kollegen zu verscherzen – das kristallisiert sich mit zunehmender
Spieldauer als Hauptthema des Films heraus, der auf dem Buch «Dylan Goes Electric!» von Elijah Wald beruht und in der Kontroverse kulminiert, die Dylan 1965 bei seinem Auftritt am Newport Folk
Festival mit dem Wechsel zur Rockmusik auslöste.
Stil- und stimmungsvoll an der Oberfläche
Von 1961 bis 1965 also: Eine eigentliche Dylan-Biografie ist «A Complete Unknown» letztlich nicht geworden – aber gleichwohl ziemlich genau der Film, der von einem James Mangold zu erwarten
war. Ein chronologisch geradliniger, bisweilen tiefgründiger und scharfsinniger Film in einem von Stammkameramann Phedon Papamichael verantworteten edel-erdigen Look, der über seinen
Protagonisten hinaus die komplette New Yorker Folkszene ins Visier nimmt und zu einem atmosphärischen Stimmungsbild verdichtet und der darüber hinaus das politische Geschehen jener bewegten Zeit
streift. Ein Film freilich auch, der zwar anders als manche Hollywood-Musikerbiografie jüngeren Datums weit mehr ist als ein Film gewordener Wikipedia-Eintrag, der mit vielem aber an der
Oberfläche oder nur knapp darunter bleibt und für Dylanologen nur wenig Erhellendes bereithält, manch einen von ihnen mit seinem mitunter unverkrampften Umgang mit Daten, Personen und Fakten
sogar empören mag. Und ein Film endlich, der untypisch für sein Genre mit erstaunlich wenig Drama auskommt – keine Drogeneskapaden, keine Abstürze, keine Karriereknicks, keine Comebacks und
auch nicht allzu viel Tränen, Liebesbeschwörungen, Wutausbrüche, Künstlerpathos. Gezügelt sind auch die Darbietungen der sämtliche Songs selbst singenden Stars Thimotée Chalamet, Edward Norton
und Monica Barbaro, die allesamt vollkommen zu Recht für den Oscar nominiert waren. Chalamets vereinnahmendem Auftritt, der nicht nur rund vierzig Lieder, sondern auch mehrere Facetten umfasst,
ist es denn auch zu verdanken, dass wir am Ende wenigstens eine Ahnung davon haben, wer dieser Bob Dylan sein könnte. Sein Regisseur hingegen tut erst gar nicht so, als ob er das wüsste. Was er
hingegen weiss, ist, dass dem Geheimnis ein Zauber innewohnt. Und diesen Zauber, den gilt es unbedingt zu bewahren.