Von Sandro Danilo Spadini
Als in den USA Ende September die letzte Folge von «Breaking Bad» über den Bildschirm flimmerte, flackerte er mal wieder auf: der Hype um die Fernsehserien von heute. Denn «Breaking Bad» war
Stadtgespräch geworden und hatte es so nach sechs Staffeln geschafft: Das Thrillerdrama um einen krebskranken Chemielehrer, der zum Drogendealer wird, war nun das, was man gerne ein TV-Phänomen
nennt. Es hat damit etwas erreicht, was in den Achtzigern und Neunzigern vielleicht einmal im Schaltjahr vorkam – in der langen Zeit von «Dallas» über «Miami Vice» und «Twin Peaks» bis «The
X-Files». Was indes in den Nullerjahren noch weit häufiger geschah. In der bislang goldensten Zeit des Fernsehens wusste doch der Feuilleton bisweilen gar nicht mehr, in welches Stadtgespräch er
sich nun einklinken soll. In jenes über das revolutionäre Echtzeit-Konzept von «24»? Oder über die morbide Eleganz von «Six Feet Under»? Die politische Intelligenz von «The West Wing»? Den
frechen Feminismus von «Sex and the City»? Die vertrackte Fantasie von «Lost»? Die kinematische Qualität von «The Sopranos»? Oder halt über die schiere Brillanz von widerspenstigeren
Meisterwerken wie «The Shield» und «The Wire»?
Adaptiertes und Aufgewärmtes
Mittlerweile jedoch ist die Fernsehserien-Landschaft übersichtlicher geworden. Das Schaffen hat sich quasi auf hohem Niveau konsolidiert mit absolut Beachtlichem wie «Girls», Aaron Sorkins «The
Newsroom» oder Martin Scorseses «Boardwalk Empire»; die zündenden Ideen, die einen Hype entfachen könnten, sind aber gleichwohl rarer geworden. Ein neues Phänomen wäre freilich umso willkommener,
als «Breaking Bad» nun furios und das Serienkiller-Drama «Dexter» unschön geendet hat und «Mad Men» etwas schlaff in den letzten Zügen liegt. Dass nach Jahren paradiesischer Zustände gerade eine
kleine Baisse herrscht, haben auch die diesjährigen Emmy Awards verdeutlicht: Unter den zwölf für einen Hauptpreis nominierten Serien fand sich mit dem von Regiegott David Fincher und
Hauptdarsteller Kevin Spacey verantworteten Politthriller «House of Cards» nur eine neue Show. Und so wie das desolat in seine dritte Saison gestartete letzte TV-Stadtgespräch «Homeland» das
Remake einer israelischen Serie ist, so beruht «House of Cards» auf einem über 20-jährigen britischen Vierteiler. Von einem gewissen Mangel an Originalität zeugt nebst diesem aus dem Kino
bekannten Drang zu amerikanischen Neuverfilmungen auch der Trend zur TV-Adaption von Buch- oder Filmklassikern. Mit «Hannibal» und «Bates Motel» haben zwei solche Serien ihre erste Staffel
bereits so ordentlich hinter sich gebracht, dass sie verlängert wurden; bei den soeben angelaufenen «Dracula» und «Sleepy Hollow» gilt es unterdessen ebenso abzuwarten wie bei den noch unfertigen
Serienversionen von Nick Hornbys «About a Boy» und des Coen-Brothers-Hits «Fargo» mit Billy Bob Thornton. Und schliesslich erlebt auch mancher Serienklassiker ein Comeback. Das ist zwar auch
nicht allzu originell; es kann aber sehr viel Freude machen, wenn es ein so wohldurchdachtes Konzept hat wie das neue «Dallas». Oder wenn es so nah an die alte Klasse kommt wie das neu aufgelegte
«Arrested Development». Ob man das auch über «24» wird sagen können, das seltsamerweise als 12-teilige Serie wiederkehrt, zeigt sich derweil erst im Sommer 2014.
Viele grosse Namen
Mindestens so lange dauert es auch, bis «Wayward Pines» zu begutachten ist: eine Mysterythriller-Serie im Stil von «Twin Peaks», die das längst entzauberte «The Sixth Sense»-Wunderkind M. Night
Shyamalan auf Basis eines US-Bestsellers mit Matt Dillon und Terrence Howard adaptiert. Schon Anfang nächsten Jahres gehen zwei weitere starbesetzte Projekte auf Sendung: zum einen der
Komödien-Sechsteiler «The Spoils of Babylon» mit Will Ferrell, Tobey Maguire, Tim Robbins und Jessica Alba. Zum anderen «True Detective», eine sogenannte Anthology-Serie, die in jeder Staffel
eine neue Story mit neuen Figuren erzählt. Zum Auftakt werden Matthew McConaughey und Woody Harrelson auf ihrer 17 Jahre umspannenden Jagd nach einem Serienkiller in Louisiana begleitet. Das
klingt natürlich so verheissungsvoll wie die Ankündigung, dass «Babel»-Regisseur Alejandro González Iñárritu an einer sozialkritischen Serie namens «1%» arbeitet. Doch grosse Namen garantieren
auch beim kleinen Bruder des Kinos längst nicht mehr Quote. Man denke an das schon nach zwei Staffeln abgesetzte Mysterydrama «Touch» mit Kiefer Sutherland. Die schlingernde Serienkiller-Serie
«The Following» mit Kevin Bacon. Die nach nur sechs Episoden beerdigte Politsaga «Political Animals» mit Sigourney Weaver. Den überschätzten Siebenteiler «Top of the Lake» der überschätzten Jane
Campion. Und auch an das von Michael Mann entwickelte Rennbahndrama «Luck» mit Dustin Hoffman, das wegen wiederholter Unfälle am Set nach Staffel 1 abgesetzt wurde: Aufgrund seines komplizierten
und langfädigen Aufbaus war die Trauer darüber überschaubar und gedieh eher den drei ums Leben gekommenen Pferden an. Angesichts solch teurer Flops und der zunehmenden Alienzombievampirisierung
des US-Fernsehens kann man sich umso glücklicher schätzen, haben die Europäer mit ihren nicht so geläufigen Namen ebenfalls mächtig aufgeholt. Recht eigentlich machen etwa die Dänen mit «Borgen»,
die Österreicher mit «Braunschlag», die Franzosen mit «Les revenants» oder die Briten mit «Downton Abbey» derzeit sogar fast das bessere Fernsehen.