Von Sandro Danilo Spadini
Den besten Film dieses an Höhepunkten sehr armen Kinojahres mochten sie partout nicht nominieren: «The Dark Knight», diese bombastische Oper schwarzen Wahnsinns, war den Academy-Leuten offenbar
nicht seriös genug; schliesslich handelt es sich hierbei um den neuen Batman-Streifen und ergo um eine Comicverfilmung. Dabei ist das Opus magnum von Christopher Nolan natürlich weit mehr als
das, politisch und philosophisch den Nerv der Zeit treffend, inszenatorisch und darstellerisch seinesgleichen suchend. Was «The Godfather» für die 70er, «Raging Bull» für die 80er, «Pulp Fiction»
für die 90er, das ist «The Dark Knight» für unser Jahrzehnt.
Nur einmal Weltklasse
Aber eben. Dieses Jahrzehnt-Meisterwerk interessierte die Academy kaum. Und weil diese auch das tief berührende Drama «The Wrestler» von Darren Aronofsky verschmähte, gibt es in der diesjährigen
Auswahl nun gerade einen Film, der das Prädikat «Weltklasse» verdient hat. Jetzt also «Slumdog Millionaire». Zehnfach nominiert und mit allen wichtigen Preisen dieser Award-Saison im Gepäck
anreisend, ist das Indien-Märchen des Briten Danny Boyle denn auch der Kronfavorit. Es wäre die logische Wahl, es wäre die erwartete Wahl – und doch wäre es auch eine überraschende Wahl. Denn
einen solchen Sieger hat die Oscar-Nacht noch nicht hervorgebracht. «Slumdog Millionaire» hat keine Stars, ist poppig-modern inszeniert und drischt einem bisweilen rohen Realismus ins Gesicht.
Das ist eigentlich kein Oscar-Film. Ganz anders der Nominierungskönig «The Curious Case of Benjamin Button», der mit wuchtigem Bild, süsssaurem Ton, perfekter Technik und einem fantastischen
Superstar Brad Pitt aufwartet. 13-mal ist das Drama von David Fincher vorgeschlagen, und es steht zu erwarten, dass es trotz mässiger Güte anders als bei den Golden Globes nicht leer ausgehen
wird. Im Sinne einer «leistungsorientierten» Auswahl ist freilich zu hoffen, dass ihm wenigstens die finale Krönung versagt bleiben wird.
Spannung bei den Darstellern
Ob nun Boyle oder Fincher am Ende triumphieren wird – es wird in jedem Fall eine sinnige Wahl sein. Beide gehören sie nämlich einer neueren Generation von Regisseuren an, die dieses Filmjahr
nachhaltig geprägt haben. Kein Scorsese, kein Polanski, kein Lynch, keine Coens und nicht mal ein Spielberg: Diese Saison gehörte Leuten, die erst in den 90ern ihre bereits fulminante Karriere
starteten, Leuten wie Sam Mendes, Darren Aronofsky, Christopher Nolan und eben Fincher und Boyle. Wie erwähnt, ist indes nicht allen von ihnen vergönnt, in dieser Oscar-Nacht eine tragende Rolle
zu spielen. Das ist natürlich lamentabel, wird aber immerhin teilweise von der ungewöhnlichen Spannung aufgewogen, die in den Darstellerkategorien herrscht. Selten war es so schwierig, hier die
Gewinner vorauszusagen. Heath Ledger sollte es wohl machen; alles andere wäre nicht nur herzlos, sondern auch unter künstlerischen Aspekten unanständig. Doch wird es mit der Auferstehung von
Mickey Rourke einen zweiten herzergreifenden Moment geben? Sean Penn scheint fast die besseren Karten zu haben. Bei den nicht ganz so stark aufgestellten Damen beschäftigt derweil vor allem, ob
Kate Winslet nach fünf gescheiterten Versuchen endlich den Goldmann gen Himmel stemmen kann. Es wäre ihr gewiss zu gönnen. Schliesslich hat sie mit gleich zwei Glanzauftritten ein doch recht
trübes Kinojahr massiv aufgehellt.