Warner Bros.
Von Sandro Danilo Spadini
Er ist ein Schreihals mit narzisstischer Störung: schamlos, respektlos, kompromisslos. Mit derben und sexistischen Sprüchen mischt er das Establishment auf. Und er kann sagen, was ihm gerade einfällt: Die Leute toben. Sein Name ist … nicht Donald Trump, sondern Lonesome Rhodes, und er ist der Star in Elia Kazans «A Face in the Crowd» von 1957. Prophetisch wird hier die (Medien-)Geschichte eines Rumtreibers aus Arkansas erzählt, der aus dem Knast zum einflussreichsten Mann Amerikas emporsteigt. Mit seinen Shows löst der Grobian mit dem dreckigen Donnergrölen eine Massenhysterie aus; und bald gerät er in die Fänge eines rechtskonservativen Strippenziehers, für den er aus einem hölzernen Senator ein präsidiales «Produkt» formen soll. Rhodes ist da längst abgehoben, sieht sich schon als «Minister für nationale Moral» und Führer des Volks: «Sie gehören mir. Ich besitze sie.»
Ein ehrlicher Mann?
Es ist in diesem US-Wahlkampf erneut viel die Rede davon, die Leute hätten mit der Politik gebrochen. Schaut man sich Rhodes und seinesgleichen auf der Leinwand an, so steht indes zu vermuten,
dass der Macht schon lange zutiefst misstraut wird. In «All the King’s Men» (1949) heisst es etwa vielsagend: «Man sagt, er sei ein ehrlicher Mann», auf die Frage, was denn so
speziell sei an Willie Stark, einem Lokalpolitiker, der auf einem berüchtigten Gouverneur aus Louisiana beruht. Ehrlich aber ist Stark nur so lange, wie er Opfer eines politischen Manövers wird.
Dann erwacht der Teufel in ihm: Er wird zum Rattenfänger, schreit, tobt, klagt an, wiegelt auf. Dank dubioser Deals wird er Gouverneur, und fortan lässt er den Zweck die Mittel heiligen. Der
Zweck, immerhin, ist ein guter. Er ist ein Volkstribun, der den Leuten gibt, was sie wollen, und sich nimmt, was er braucht. Den Staat führt er in Gutsherrenmanier, kontrolliert die Medien, baut
Spitäler, Schulen, Highways und benennt sie nach sich. Es ist ein Lehrstück, wie Macht korrumpiert und arrogant macht. Und gibt 67 Jahre im Voraus eine Ahnung davon, was von einem Präsidenten
Trump zu erwarten wäre.
Eine Qual, diese Wahl
Nicht minder mulmig wird es einem zumute beim Szenario, das der Neo-Noir «The Manchurian Candidate» von 1962 entwirft: eine Verschwörung von radikalen Rechten und Kommunisten mit dem Ziel, den
Präsidentschaftskandidaten mit einem umprogrammierten Kriegshelden zu töten und so eine McCarthy-ähnliche Marionette ins Weisse Haus zu hieven. Mancher Kommentator hat hier den Schwenk zu Trump
gemacht, der wegen seiner Geschäfterei im Osten ein Präsident von Putins und Chinas Gnaden wäre. Hillary Clinton hingegen schimmert in der Gore-Vidal-Adaption «The Best Man» von 1964 durch. Henry Fonda spielt den
edelmütigen US-Aussenminister, der die Präsidentschaftsnominierung zu erringen hofft, indem er Politik über Persönlichkeit stellt. Er wäre wie Clinton die logische Lösung; doch gilt er als «Rich
Boy», wenig volksnah, allzu grüblerisch, und Gerüchte zu seiner Gesundheit tun ihr Übriges. Fondas Figur ist dem zweimaligen demokratischen Kandidaten Adlai Stevenson nachempfunden, derweil sein
skrupelloser konservativer Gegenspieler an Richard Nixon gemahnt. Neben «Dirty Politics» und dem Wahlkampf als Zirkus kommt hier auch jener Antiintellektualismus aufs Tapet, den die Republikaner
seit der Eisenhower-Ära zelebrieren und der sie laut «New York Times» zur «Party of Stupid» gemacht hat.
Sogar ein Faschist
Richtig aufgehoben ist dort der Countrystar und Wall-Street-Banker Bob Roberts, der Titelheld aus Tim Robbins‘ Mockumentary von 1992, der in den Senat von Pennsylvania einziehen will. Er ist
ein frömmelnder Freak und konservativer Creep, ein manipulativer Moralapostel und reaktionärer Rassist – eine Ausgeburt der zynischen Reagan-Achtziger, der wie Trump mit seiner Schläue prahlt und
seinen sektengleich entrückten Jüngern Gier und Hass predigt. Seine Gegner nennen ihn einen «faschistischen Clown»; nur ist es nicht lustig, wenn er sich die Verquickung von Kapital und Medien
zunutze macht, um aus Profitsucht den ersten Irak-Krieg aufzugleisen. Aus anderem Holz ist da Warren Beattys kalifornischer Senator aus «Bulworth» (1998) geschnitzt, der,
übermüdet und ausgebrannt, nicht mehr weiterweiss und einen Killer auf sich ansetzt. Das Ende in Sicht, lässt er die Sau raus, was für einen Politiker heisst: Er sagt (und rappt!) die Wahrheit
und pfeift auf politische Korrektheit. Das trifft wie heute bei Trump einen Nerv, zumal seine Tiraden über «Big Money» so wahr klingen. Das tun sie auch beim Gouverneur, den George Clooney in
«The Ides of March» (2011)
spielt. Er ist integer, anders, frisch, wie es Obama damals war, und sagt lauter kluge Dinge. Sein Kampagnenleiter glaubt, er sei «the one». Doch die Zyniker behalten recht: Auch er wird
enttäuschen, wenn nicht als Politiker, so doch als Mensch; und am Ende bleibt das Gefühl, dass auch diese Hoffnung umsonst gewagt wurde.
Natürlich Redford
Einer, der an das glaubt, was er sagt, meinen sie auch in «The Candidate» (1972) vor sich zu haben. Und wir sehen das genauso, erscheint dieser ideal unverbrauchte Bewerber im
kalifornischen Senatsrennen doch in Gestalt des heiligen Robert Redford zum Himmelfahrtskommando. Er könne tun, was er wolle, wird ihm zugesagt. Doch als er auf einer Ochsentour in den
Politbetrieb eingeführt wird, droht die Authentizität, die ihn so attraktiv machte, auf der Strecke zu bleiben. Er kriegt freilich die Kurve, redet klug über Kriminalität, Rassismus,
Umweltschutz, Arbeitslosigkeit. Und für einmal, ein einziges Mal zahlt es sich aus, gut zu sein: Er gewinnt – und fragt dann entgeistert: «Was machen wir jetzt?» Solche Zweifel sind dem
Südstaaten-Gouverneur in Mike Nichols‘ «Primary Colors» ganz fremd. Denn dieser leutselige Chaot mit der launigen Libido soll niemand anderen symbolisieren als Bill
Clinton. Basierend auf einem zunächst anonym publizierten Bestseller, wird dessen skandalumwitterter Wahlkampf von 1992 nacherzählt. Wir lernen einen von John Travolta silberfuchsig und mit
typischer Clinton-Heiserkeit verkörperten Charmeur kennen, der dem Teufel ein Ohr abplaudert und bei Bedarf pragmatisch rumschwindelt; aber auch einen, dem es wohl ernst ist mit dem «Change».
Moralisch scheitern er und seine spröde Gattin, die demonstrativ als Team dargestellt werden, letztlich gleichwohl. Aber ob das etwas gilt in einer Zeit, da die Leute mehr an Frisuren und Affären
interessiert sind, lässt der Film offen.
In eigener Sache
Deutlicher wird der TV-Film «Game
Change» (2012) aus der Feder jenes Autorenteams, das im noch zu verfilmenden Nachfolgebuch ebenso knackig die Wahlen 2012 beleuchtet. Als Insiderabrechnung mit dem Phänomen Sarah Palin ist er
ein Sonderfall in einer Phase der neuen künstlerischen Feigheit, wo man sich entblödet, unpolitische Filme über George W. Bush oder Margaret Thatcher zu drehen. Erzählt ist das aus Sicht des
Wahlkampfteams des Republikanerkandidaten John McCain. Im Juni 2008 ist dessen Rückstand auf Barack Obama so gross, dass man «etwas Kühnes» braucht. Was man findet, ist die
No-Name-Neo-Gouverneurin von Alaska: «Ein Star!» Doch der Rausch weicht bald Schmäh («immerhin ist sie eine tolle Schauspielerin») und kippt nach dem legendären Katie-Couric-Interview in Schock:
«O Gott, was haben wir getan?» Palin nämlich weiss nicht mal, was das Fed ist, und glaubt, Saddam Hussein habe 9/11 verübt. Und trotz fidelem Hockey-Mom-Getue erweist sie sich obendrein als
illoyale, grössenwahnsinnige Diva, die Politik nur als eines begreift: als (Profilierungs-)Show. Am Ende fühlt man sich im McCain-Lager wie Frankenstein mit seinem Monster und gibt zu: «Das war
keine Kampagne, das war eine Realityshow.» Als der Film mit einem ekstatischen Palin-Mob schliesst, bleibt trotzdem Sorge zurück. Auch wenn das noch mal glimpflich ausging. So wie auch Lonesome
Rhodes rechtzeitig gestoppt wird. Und überhaupt die meisten dieser Geschichten halbwegs gut enden. Hollywood halt. Bleibt jetzt einfach zu hoffen, dass die Politik hier nicht aufhört, das Kino zu
imitieren.