Von Sandro Danilo Spadini
Ein französischer Schwarzweiss-Stummfilm ist also der beste Film des Jahres 2011: Das kommt jetzt zwar nicht mehr überraschend; ein starkes Stück ist das aber trotzdem noch. Denn es ist der
Beweis, dass die Academy gar nicht so einseitige Vorlieben hat, wie ihr gerne nachgesagt wird. Eine absolut zwingende Wahl war «The Artist» freilich nicht. Hätte es «Hugo» oder «The Descendants»
getroffen – man müsste jetzt nicht zeilenweise darüber lamentieren. Und wären die Ehrerbietungen für den charmanten Publikumsliebling etwas weniger üppig ausgefallen und die Regie- und die
Hauptdarsteller-Kategorie an die Konkurrenz gegangen, hätte man das entsprechend begrüssen können. Nicht so schwammig fällt demgegenüber die Rüge aus ob der Auswahl, die das Kino der Academy
heuer bot. Wirklich wichtige Werke fanden sich darunter nicht – trotz der so kommentierungswürdigen Zeiten, die wir gerade erleben. Stattdessen betonte das Kino seine Funktion als
Unterhaltungsmedium. Das ist gewiss nicht verkehrt, und es hat uns damit ja auch einige zutiefst sympathische Filme geschenkt. Ein derart emotionsgeladenes Oscar-Rennen wie in den Jahren davor
vermochte es so aber nicht anzuzetteln. Dass «The Artist» am Ende obenaus schwingen würde, war ohnehin relativ früh klar. Zu stören schien das niemand, übermässig zu freuen aber auch kaum wen.
Dies vielleicht deshalb, weil hier die klangvollen und polarisierenden Namen fehlten. Mit der grossartigen Ausnahme von Meryl Streep, die sich in einem ungewöhnlich stark besetzten Feld
durchsetzte, gilt das überhaupt für die Sieger vom Sonntag: Es war eine Nacht der Namenlosen, in der die Stars für einmal sitzen blieben. Vor diesem glamourlosen Hintergrund ist es nur logisch,
dass sich die Filmindustrie halt selbst feierte mit den fünffachen Siegern «The Artist» und «Hugo»: mit zwei Filmen, die von der Magie des Kinos künden. Und dass sie den französischen
Schwarzweiss-Stummfilm sogar zu ihrem Jahresbesten kürte, erscheint dann auch nicht mehr als mutig und speziell. Wäre es der Academy darum gegangen, hätte sie den Goldmann der berauschenden (und
chancenlosen) Filmmeditation «The Tree of Life» zugesprochen.