Von Sandro Danilo Spadini
«Clint Eastwood hat nur zwei Gesichtsausdrücke: einen mit Hut und einen ohne.» Was Sergio Leone damals über seine mimischen Qualitäten gesagt hat, trieft nicht gerade vor Wertschätzung. Böse
gemeint war es aber gewiss nicht. Und wahr ist es irgendwie auch. Denn Clint Eastwood ist weniger ein Schauspieler denn ein Typ. Kein Method-Actor, der das fühlt, was er spielt: kein Marlon
Brando – Clint Eastwood ist er selbst. Kein schauspielerndes Chamäleon, das sich durch das komplette Rollenrepertoire spielt: kein Sean Penn – Clint Eastwood ist Clint Eastwood, mal mit Hut, mal
ohne. Basta.
Reaktionärer Chauvinist
Trotzdem hat sich der am 31. Mai 1930 in San Francisco geborene Buchhaltersohn Clinton Eastwood jr. auch als Schauspieler im Laufe der Zeit gewandelt. Seine Kinokarriere begonnen hat er ja beim
Western, beim Italo-Western, beim Spaghetti-Western, bei Sergio Leone eben. Hier gibt es nicht viele Rollentypen zu spielen, ist keine mimische Akrobatik vonnöten. Einsilbig, vierschrötig,
zynisch – das reicht, um zum Star zu werden. Und hier, abseits von Hollywood, wird Eastwood zum Star: «A Fistful of Dollars», «The Good, the Bad and the Ugly», alles bekannt. Nicht im Sattel
sitzt er dann bei «Once upon a Time in the West» – da hat er sich bereits mit Leone verkracht. Jetzt will er nach Hollywood, er ist schliesslich Amerikaner, durch und durch Amerikaner, der
Amerikaner schlechthin. Es wird freilich schwierig, die italienischen Meriten in der Heimat zu Gold zu machen. Doch dann, 1971, kommt sie, die Rolle, die ihn zum «household name», zum in jedem
Haushalt geläufigen Namen, macht. Clint Eastwood ist Police Inspector Harry Callahan, Clint Eastwood ist Dirty Harry. Insgesamt fünfmal, zuletzt 1988, wird er den Bullen vom San Francisco Police
Department spielen. Schaut man sich heute diese fünf Filme an, muss man sagen: keine Knüller. Doch Dirty Harry wird zur Kultfigur und – die ultimative Adelung – sogar Teil des heutigen
Wortschatzes. Es ist dies die Figur, die Eastwood über Jahre definieren wird – nicht nur zu seinem Vorteil freilich. Denn dieser zur Selbstjustiz neigende Cop Callahan ist nicht gerade das, was
der Zeitgeist nach 1968 goutieren würde: selbstherrlich, staatsmächtig, schiesswütig, ein reaktionärer Chauvinist, ein ganz übler Amerikaner, Republikaner. Clint Eastwood, das eingetragene
Mitglied der Republikanischen Partei, das Nixon und Reagan unterstützt, ist jetzt das Synonym all dessen. Er spielt neben Dirty Harry noch andere Rollen, vor allem Bullen, er macht inzwischen
seine eigenen Filme als Regisseur, er bleibt aber letztlich nur das: Dirty Harry.
Alles wird anders
Auch in den Achtzigern bleibt Clint Eastwood ein ganzer Mann. Bleibt dem Cop-Genre treu. Bleibt auch dem Western treu. Clint Eastwood ist noch immer Clint Eastwood: hart, kernig, härter,
kerniger. Als Regisseur diversifiziert er damals bereits, macht künstlerisch ambitionierte Sachen, zeigt seine softe Seite. Der Schauspieler Clint Eastwood lässt sich dafür noch etwas Zeit, muss
Ende der Achtziger dann aber erkennen, dass seine Zeit abläuft, dass er umsatteln muss, dem Alter und vor allem der Zeit Tribut zollen muss. Jetzt, allmählich, wird Clint Eastwood, nachdem er
einige schmerzliche Flops hat hinnehmen müssen, vom grobschlächtigen Action-Star zur geachteten Leinwand-Grösse. Er entdeckt die Selbstironie, entdeckt die Melancholie. Wir sind jetzt in den
Neunzigern, im Jahr 1992, um genau zu sein – und genau zu sein, lohnt sich in diesem Fall. Denn jetzt kommt «Unforgiven», und jetzt ändert sich alles. Eastwood wird nun zwar nicht vom Star zum
Schauspieler, also vom Typ zum wandelbaren Charakter. Aber er wird nun, schon ein alter Mann, zu dem, als der er auch den ihm gegenüber ehedem noch reservierten Rest der Kinogemeinde für sich
gewint. Denn Clint Eastwood schliesst ab, mit Dirty Harry, mit sich, mit dem Western. «Unforgiven» ist ein Abgesang auf die längst zweifelhaft gewordenen Tugenden des Genres, ja ist die
Dekonstruktion des Genres, seiner Mythen, seiner Helden. Eine Oscar-Nominierung geben sie dem Schauspieler Clint Eastwood sogar dafür – nicht weil er so brillant spielt, sondern weil er immer
noch da ist. Und dem Regisseur Clint Eastwood händigen sie sogar den Goldjungen aus – nicht weil er noch immer da ist, sondern weil er so brillant inszeniert.
Die Altersrolle
Mit «Unforgiven» beginnt das zweite Kinoleben des Clint Eastwood. Danach spielt er nur noch in einem Film, bei dem er nicht selbst Regie führt. «In the Line of Fire» heisst dieser Film, ein
schnurgerader Thriller, inszeniert vom deutschen Handwerker Wolfgang Petersen. Eastwood gibt darin einen Präsidentenleibwächter, der einst beim Attentat auf Kennedy im entscheidenden Moment
versagt hat, einen lädierten alten Haudegen. Das ist die Rolle, die den neuen Clint Eastwood definieren wird: rüstig, aber belastet und mithin auch fragil. Mit Hut oder ohne Hut ist jetzt nicht
mehr die Frage, es ist eine neue Rolle, ist seine Altersrolle und – klar – die ewig gleiche Altersrolle. Sie werden den Schauspieler Clint Eastwood dafür nochmals für einen Oscar nominieren, 2004
für «Million Dollar Baby», wo er einen aussen harten, innen weichen Boxtrainer spielt – nicht weil er so gut spielt, sondern weil er immer noch da ist. Sie werden dem Schauspieler Clint Eastwood
diesen Oscar aber nicht geben, auch nachher nicht, als er, vergangenes Jahr, in «Gran Torino» seine wohl letzte Rolle spielt: einen eingefleischten Rassisten, der sich ganz zum Ende seines Lebens
noch eines Besseren belehren lässt. Im Abspann von «Gran Torino» – es ist ein berückender Moment – singt er dann auch noch, mit dieser vertrauten Schleifpapier-Stimme, brüchiger als auch schon,
wenn man es nicht besser wüsste, müsste man sagen: verletzlich. Es ist dies vermutlich das Letzte, was man von Clint Eastwood von der Leinwand herab gehört haben wird: der Schwanengesang eines
der letzten Stars alter Hollywood-Prägung. Nochmals: Es ist ein berückender Moment.
Von Sandro Danilo Spadini
«Ich bin nur ein Typ, der Filme macht.» Nicht bloss Sergio Leone, auch Clint Eastwood selbst lässt in der Einschätzung von Clint Eastwood jegliche Euphorie vermissen. Es ist ein Understatement,
das gut zu diesem Vierschröter passt. Eines auch, das gut zu den Filmen des Regisseurs Clint Eastwood passt. Monumentale Gefühlslandschaften hat der 80-Jährige in vielen seiner nunmehr 31 selbst
inszenierten Spielfilme zwar beackert, kein Zweifel. Doch wo andere nochmals einen drauflegen und zur grossen Geste ausholen, da bremst er gerne ab und hält mit ruhiger Hand stoisch die Linse
drauf. Es gibt manche Parallelen zwischen seiner Arbeit vor und jener hinter der Kamera, dieses Stoische etwa oder die Effizienz. Markanter jedoch sind die Unterschiede. Denn was den Regisseur
Eastwood auszeichnet, ist die Vielseitigkeit und damit eben gerade das, was ihm als Schauspieler komplett abgeht. Quer durch die Genres hat er sich in den letzten 40 Jahren gefilmt: Anfangs waren
es noch vor allem die Western und die Bullenfilme, im gereifteren Alter dann aber hat er auch Komödien inszeniert. Und Liebesdramen. Und Gerichtsfilme. Und Kriegsfilme. Und Biografien. Und
Sportfilme. Und wieder Western, klar. Rumgekommen ist er auch, war in Käffern wie in Grossstädten, war in Japan oder Südafrika, war sogar mal im Weltall und des Öfteren in der Vergangenheit. Mit
dem Alter hat sich seine Abenteuerlust sogar noch gesteigert; beständig geworden ist parallel dazu dafür die hohe Qualität seiner Regiewerke. Und prägnant geworden ist seine Handschrift, zu der
er erst recht spät gefunden hat.
Der späte Exploit
Sein Debüt als Regisseur gibt Eastwood 1971 mit dem Psychothriller «Play Misty for Me». Ein hoffnungsvoller Erstling, ein kommerzieller Erfolg, ein packender Nervenkitzler, der indes ein wenig
unter seinem hölzernen Hauptdarsteller leidet. Der Hauptdarsteller heisst: Clint Eastwood. Charakteristisch für sein inszenatorisches Wirken wird gerade dies nicht sein. So wird sich Eastwood
später einen Namen als Regisseur der Schauspieler machen, als einer also, der seine Mimen zu Höchstleistungen anzutreiben vermag. Gleich fünf Stars verdanken seiner kundigen Anleitung einen
Oscar: Hilary Swank, Sean Penn, Gene Hackman, Morgan Freeman, Tim Robbins; sich selbst dirigiert er immerhin zu zwei Oscar-Nominierungen. Die erste dieser beiden Nominierungen geht einher mit
seinem eigentlichen Durchbruch als Regisseur. Es ist das Jahr 1992, Clint Eastwood hat seit seinem Debüt 14 Filme inszeniert. Sein Ruf als Regisseur ist intakt; mittelmässige Streifen haben sich
mit beachtlichen wie dem Charlie-Parker-Biopic «Bird» abgewechselt. Der Regie-Oscar 1992 für den auch als besten Film ausgezeichneten Spätwestern «Unforgiven» kommt gleichwohl unerwartet. Einen
Exploit dieses Ausmasses hat man ihm nicht zugetraut. Und zunächst wirkt es in der Tat so, als sei «Unforgiven» ein einmaliger Ausreisser nach oben. Denn Eastwood fällt es in der Folge schwer,
den neu erworbenen Status als Starregisseur zu bestätigen. Er dreht «A Perfect World» mit Kevin Costner, einen netten Film. Dann «The Bridges of Madison County» mit Meryl Streep, eine hübsche
Romanze. Dann die David-Baldacci-Adaption «Absolute Power», einen soliden Thriller. Es folgen bis 2003 schliesslich vier weitere Filme, die den Regisseur Clint Eastwood wieder zurück ins
Mittelmass befördern.
Es regnet Oscars
Jetzt jedoch geschieht etwas Unerklärliches. Die Kinogemeinde hat sich mit dem einstigen Revolverhelden Clint Eastwood längst ausgesöhnt; sie hat aber auch gleichsam mit ihm abgeschlossen und
sich darauf eingestellt, ihn als knapp unterdurchschnittlichen Schauspieler und knapp überdurchschnittlichen Regisseur in Erinnerung zu behalten. Sie hat freilich die Rechnung ohne den nunmehr
über 70-Jährigen gemacht. Denn der Regisseur Clint Eastwood startet nun in seinen zweiten Frühling, der unendlich besser und ein gutes Stück länger ist als der erste. Clint Eastwood präsentiert
«Mystic River», einen packenden Thriller um einen Kindsmord, ein vielschichtiges Drama um eine Bostoner Familie, einen magischen Film, einen perfekten Film. Nie war Clint Eastwood besser als
hier; die zweite Oscar-Nominierung als Regisseur ist eine Selbstverständlichkeit. Doch nur ein Jahr später erschüttert er die Kinogemeinde abermals – indem er sich selbst nochmals übertrifft: Das
Boxerdrama «Million Dollar Baby» ist mehr als nur die Bestätigung der bei «Mystic River» gezeigten Hochform – Clint Eastwood ist, endlich, im Zenit seines Schaffens. Die Oscars für das Filmjahr
2004 werden zum Triumphzug: zwei Darstellerpreise, bester Film und – hochverdient – die Auszeichnung als bester Regisseur. Jetzt gibt es kein Halten mehr; Eastwood setzt zum Opus magnum an. Mit
«Flags of Our Fathers» und «Letters from Iwo Jima» holt er zum Doppelschlag aus: zwei auf einen Streich gefertigte über zweistündige Dramen über eine Schlacht im Pazifikkrieg, erzählt aus zwei
unterschiedlichen Perspektiven – ein Mammutprojekt. Wieder gibt es eine Oscar-Nominierung.
Voller Tatendrang
Und Clint Eastwood ist noch immer nicht müde. Kurz nacheinander dreht er den atmosphärischen Thriller «Changelling» mit Angelina Jolie und das herzzerreissende Rassismusdrama «Gran Torino». Es
ist nun bereits müssig geworden, die Ausnahmeklasse dieser beiden Streifen zu loben – von dem Regisseur Clint Eastwood erwartet man inzwischen nichts mehr weniger als Meisterwerke. Zu einem
solchen gereicht sein bislang letzter Film nicht ganz; doch auch der unlängst erschienene Sportfilm «Invictus» mit Eastwoods Spezi Morgan Freeman in der Rolle von Nelson Mandela zeigt, dass es
derzeit keinen souveräneren Regisseur als Clint Eastwood gibt. Und der ist auch mit 80 Jahren noch voller Tatendrang: In der Postproduktion befindet sich derzeit ein in San Francisco, London und
Paris spielender übersinnlicher Thriller mit Matt Damon; aufgegleist ist bereits die Biografie über den legendären FBI-Chef J. Edgar Hoover, in der Leonardo DiCaprio die Hauptrolle spielen soll.
Es sind wiederum zwei ambitionierte Projekte, die Erwartungen werden hoch sein, Clint Eastwood wird sie – mindestens – erfüllen. Gross reden wird er darüber aber nicht. Denn Clint Eastwood ist ja
nur das: ein Typ, der Filme macht. Zwingend ergänzen müsste man freilich: ein Typ, der verdammt gute Filme macht.
Vor der Kamera
«The Good, the Bad and the Ugly» (1966, Regie: Sergio Leone)
Mit Hut: In Italien wird Eastwood zum Star. Nachdem er mit Sergio Leone bereits «A Fistful of Dollars» und «For a Few Dollars More» gedreht hat, spielt er die Hauptrolle im Westernklassiker
schlechthin. Gemäss den Usern der Internet-Filmdatenbank www.imdb.com ist «Il buono, il brutto, il cattivo» der viertbeste Film aller Zeiten.
«Dirty Harry» (1971, Regie: Don Siegel)
Ohne Hut: Clint Eastwood ist in Hollywood angekommen. Die Rolle des Police Inspector Harry Callahan macht ihn zum in jedem Haushalt geläufigen Namen und zum Feindbild der Achtundsechziger. Von
der Kritik wurde er bei seinem Erscheinen gleichwohl äusserst wohlwollend aufgenommen. Das «Lexikon des internationalen Films» bezeichnet den vom «Zodiac»-Killer im San Francisco der
Sechzigerjahre handelnden Thriller als einen «der härtesten und zwiespältigsten Filme» der Siebzigerjahre. Die vier Nachfolger, die bis 1988 entstehen, können das Niveau des Originals freilich
nicht halten.
«In the Line of Fire» (1993, Regie: Wolfgang Petersen)
Die Altersrolle: In dem schnurgeraden Thriller spielt Eastwood einen Präsidentenleibwächter, der einst beim Kennedy-Attentat versagt hatte und nun, in Diensten des neuen Amtsträgers, nicht noch
mal denselben Fehler begehen will. Es ist dies das letzte Mal, dass Eastwood in einem Film mitspielt, den er nicht selbst inszeniert hat.
«The Bridges of Madison County» (1995, Regie : Clint Eastwood)
An der Seite der Grössten: Mit der Farmerin Meryl Streep hat der Magazinfotograf Eastwood hier eine so kurze wie romantische Affäre. Es folgt eine Reihe von Filmen, bei denen er gleichzeitig
Regie führt und die Hauptrolle spielt.
«Gran Torino» (2008, Regie: Clint Eastwood)
Die letzte Rolle: Als eingefleischten Rassisten auf Läuterungskurs hat man Eastwood wohl zum letzten Mal auf der Leinwand gesehen. Im Abspann singt er sogar.
Hinter der Kamera
«Play Misty for Me» (1971)
Das Debüt: Eastwood jagt einen Serienkiller – und legt einen vielversprechenden Erstling hin. Nur der Hauptdarsteller glänzt nicht. Er heisst Clint Eastwood.
«Unforgiven» (1992)
Der Durchbruch: In dem Spätwestern dekonstruiert Eastwood das Genre samt seinen Mythen und Helden. Sein 16. Regiewerk bringt ihm den ersten Oscar als Regisseur und wird zudem als bester Film
ausgezeichnet.
«Mystic River» (2003)
Das Comeback: Nach einer langen Reihe von mittelmässigen bis soliden Filmen überrascht Eastwood die Kinogemeinde mit einem perfekten Film. Das Drama um einen Kindsmord in Boston bringt Sean Penn
und Tim Robbins einen Oscar ein.
«Million Dollar Baby» (2004)
Der zweite Oscar: Wieder führt Eastwood zwei seiner Darsteller zu einem Goldjungen, Hilary Swank und Morgan Freeman. Für ihn selbst als aussen harten, innen weichen Boxtrainer gibt es eine
Nominierung – und als Regisseur und Produzent die beiden Hauptauszeichnungen. Eastwood ist als Regisseur im Zenit seines Schaffens angelangt.
«Invictus» (2009)
In Südafrika: Morgan Freeman spielt Nelson Mandela, Matt Damon führt das südafrikanische Rugby-Team zum WM-Titel. Kein Meisterwerk zwar, aber Eastwood beweist abermals, dass es derzeit keinen
souveräneren Regisseur als ihn gibt.