Fussball und Film: Eine traurige Liaison

Anders als in der Neuen Welt leidet der Sport im europäischen Kino unter geradezu stiefmütterlicher Vernachlässigung. Und was den Fussball angeht, fällt die Ausbeutge beidseits des Atlantiks mager aus - mit wenigen Ausnahmen.

 

Von Sandro Danilo Spadini

 

Bisweilen sind uns die Yankees eben doch noch ein gutes Stück voraus. Als amerikanischer Sportinteressierter mit gleichzeitiger Affinität zum Kino muss man sich jedenfalls wie im Paradies oder wahlweise auch im Fenway Park oder im Madison Square Garden vorkommen – zumindest verglichen mit uns Gleichgesinnten vom alten Kontinent. Zahlreich sind etwa die sportgeschichtlich relevanten Ereignisse aus den US-Königsdisziplinen Football, Basketball, Baseball und Boxen, die bereits von Hollywood abgehandelt worden sind. Gewiss findet sich unter diesen Erzeugnissen auch manch Entbehrliches, das weder vom kritischen Cineasten noch vom kundigen Sporthistoriker goutiert werden kann; doch bereits die bare Fülle von Sportfilmen aus amerikanischen Landen ist ein Garant dafür, dass dann und wann mal was Brauchbares rauskommen wird. Und wenn man dafür in den Bereich des Fiktiven ausweichen muss, ist das auch nicht weiter schlimm – wenigstens dann nicht, wenn etwa eine Regielegende wie Oliver Stone mit dem filmischen Tollwutanfall «Any Given Sunday» erklärt, was alles falsch läuft im turbokommerzialisierten American Football.

 

Keine Berührungsängste


Dass ein Mann vom Kaliber Stones einen Football-Film dreht, sagt schon mal einiges aus über den Stellenwert, den der Sport in den USA ganz allgemein gesellschaftlich und offenkundig auch in künstlerischen Kreisen geniesst. Und Stone ist mitnichten der einzige grosse US-Regisseur, der keinerlei Berührungsängste in Bezug auf das intellektuell vermeintlich lässliche Tun und Treiben von Sportsfreunden aller Gattungen zeigte – man denke da auch an Michael Mann («Ali»), Ron Howard («Cinderella Man») oder Spike Lee («He Got Game»). Auch wenn dies samt und sonders Namen der filmischen Gegenwart sind, neumodisch ist die kinematografische Affinität zum US-Sport keineswegs – so spielte etwa Gary Cooper bereits 1942 den Baseball-Spieler Lou Gehrig in «The Pride of the Yankees». Die Amerikaner habens in Sachen Sportfilme also schon immer besser gehabt. Fragt sich einfach: Warum müssen sie sich bloss für so komische Sportarten interessieren?

 

Ein paar ehrenwerte Produktionen


Bei uns ist mit diesen Produktionen nämlich kaum was zu holen, die Box-Filme vielleicht mal ausgenommen. Wir wollen Filme über unseren Sport, also in erster Linie über Fussball. Und da schaut es selbst heute, im Zeitalter der lamentablen Kommerzialisierung und der damit durchaus einhergehenden kulturellen Pseudoannäherung ans runde Leder, immer noch ziemlich düster aus. Langsam, aber vehement drängt sich die Frage auf, wo er denn bloss bleibt, der ultimative Fussball-Film, der sich mit dem Zentrum und nicht mit den Rändern des Sports befasst. (Und wenn wir schon dabei sind: Wo bleiben eigentlich der ultimative Tour-de-France-, der ultimative Formel-1-, der ultimative Ski-Film?) Unbestritten ist in den letzten Jahren eine Handvoll ehrenwerter Produktionen wie etwa «The Other Final» oder auch die Günter-Netzer-Fabel «Aus der Tiefe des Raumes» entstanden, die sollen hier auch gar nicht kleingeredet werden. Und natürlich gab es «Bend It Like Beckham» und «Das Wunder von Bern». Doch der Film, der die Mechanismen des modernen Profi-Fussballs genau unter die Lupe nimmt und Packendes auf dem Platz zeigt, fehlt nach wie vor ebenso wie Spielfilm-Biografien grosser Stars und dergleichen. (Es gab da zwar mal einen Spielfilm über George Best, doch der ist trotz Auftritten von Stephen Fry und des Achtzigerjahre-Popsternchens Patsy Kensit eher vernachlässigbar.)

 

Die «Goal»-Reihe


Vorliebnehmen muss man deshalb einstweilen mit der «Goal»-Reihe. Die ist zwar von der FIFA mitproduziert, was eine ordentliche Portion Sulz und Schmalz verspricht. Doch ganz so übel sind wenigstens die ersten beiden Teile der Trilogie auch wieder nicht. Klar ist freilich, dass man das auch besser hätte machen können – etwa indem der ursprünglich für Teil eins eingeplante englische Starfilmer Michael Winterbottom auch wirklich auf dem Regiestuhl Platz genommen hätte. So aber wurde der erste Streich von einem «C.S.I.»-Regisseur inszeniert und der Nachfolger von einem Mann, der als einzige Referenz einen Horrorfilm mit Paris Hilton hatte erbringen können (nichts für ungut). Ohnehin ist das Trilogie-Projekt im Laufe der Zeit arg zurückgefahren worden. Teil zwei hat es bei uns schon nicht mehr in die Kinos geschafft, und der sehr seltsame und unter offensichtlichen Budgetproblemen leidende Trilogie-Abschluss erschien ohne jegliches Kino-Release direkt auf DVD.

 

Immerhin ein Volltreffer


Auffällig an der Fussballfilm-Misere ist, dass nicht mal aus den Hochburgen des europäischen Fussballs allzu viel kommt. Die Deutschen kredenzen ab und zu mal eine Komödie im Stile von «FC Venus» (im Übrigen das Remake eines gleichnamigen finnischen Films), von der italienischen Filmindustrie ist ohnehin nichts Nennenswertes zu erwarten, und die eigentlich recht vitale spanische Szene hat sich in dieser Richtung auch noch kaum hervorgetan. Am aktivsten sind da noch die Engländer, big surprise. Aus der Filmversion von Nick Hornbys «Fever Pitch» wurde indes das meiste Fussballerische eliminiert, und der zunächst recht lautstark angepriesene Streifen «Sixty Six» hat sich in der Grundkonstellation etwas gar viel von «Das Wunder von Bern» abgeguckt. Ein Volltreffer war derweil die Adaption des David-Peace-Romans «The Damned United» über das sagenumwobene 44-tägige Fiasko-Engagement von Trainerlegende Brian Clough bei Leeds United im Jahr 1974. Der mit Michael Sheen in der Hauptrolle prominent besetzte Streifen war in der Schweiz nur am letzten Zurich Film Festival zu sehen und ist mittlerweile auf DVD greifbar. In die hiesigen Kinos geschafft haben es demgegenüber der britische Regieroutinier Ken Loach und der charismatische Oberexzentriker Eric Cantona: In der Komödie «Looking for Eric» gibt der bereits filmerfahrene französische Ex-Star («Elizabeth») einem fussballbegeisterten Postboten philosophische Tipps, um ihm den Ausweg aus der Lebenskrise zu zeigen. Das ging zwar wiederum nicht als «ultimativer Fussballfilm» durch, war aber trotz eines etwas hausbackenen Humors ganz nett.

 

Fast nichts aus der Schweiz


Wenigstens scheint sich also ein bisschen was zu tun – von früher ist schliesslich nur wenig Erwähnenswerteres als der Gastauftritt Uwe Seelers im Heinz-Erhardt-Schwank «Unser Willi ist der Beste» aktenkundig. Wenn aber trotzdem nicht mal in den grossen Fussball-Ländern der Ball allzu geschmeidig über die Leinwand rollen will, ist es natürlich vermessen, von der hiesigen Filmlandschaft einen diesbezüglichen Knüller zu fordern. Für den geneigten FCZ-Fan gab es vor rund vier Jahren mal die Komödie «Flanke ins All» mit Ex-Aarau-Profi Joris Gratwohl und Sabine Timoteo. Über den Film muss man jetzt zwar sicher keine Romane schreiben, aber ein bei Schweizer Produktionen generell gerne angebrachtes «Immerhin» kann man sich in einem langmütigen Moment schon abringen. Ungleich höhere Erwartungen dürfte man da schon hegen, wenn der bekennende Fussballfan Michael Steiner sich dereinst des Themas annähme. Bislang ist es beim «Grounding»-Regisseur in dieser Hinsicht freilich erst bei einem Werbeclip mit den Jungs vom FC Münchwilen und einer Axpo-Spotserie mit Köbi Kuhn geblieben.

 

Doku-Highlights


Alles Flaute also in Sachen Fussball-Film? Nein, das dann auch wieder nicht. Grosses Kino gibts nämlich auch hier, bloss weniger im Spielfilm- als vielmehr im Doku-Bereich. Und das hat sogar Tradition. Schon 1970 wurde George Best mit «Fussball wie noch nie» ein faszinierendes Denkmal gesetzt: 90 Minuten mit dem Edeltechniker, die Kameras während der gesamten Spielzeit ausschliesslich auf ihn gerichtet – eine Offenbarung! Geht es hier um die Technik des Spiels an sich, so beleuchtet eine andere Doku aus den Siebzigern nicht minder aufschlussreich die Mechanismen drum herum: «Profis – ein Jahr Fussball mit Paul Breitner und Uli Hoeness» war ein Glücksfall, fürs Publikum ebenso wie für die Filmemacher. Als sich diese nämlich das Projekt ausdachten, konnten sie unmöglich ahnen, was in ebendiesem Jahr mit Paul Breitner und Uli Hoeness alles an Turbulentem, ja Skandalösem passieren würde. Die Kamera war bei allem dabei – Reality-TV vom Feinsten aus der Stube des damals schon mit «FC Hollywood» zu apostrophierenden Weltvereins.

 

Diego, Pelé und der Kaiser


Breitner und Hoeness in den Betten ihres Doppelzimmers zu sehen, ist sicherlich eine kaum zu überbietende Skurrilität. Doch «El Diego» beim ungezügelten Unsinnfaseln zuzuhören, hat auch was. Unlängst zu hören und zu sehen und zu bestaunen war das in der dokumentarfilmischen Heldenverehrung «Maradona» des bosnisch-serbischen Starfilmers Emir Kusturica, der sich selbst als besten Fussballer unter den Regisseuren bezeichnet und dies zu beweisen gedachte, indem er in einer Szene seines letzten Spielfilms «Life Is a Miracle» das Skandalspiel Roter Stern Belgrad gegen Dinamo Zagreb aus dem Jahr 1990 fiktionalisierte. Mit «Maradona» hat Kusturica ein wahres Unikat geschaffen: einen Dokufilm, in welchem der Regisseur null Distanz zu seinem Untersuchungssubjekt zeigen mag und diesem stattdessen eine enthusiastische und überaus verspielte Porträt-Collage darbietet. Zwei andere ganz Grosse des Weltfussballs, Pelé und der Kaiser, sind derweil in der fantastischen Doku «Once in a Lifetime» zugegen. Der derzeit nur auf Englisch greifbare Streifen aus dem Jahr 2006 beleuchtet «the Extraordinary Story of the New York Cosmos», und dies in einer Manier, welche die Herzen des Cineasten und des Fussballhistorikers gleichermassen höher schlagen lässt. Was es in diesem Film über die in den späten Siebzigern blühende US-Profiliga an Erkenntnisgewinn reinzuholen gibt, ist nahezu unbezahlbar. Und in der halbseidenen Person von Cosmos-Toptorjäger Giorgio Chinaglia präsentiert der Film obendrein einen veritablen Paten, den man sich mühelos auch in «The Sopranos» vorstellen kann. Fraglos gehört «Once in a Lifetime» zum Besten, was zum Thema Fussball je auf Zelluloid gebannt wurde. Und wer hats gemacht? Die Amerikaner natürlich.