Der Oscar schaut alt aus

Von Sandro Danilo Spadini

 

Es gab in diesem Filmjahr zwei Werke von höchstem cineastischem Belang. Zwei Filme, die in die Geschichtsbücher eingehen werden. Über die auch kommende Generationen noch reden werden. «The King’s Speech» ist keiner dieser zwei Filme. Ein fraglos hübsches Drama ist das, mit Herzblut produziert. Zuvorderst in der Thronfolge hat es jedoch nichts verloren. Auch deshalb, weil die Academy in den letzten Jahren einen eigentlichen Paradigmawechsel vollzogen und endlich mal mutigere und modernere Filme gekrönt hat. Der diesjährige Sieger ist nun aber wieder klassisches Oscar-Kino: rührend bis rührselig, die Schwächen der Academy genau einkalkulierend.


Die zwei wahrhaft majestätischen Filme der Kinosaison 2010 heissen «Inception» und «The Social Network». Der eine strotzt vor Innovationskraft, birst schier vor Bildgewalt, explodiert förmlich in den Hirnen des Publikums: Doch für Christopher Nolan, den Architekten dieses magischen Kinoorts, hatte die Academy nicht mal eine Regie-Nominierung übrig. Der andere leistet vielleicht noch mehr: «The Social Network» fängt schneidig geschrieben, luftdicht inszeniert und punktgenau gespielt das Wesen einer ganzen Generation ein. Am Ende hatte der Facebook-Film in der Academy aber weniger Freunde als bei den Kritikern. Dieses so zeitgeistige Werk zu übergehen, ist ein Fehler, der die Academy auf ewig verfolgen wird. Steven Spielberg war sich dessen wohl bewusst. Bevor er den Sieger des Abends enthüllte, sagte er tröstlich, die «Verlierer» stünden künftig in einer Reihe mit Jahrhundertwerken wie «Citizen Kane» oder «Raging Bull» – und prophezeite so die Fortsetzung einer traurigen Academy-Tradition.


Dass dem 83-jährigen Oscar abermals ein Kino-Meilenstein durch die Lappen ging, hat wohl auch Altersgründe. Die hektische Welt der Internet-Generation scheint den honorigen Academy-Mitgliedern einfach zu fremd; im gediegenen Gestrigen fühlen sie sich halt doch heimischer. Mit den Moderatoren James Franco und Anne Hathaway wollte man sich heuer betont jugendlich präsentieren. Nicht nur wegen deren lebloser Vorstellung schaut der Oscar jetzt aber ganz alt aus.