Comic-Verfilmungen – mehr als Krawumm!, Freu! und Gröl!

Auch in diesem Jahr kommt eine Welle von Comic-Verfilmungen auf die Kinos zu. Längst lohnt es sich oft auch für Cineasten, bei solchen Produktionen genauer hinzuschauen. Die Evolution eines Genres.

Von Sandro Danilo Spadini


Wenn Steven Spielberg gerade den Klassiker «Tim und Struppi» verfilmt; wenn Christopher Nolan demnächst die Dreharbeiten zu seinem dritten Batman-Abenteuer «The Dark Knight Rises» aufnimmt; wenn David Fincher sich für die Graphic Novel «Torso» interessiert: Wenn also drei der renommiertesten Regisseure der Gegenwart keinerlei Berührungsängste mit dem Medium Comic offenbaren, dann sagt das einiges über den gestiegenen Stellenwert ebendieses Mediums aus. Längst vorbei sind die Zeiten, als es naserümpfend niederen Instinkten zugeschrieben wurde, wenn einer diesen Superhelden oder jenes Kinderidol auf der Leinwand inszenierte. Vorbei die Zeiten, als bloss Spinner vom Schlage eines Tim Burton oder Regie-Azubis und Hauruck-Filmer sich mit solchen Adaptionen verlustierten. Und sowieso und endgültig vorbei die Zeiten, als ein Comic einzig als Vorlage für hirnlose Materialschlachten dienen konnte. Mittlerweile hat sich der Comic als ernst zu nehmende Kunstgattung etabliert und sich den Weg in die Feuilletonspalten gebahnt. Da braucht sich kein Spielberg, kein Nolan und kein Fincher mehr vor Reputationsverlust zu fürchten, wenn er hier fischen geht.


Ein todsicheres Ding

 

Mit dem Aufstieg des Mediums von der belächelten Subkultur zur respektierten Leitkultur hat die gerade wieder auf die Kinos zurollende Welle von Comic-Verfilmungen freilich nur wenig zu tun. Den Bossen in Hollywood ist es nämlich herzlich egal, wie es um das aktuelle Feuilleton-Standing einer Gattung steht. Sie lassen auch Videospiele verfilmen, wenn es einen ordentlichen Reibach verspricht. Sie interessiert einzig Cash. Und Cash generieren Comic-Verfilmungen fast immer. Die Gefahr des Scheiterns ist bei einem solchen Unterfangen trotz meist hoher Gestehungskosten schon deshalb relativ klein, weil damit zwar nicht ausschliesslich, aber doch in erster Linie die lukrativste Kino-Zielgruppe angesprochen wird: jene der unter 13-Jährigen. Und die Aussicht auf das ganz grosse Geld ist umso rosiger, als bei einigermassen erfolgreichem Start eine Franchise lanciert werden kann. Denn niemand eignet sich besser für eine Fortsetzungsreihe als ein Comic-Held; angesichts des reichen Vorlagenfundus kann man ihn im Prinzip bis zur Unendlichkeit seine kinematischen Runden drehen lassen.


Das Marketing-Argument


Was Comic-Verfilmungen so überaus naheliegend macht, ist vor allem aber auch deren starke Personalisierung (Stichwort «Superheld») und die Tatsache, dass die entsprechenden Figuren bereits «gebrandet» sind, sich also als popkulturelles Phänomen etabliert haben. Das spart mühsames Marketing und verheisst massiges Merchandising. In der traditionellen Literatur gibt es so was zwar auch; doch ist ein Dukatenesel wie Harry Potter erstens weit seltener zu finden und zweitens ungleich enger an die Vorlage gebunden: Setzt man eine Literaturverfilmung in den Sand, so wars das einstweilen. Patzt man jedoch bei einer Comic-Verfilmung, fängt man halt wieder von vorne an. Beispiel Hulk: Im Jahr 2003 vermasselte Ang Lee (ja, der für Feinfühliges bekannte Taiwaner) das erste von noch vielen angedachten Kinoabenteuern des grünen Marvel-Helden. Doch kein Problem: Nur fünf Jahre später versuchte man mit komplett neuem Personal erneut, eine Hulk-Franchise zu starten – und scheiterte abermals. Beispiel Batman: Nachdem Joel Schumacher die von Tim Burton gestartete Reihe Ende der Neunzigerjahre an die Wand gefahren hatte, verschwand die Fledermaus vorerst von der Leinwand. Schon Mitte des letzten Jahrzehnts feierte sie unter Zeremonienmeister Christopher Nolan indes ein fulminantes Comeback. Hulk und Batman zeigen: Echte Superhelden verkraften auch ein Scheitern an den Kinokassen – sie sind in der Tat einfach nicht totzukriegen.


Verwischte Comic-Spuren


Überhaupt Batman und Christopher Nolan: Diese Liaison ist nicht nur eine der finanziell erfolgreichsten, sondern auch eine der künstlerisch erspriesslichsten. Und eine der filmhistorisch interessantesten. Denn höchst untypisch ist der Ansatz, den Nolan in den beiden vorliegenden Teilen seiner bald vollendeten Trilogie verfolgt hat. Während die meisten Comic-Verfilmungen ihre Herkunft mit grellen und spleenigen Inszenierungsmitteln noch betonen, reduzierte Nolan das Comichafte auf ein Minimum. So ist «The Dark Knight» im Prinzip ein recht «normaler» Film über einen superreichen Kerl, der sich des Nachts in ein Latex-Kostüm zwängt, und dessen extravagant gekleideten Gegenspieler – ein weitestgehend ohne Fantasterei auskommender Streifen, der mühelos auch Leute anspricht, die nichts mit Comics anfangen können. Gar noch weiter als Nolan gingen Sam Mendes und David Cronenberg: Aus deren Graphic-Novel-Adaptionen «Road to Perdition» und «A History of Violence» ist jede Spur der zugrunde liegenden Gattung verschwunden. Weiss man es nicht, so kommt man nie drauf, dass es sich bei diesen beiden Streifen um Comic-Verfilmungen handelt. Die beiden abseits des Blockbuster-Kinos heimischen Regiemeister haben damit eine Option gezogen, die das Subgenre Graphic Novels meist offenläst.


Und «Sin City»


Das genau Gegenteil von Mendes und Cronenberg hat Robert Rodriguez gemacht. Seine direkt von den Storyboards von Vorlagengeber Frank Miller in düsterem Schwarzweiss auf die Leinwand geschleuderte Graphic-Novel-Verfilmung «Sin City» wirkt wie ein animierter Comic: eine tricktechnische Revolution in Form einer expressionistischen Film-noir-Variation, die Millers Zeichenstil quasi eins zu eins vom Papier aufs Tuch transponiert. «Sin City» ist gleichsam die ultimative Comic-Verfilmung – und in Sachen Wagemut und Könnerschaft eher die Ausnahme. Denn natürlich ist nicht alles Gold, was von den bunten Heftchenseiten auf die Leinwand flattert. Es gibt sie immer noch, die infantilen, die entbehrlichen Comic-Verfilmungen. Tatsächlich fällt sogar das meiste, was aus diesem Genre kommt, in eine dieser Kategorien. Doch selbst ein reines Unterhaltungsspektakel wie «Iron Man» vermag aufzutrumpfen – mit seiner Besetzung: Was sich in den bisherigen zwei Teilen der von Hauptdarsteller Robert Downey Jr. getragenen Serie an Stars und Charakterköpfen getummelt hat, stünde jedem Oscar-Kandidaten gut an. Eine unschlagbare Taktik auch dies: Junge und Fans lockt man mit der Marke «Iron Man» und der Verheissung von traditionellem Spektakel in die Kinos, gesetztere Cineasten mit den attraktiven Namen. Die Rechnung mit den Comic-Verfilmungen geht halt (fast) immer auf.