Von Sandro Danilo Spadini
Mitte August ist in Snoqualmie, Washington, «Twin Peaks» weit weg. Kaum etwas zeugt in der 12‘000-Seelen-Gemeinde davon, dass hier und im benachbarten North Bend vor bald 25 Jahren
Fernsehgeschichte geschrieben wurde – dass Regieexzentriker David Lynch und sein Kompagnon Mark Frost hier oben im amerikanischen Norden recht eigentlich die viel zitierte goldene TV-Serien-Ära
einläuteten. Nein, er habe «Twin Peaks» nie gesehen, sagt denn auch Guy, der smarte Concierge, bei unserem Einchecken in der «Salis Lodge», dem rustikal-eleganten Viersternehaus über dem 82 Meter
hohen Wasserfall, das Fans als «Great Northern Hotel» kennen. Die Leute vom «Twin Peaks»-Festival seien aber gerade hier gewesen; sie seien sehr nett und kämen jedes Jahr. Sherilyn Fenn, als
Hoteliersprössling Audrey Horne eine der Schlüsselfiguren der Serie und quasi die Tochter des Hauses, hat heuer ihre Aufwartung gemacht; leider haben wir sie knapp verpasst.
Der Kirschkuchen schmeckt
Dass dann unser Zimmer so ganz anders ausschaut als das, in dem einst FBI-Agent Dale B. Cooper nächtigte, ist schnell geklärt: Die «Salis Lodge» war damals nur Aussenschauplatz; die
Innenaufnahmen wurden in der Residenz der fiktiven Sägerei-Besitzerfamilie Packard gedreht. Diese ist nunmehr in Privatbesitz und lässt sich also tags darauf nicht besichtigen. Andere Schauplätze
hingegen sind auf unserer Spurensuche fix eingeplant; die «Twin Peaks Tour Guide»-App weist uns den Weg. Überrascht und leise enttäuscht müssen wir freilich feststellen, dass auch an diesen Orten
kaum mehr etwas an das Rätsel um den Mord an der Highschool-Schönheit Laura Palmer und all die anderen Kleinstadt-Geheimnisse erinnert. Auf der Brücke, über die sich in der Pilotepisode Ronette
Pulaski schleppte, veranstaltet die Dorfjugend gerade eine Mutprobe; das ikonische «Welcome to Twin Peaks»-Strassenschild steht schon lange nicht mehr; die Sheriffstation ist mittlerweile eine
Rallyeschule; vom Sägewerk gleich gegenüber steht nur mehr ein Turm; und nirgends findet sich auch nur eine winzige Referenz auf «Twin Peaks». Die Ausnahme ist «Twede’s Cafe», besser bekannt als
«Double R Diner». Dieses wirbt aussen gross mit der Aufschrift «Home of Twin Peaks Cherry Pie», und selbstverständlich gehen wir rein und genehmigen uns in andächtigem Gedenken an Dale Cooper
einen solchen Kirschkuchen. Eine Wand voller vergilbter Bilder sorgt endlich für ein bisschen «Twin Peaks»-Präsenz; seit ein Feuer vor sieben Jahren das Lokal heimsuchte, gemahnt sonst indes
nicht mehr viel an einen der prominenteren Schauplätze der Serie. Und Twede, der massige bärtige Besitzer, ist so ein ganz anderer Typ als die hübsche «Double R»-Inhaberin Norma Jennings und ihre
noch hübschere Kellnerin Shelly Johnson. Es gebe immer wieder mal ausländische Fans, die bei ihm einkehrten, auch aus der Schweiz, sagt uns der freundliche Mittfünfziger zum Abschied und drückt
uns eine schön gestaltete Postkarte in die Hand, die sein etwas ungepflegtes Café zeigt.
Revolutionäres Konzept
Bei Twede dürfte bald wieder mehr los sein; und sein Lokal wird dann vermutlich auf Vordermann sein – auf Twitter wurde jedenfalls bereits eine Spendenaktion für dessen Um- respektive
Rückgestaltung vorgeschlagen. Der Grund dafür ist eine Mitteilung von David Lynch und Mark Frost auf demselben Kanal, der vorige Woche für Jubelstürme sorgte in der durch die «Twin
Peaks»-Veröffentlichung auf Blu-ray ohnehin schon euphorisierten Community: «It is happening again», zitierten die beiden Serienerfinder da den weisen Riesen, der Cooper in seinen Träumen
aufzusuchen pflegte. Oder wie es in der deutschen Fassung hiess: «Ganz genau dasselbe geschieht wieder.» Auf ganz genau das hofft die Fangemeinde natürlich, und deshalb sollen in der stilgerecht
kryptisch verkündeten Fortsetzung so viele Figuren wie möglich zurückkehren. Frost und Lynch haben dies bereits angekündigt; schliesslich werden sie im übernächsten Jahr, wenn die dritte Staffel
ausgestrahlt wird, Laura Palmer beim Wort nehmen: «Wir sehen uns in 25 Jahren», hatte sie im Serienfinale zu Cooper gesagt. Und ebendiese 25 Jahre später soll die Handlung wieder einsetzen. Das
riecht nun erneut nach Revolution. Dieselben Figuren nach einem geschlagenen Vierteljahrhundert wiederzutreffen und zu erfahren, wie ihr Leben unterdessen verlaufen ist: Das gab es so noch nie.
Ein goldener Kreis
Dass es schiefgehen könnte, glaubt in der «Twin Peaks»-Community kaum einer. Skepsis ist auch nicht unbedingt angebracht, zumal Lynch und Frost anders als in den Neunzigern bei sämtlichen der
neun geplanten Folgen für Drehbuch und Regie verantwortlich zeichnen werden; ganz verabschiedet aus Twin Peaks hatten sie sich sowieso nie, sodass die Ideen für eine Fortsetzung schon seit Jahren
in ihren Köpfen gereift sein dürften. Und weil das Ganze von den heutigen Freiheiten im Fernsehen profitieren darf und erst noch über den aufmüpfigen Pay-TV-Sender Showtime laufen wird, ist auch
garantiert, dass sich Lynch wird gebührend austoben dürfen – dass es in der dritten Staffel also weniger zahm zugehen wird als ehedem. Damit wird «Twin Peaks» quasi die Früchte ernten für die
Pionierarbeit, die es 25 Jahre zuvor geleistet hat. Ein goldener Kreis schliesst sich. Snoqualmie darf sich auf etwas gefasst machen.