Die 25 besten Filme des Jahrzehnts

Es war nicht das Jahrzehnt des klassischen Kinos. Das Erzählen von Geschichten wanderte mehr und mehr ins Fernsehen ab, die Mittelklasse verschwand zusehends. Alles war im Fluss, alles im Wandel – hin zu mehr Kommerz, zu mehr Kinderkram. Und während Produktionskosten und Einspielergenisse in astronomische Höhen schnellten, wurde das Kino im Zuge der Franchisisierung und Blockbusterisierung in der letzten Dekade zum «audiovisuellen Entertainment» verzwergt, wie es der grosse Martin Scorsese kürzlich ausdrückte. Und doch: Stellt man eine Liste mit seinen Lieblingen aus den vergangenen zehn Jahren zusammen, raubt es einem schlicht den Atem und fast den Verstand ob dem, was das Kino noch immer vermag.

 

25


«Argo» (2012)


Geschichtsthriller. Regie: Ben Affleck.

 

Auch seine dritte Regiearbeit war bare Perfektion, und mit ihr setzte sich der ob seiner vermeintlich limitierten Schauspielkünste oft belächelte Ben Affleck sodann die Krone auf: Der Thriller über die buchstäblich filmreife Befreiung von sechs US-Diplomaten während der «Geiselnahme von Teheran» gewann den Oscar als «Bester Film». Affleck selbst freilich, obwohl kurz zuvor bei den Golden Globes mit dem Regiepreis ausgezeichnet, wurde nicht mal nominiert – eine der zweifellos unsinnigsten Academy-Entscheidung des vergangenen Jahrzehnts.  

 

 


24


«Zero Dark Thirty» (2012)


Militärthriller. Regie: Kathryn Bigelow.

 

Es war eigentlich eine ausgemachte Sache, dass diese minutiöse Schilderung der Ereignisse, die zu Osama bin Ladens Ergreifung führten, die eine oder andere goldene Statue abräumen würde. Doch dann brachen die Debatten los: Reinste Obama-Propaganda sei das, hiess es aus der einen Ecke; übelste Folterverherrlichung, dröhnte es samt Leni-Riefenstahl-Vergleich aus der anderen. Am Schluss gabs bloss einen Oscar für den Tonschnitt. Und schon mal einen Vorgeschmack auf die zunehmende Politisierung des Award-Zirkus, ob der die reinen filmischen Qualitäten allmählich in den Hintergrund rücken.

 

 


23


«The Dark Knight Rises» (2012)


Actionthriller. Regie: Christopher Nolan.

 

Als radikal konservativ wurde der politische Geist bezeichnet, der durch den dystopischen Abschluss von Christopher Nolans fulminant düsterer Batman-Trilogie weht: quasi die Niederschlagung von Occupy Wall Street durch die Tea Party, ein Triumph des Kapitals nach dem «Game Plan» des damaligen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney. Doch was dieses hypnotisch-bombastische Anti-Superhelden-Epos damit an Sympathien verheizt, entfacht es eben mit seiner monumentalen kinematischen Brillanz doppelt und dreifach wieder.

 

 


22


«Sing Street» (2016)


Musikkomödie. Regie: John Carney.

 

Wer sich 105 Minuten lang bedingungslos gut fühlen will, ist hier goldrichtig. Und wer in den Achtzigern jung war, wird selig schwelgen und diese irische Musikkomödie von «Once»-Regisseur John Carney lieben ohne Ende: ein Plot wie aus dem «Brat Pack»-Handbuch des grossen John Hughes; exquisiter Humor voller popkultureller Referenzen; tolle Typen und super Songs; und natürlich der Slowdance in der Turnhalle – dieses Feelgood-Movie lässt keine Wünsche offen.

 

 


21


«American Hustle» (2013)


Kriminal-Tragikomödie. Regie: David O. Russell.

 

Zehn Oscar-Nominierungen gab es für diese schwarzhumorige Siebzigerjahre-Sause im Scorsese-Stil. Spasskino par excellence ist diese Rückschau auf den FBI-Kampf gegen Korruption mit Champagner-Momenten en masse: ein Stück amerikanische Geschichte, das im lässig geschnittenen Glamourgewand eines reinen Unterhaltungsstücks daherkommt; ein atemloses Feuerwerk aus Clous, Bonmots und Pointen; eine rauschende Party zwischen Jazz, Rock und Disco. Und die vier Hauptdarsteller – Christian Bale, Amy Adams Bradley Cooper, Jennifer Lawrence – sind samt und sonders in Paradeform.

 

 


20


«The Big Short» (2015)


Finanz-Tragikomödie. Regie: Adam McKay.

 

Der Film zur Finanzkrise: In der luxuriös besetzten Sachbuchverfilmung «The Big Short» zeigt Komödienspezialist Adam McKay, wie ein paar Wall-Street-Outsider alles kommen sahen. Und er erklärt uns diesen ganzen verdammten Schlamassel mit Schalk und Scharfsinn: das Kartenhaus an der Wall Street. Die Luftschlösser der Finanzingenieure. Die Lügengebilde von Banken, Politik und Ratingagenturen. Man muss sich das also anschauen, und dann müsste man darüber trotz des saloppen Tons wütend und wahnsinnig werden. Über die Gier. Den Betrug. Die Dummheit. Denn jetzt versteht man es endlich. Weil Hollywood hier das macht, wofür wir es am meisten lieben: Es sucht nach der Wahrheit. Und diese Wahrheit, sie macht Angst.

 

 


19


«T2 Trainspotting» (2017)


Drogen-Tragikomödie. Regie: Danny Boyle.

 

Sag Ja zu dieser Fortsetzung: «T2 Trainspotting» mag eine Nostalgieübung sein. Cleaner, nüchterner, erwachsener als das 20 Jahre alte Original. Aber das ist perfekt so. Denn 20 Jahre sind nun mal eine lange Zeit. «Wir waren jung. Schlimme Dinge passierten», sagt Renton, die Hauptfigur, hier einmal. Jetzt sind sie nicht mehr jung. Es passiert nicht mehr viel. Ein letztes Hurra vielleicht noch. Im Club mit den Jungen zu den 80s-Hits wüten. Dann noch mal was reinziehen. Aber man ist müde. Das High ist schal geworden. Das Coole ist verglüht. Der Trip ist zu Ende. Man hat Ja zum Leben gesagt.

 

 


18


«Moneyball» (2011)


Sportdrama. Regie: Bennett Miller.

 

Erfolg ist planbar, auch im Sport: Das ist die Kernaussage dieses Baseball-Films mit Brad Pitt, der wie «The Big Short» auf einem Sachbuch von Michael Lewis beruht. Er zeichnet die wahre Geschichte zweier Coachs eines finanziell limitierten Underdog-Teams nach, die sich bei der Zusammenstellung ihrer Mannschaft ganz auf ein computergestütztes Statistikverfahren verlassen und so in der Saison 2002 fast den Meistertitel gewinnen. «Capote»-Regisseur Bennett Miller macht aus der trockenen Materie ein Drama mit Herz, das sehr viel zu sagen hat über das Sportbusiness im 21. Jahrhundert.

 

 


17


«A Separation» (2011)


Scheidungsdrama. Regie: Asghar Farhadi.

 

Von allen grandiosen Dramen, die der zweifach Oscar-prämierte iranische Meister-Filmemacher Asghar Farhadi in den letzten anderthalb Jahrzehnten gedreht hat, ist das fraglos das grandioseste. Eine Eskalation in Zeitlupe läuft in diesem Kammerspiel ab, wenn Farhadi vor unseren Augen seine dicht verwobene Geschichte um ein Paar in der Krise und eine überforderte Altenpflegerin entwirrt und moralisch, psychologisch und sozial komplexe Fragen aufwirft. Mit aller gebotenen Vorsicht streift er dabei auch das Politische und beleuchtet auf Sparflamme die härtesten Herausforderungen im heutigen Iran. Was den überragend gespielten Film so einnehmend macht, ist nebst einer Narration von hitchcockscher Präzision freilich die universelle Gültigkeit seiner Geschichte.

 

 


16


«The Wolf of Wall Street» (2013)


Finanz-Tragikomödie. Regie: Martin Scorsese.  

 

In seiner fünften Zusammenarbeit lässt das Team Martin Scorsese/Leonardo DiCaprio drei Stunden lang die Sau raus. Am Ende ist man zwar nicht klüger, aber dank der fiebrigen cineastischen Energie so beglückt wie die dekadenten Helden in ihrem zugekoksten namenlosen Wall-Street-Wahnsinn. Gefallen hat das freilich nicht allen. Von «primitiver Pornografie» war etwa die Rede und davon, dass Scorsese dieses kriminelle Leben hoch über der Überholspur glorifiziere. Das ist in der Tat nicht wegzulächeln. Aber einer solch bizarren Lebensbeichte ohne übermütige Masslosigkeit und mit der gebührenden Moral zu begegnen, ist eben auch nicht einfach. Und ob es nach stundenlang und unablässig aus allen Maschinengewehrrohren abgefeuertem Turbozynismus und mit voller Wucht aufs Auge gedrückter Wildsauerei noch eines Mahnfingers bedarf, ist wirklich ein bisschen fraglich.

 

 


15


«The Social Network» (2010)


Biografie-Drama. Regie: David Fincher.

 

Was sich auf dem Papier eher spröde anhört, entpuppt sich als lupenreines Meisterwerk: die Entstehung von Facebook. Für den Thrillerspezialisten David Fincher war das zwar ein untypisches Projekt, in dem er seine bewährten Stärken und seinen Hang zur düsteren Bildgewalt nur bedingt einbringen konnte. Trotzdem ist er hier weit mehr als ein dienstfertiger Ausführgehilfe des entfesselten Wortakrobaten Aaron Sorkin, dessen aspergerhafte Stakkatodialoge dafür sorgen, dass sich Mark Zuckerberg hier letztlich um Kopf und Kragen quasselt. Vielmehr schuf Fincher auf dieser Grundlage eine der grossen und relevanten Erzählungen unserer Zeit, einen Geniestreich im Geist von «Citizen Kane». Nur die Academy sah das nicht und zeichnete stattdessen mit «The King’s Speech» einen durch und durch traditionellen und harmlosen Film aus, der sich gediegen im Gestrigen suhlte.

 

 


14


«Joker» (2019)


Thriller-Drama. Regie: Todd Phillips.

 

Dieser düstere Geniestreich erzählt, wo Batmans fürchterlichster Gegenspieler herkommt – ohne jegliches Superheldentum, dafür mit einer gehörigen Portion Wahnsinn. Denn Komödienspezialist Todd Phillips orientiert sich in seiner depressiv delirierenden Symphonie in Moll kaum am Comic-Kosmos, sondern vielmehr an den Scorsese-Klassikern «Taxi Driver» und «King of Comedy». Und auch Joaquin Phoenix geht in seiner Oscar-reifen Joker-Interpretation eigene Wege und porträtiert diesen nachmalgien Prediger der Disruption als von der Gesellschaft abgehängten Tropf, der bettelt, jammert, winselt, bis der aufgestaute Frust explodiert und sich der Wahn in hysterischer Befreiung entlädt und sich endlich Bahn bricht. Und nur noch dieses Lachen zurückbleibt. Dieses irre Lachen.  

 

 


13


«Nebraska» (2013)

 

Familien-Tragikomödie. Regie: Alexander Payne.


Dieses Schwarzweiss-Wunderwerk sprüht vor Menschlichkeit und sprudelt vor Wortwitz. «Sideways»-Regisseur Alexander Payne macht darin, was er am besten kann: komische Käuze beobachten und um Verständnis für ihre Schrulligkeiten bitten. Und er tut das dort, wo er sich am besten auskennt: in seiner Heimat Nebraska, die dieser Vater-Sohn-Geschichte sogar den Titel gegeben hat. Entsprechend entspannt gibt er sich, wenn er sich daselbst in einem Kaff herumtreibt, dem die Strukturkrise noch das letzte bisschen Leben abgewürgt hat. Das aber erwacht, wenn die Kunde von einem vermeintlichen Millionengewinn eines verlorenen Sohnes die Runde macht. Zentimeter um Zentimeter vermisst Payne diesen Kosmos, lässt seine Helden ohne einen Tropfen böses Blut in der Vergangenheit kramen, alte Kamellen auftischen und Räuberpistolen zücken. Ein herrlich unbeschwertes Vergnügen, das seine Weisheit nonchalant und bodenständig bei einem kühlen Bier präsentiert.

 

 


12


«La solitudine dei numeri primi» (2010)

 

Liebesdrama. Regie: Saverio Costanzo.

 

Eine zutiefst ergreifende und fast drei Jahrzehnte umspannende Geschichte zweier Aussenseiter erzählt diese bestechende italienische Bestseller-Adaption. Mit einer mosaikhaften Erzählstruktur und einer gleichsam bipolaren Inszenierung findet sie eine wohl fordernd-komplizierte, aber die einzig richtige Ausdrucksform für das oft verstörende Drama zweier Seelenverwandter, die sich stets so nah und doch zu fern sind, um Liebende zu werden. Es ist eine emotionale Achterbahn, wo grösster Dramatik oft höchste Ruhe folgt, wo es entweder ganz laut oder ganz still ist. Aber ganz und gar packend ist das jederzeit.

 

 


11


«The Tree of Life» (2011)

 

Mystik-Drama. Regie: Terrence Malick.

 

Ein grosses Kunstwerk ist dieses in Cannes prämierte Unikum des Kino-Eremiten Terrence Malick: eine intellektuelle Meditation und ein psychedelischer Bilderrausch – elegisch und esoterisch, mystisch und metaphysisch, poetisch und spirituell, vor Leben, Farben und Sonne strotzend. Gesprochen wird fast nur aus dem Off über das Bild hinweg und zum Publikum oder zu Gott. Und in das berauschende Spiel der Elemente mischen sich bisweilen noch Fantasy-Szenen. Rational zu fassen ist das nicht. Vielmehr ist es wie ein LSD-Trip auf dem Picknick der Sonntagsschule. Dabei darf es selbstredend auch Malicks Geheimnis bleiben, weshalb eine Sequenz dort steht, wo sie steht: Die Wege des Regiegotts sind nun mal unergründlich.

 

 


10


«Gone Girl» (2014)


Thriller. Regie: David Fincher.

 

Üppige 150 Minuten Spielzeit hatten die Macher um den unfehlbaren Thrillerspezialisten David Fincher reserviert, um den wendungsreichen Millionenbestseller von Gillian Flynn in seiner ganzen komplexen Pracht auf die Leinwand zu bringen. Und das hat sich ausbezahlt. Denn so ist auch seine perfekt besetzte und höchst atmosphärisch inszenierte Version der Geschichte am Ende nicht nur ein Krimi mit formvollendetem Spannungsbogen, sondern ebenso sehr ein unangenehm kluge Fragen stellendes Ehedrama, das eine moderne Liebesbeziehung mit polarisierender Präzision seziert und dabei mit analytischer Kühle schockiert. Und nicht zuletzt ist es eine kritische und oft komische Abrechnung mit dem verdrehenden, verfremdenden, vergiftenden Nonstop-Schüren von Hype und Hysterie, mit dem sich selbst ernannte Tugendhüter zu telegenen Henkersknechten aufplustern. Aber ja, in erster und auch noch in zweiter Linie ist das einfach gnadenlos fesselnd.

 

 


9


«Dunkirk» (2017)


Kriegsdrama. Regie: Christopher Nolan.  

 

Dass Meisterregisseur Christopher Nolan seine Geschichten auf durchaus unorthodoxe Weise zu erzählen pflegt, hat er schon damals in «Memento» gezeigt. In diesem Zweitweltkriegsdrama über die bis dahin grösste militärische Evakuierungsaktion der Weltgeschichte schildert er das Geschehen an drei verschiedenen Schauplätzen parallel und anachronistisch – über eine Woche, einen Tag und eine Stunde hinweg –, um sie dann gegen Ende virtuos unverkrampft ineinanderfliessen zu lassen. Schlicht meisterhaft ist freilich nicht nur das. Sondern von der gespenstischen Inszenierung über die wuchtige Musik bis zur fulminanten Kameraarbeit auch alles andere, weshalb nicht wenige meinen, Nolan, der hierfür tatsächlich das erste Mal für den Regie-Oscar nominiert wurde, sei hier einer der besten Kriegsfilme der Filmgeschichte gelungen. Weil dieser auch die menschliche Komponente nicht vernachlässigt, gibt es wirklich nichts, was gegen diese Ansicht sprechen könnte.

 

 


8


«The Girl with the Dragon Tattoo» (2011)


Thriller. Regie: David Fincher.

 

So rau und so verstörend wie die Vorlage ist David Finchers hoch atmosphärische und düster-unterkühlte Adaption des ersten Teils von Stieg Larssons «Millennium»-Trilogie. Und um Längen besser als die gewiss auch nicht schlechte schwedische Adaption des Stoffs. Dies nicht nur, weil der US-Thrillerkönig während der gesamten nahrhaften 158 Minuten Spielzeit darauf verzichtet, das eisige Geschehen für Hollywood abzuschleifen und aufzuhübschen. Sondern auch, weil Rooney Mara tatsächlich noch die bessere Lisbeth Salander ist als Noomi Rapace. Die 142,6 Millionen Dollar Reingewinn, die die beste Thrilleradaption seit «The Silence of the Lambs» einspielte, vermochten den mittlerweile in Milliarden denkenden Studiobossen freilich nur ein müdes Lächeln zu entlocken. Die geplante mindestens dreiteilige Reihe wurde gecancelt; der Neustart mit ausgewechseltem Personal und reduziertem Budget sieben Jahre später war dann indes ein ziemlicher Rohrkrepierer.

 

 


7


«Silver Linings Playbook» (2012)

 

Tragikomödie. Regie: David O. Russell.


Alle haben in diesem Wunder von einem Film einen Knacks, wenn nicht einen Knall – aber alle sind sie einfach zum Gernhaben. Das liegt natürlich an dem famosen Ensemble, das der Schauspieler-Regisseur David O. Russell hier abermals zu Oscar-Form dirigiert. Es liegt aber vor allem auch daran, dass der Film bei allen humoresken Eskapaden nie vergisst, dass diese Leute ernste Probleme haben: dass Nymphomanie, Zwangsneurosen und bipolare Störungen wohl «komödientaugliche» Krankheiten sein mögen, aber nichts Lustiges sind. Und deshalb leidet und fiebert und flucht man mit diesen schrägen Vögeln mit, statt sie zu belächeln, und lacht mit ihnen statt über sie. So sieht der perfekte Mix aus Witz und Wärme aus.

 

 


6


«Rush» (2013)


Sportdrama. Regie: Ron Howard.

 

Dass der beste Sportfilm des Jahrzehnts von Ron Howard kommen würde, war jetzt auch nicht unbedingt zu erwarten. Doch wie dieser Volvo von einem Regisseur das epische Duell der ungleichen Formel-1-Legenden James Hunt und Niki Lauda auf die Leinwand donnert – das ist blitzsaubere Magie. Wie Howard diese an Dramatik nicht zu überbietende Saison 1976 aufarbeitet, ist ein dramaturgisches Kunststück. Und dass er das Geschehen auf der Strecke so plastisch, packend, pulsierend einfangen würde, hätte man diesem für biederes Handwerk berüchtigten Regisseur niemals zugetraut: Wenn er Höhepunkt auf Höhepunkt jagt, die Story vom Nürburgring über Monza bis nach Fuji peitscht, dann mutiert Howard zum Lamborghini; dann ist man hautnah dabei, sitzt im Cockpit, hat den Overall an, den Helm auf, riecht das Benzin, den Gummi, den Angstschweiss.

 

 


5


«The Irishman» (2019)


Mafiadrama. Regie: Martin Scorsese.

 

In seinem elegischen dreieinhalbstündigen Mafia-Epos bleibt Martin Scorsese ganz entspannt: kein Machogehabe, keine Showeinlagen, wie man sie von früheren Genre-Meilensteinen kennt, die stets ein wenig im Ruch der Romantisierung standen. Stattdessen ruht er in sich und vertraut auf seine Story und seine Stars: Robert De Niro, Al Pacino, Joe Pesci. Die alte Garde läuft hier noch einmal zu magistraler Form auf, wenn Scorsese in einem seiner ruhigsten und klügsten Werke einen erhellenden historischen Abriss über das Wirken des organisierten Verbrechens in den USA und dessen Auswirkungen auf das Leben des Durchschnittsbürgers gibt und dabei en passant auch noch gut zwei Jahrzehnte amerikanischer Geschichte abdeckt. So kommt die grosse Mafia-Erzählung des Martin Scorsese zu einem würdigen und würdevollen Abschluss: mit grossem Erzählkino, grossem Schauspielerkino, grossem Regiekino, das in seinem tiefsten Inneren eine traurige Ballade ist. Dass das alles abseits der grossen Leinwand auf Netflix ablaufen muss, sagt einiges aus über den Zustand des Kinos am Ende dieses Jahrzehnts.

 

 


4

«Once Upon a Time... in Hollywood» (2019)


Showbusiness-Drama. Regie: Quentin Tarantino.

 

Wer das Kino liebt, der wird sich Hals über Kopf in diesen Film verknallen. Wer die Stars des klassischen amerikanischen Kinos vergöttert, der wird sich verzückt in Quentin Tarantinos neuntem Streich verlieren. Und wer nach der Geschichte und den Geschichten jenes im Verblassen begriffenen Kinos lechzt, der wird diesem stimmungsvollen und doppelbödigen, stilistisch und darstellerisch triumphalen Meisterwerk schwerelos, hoffnungslos, bedingungslos verfallen. Und so ist man denn auch stets da in diesem Film. Präsent im Moment. Eingetaucht in einer mit Referenzen vollgepackten und Reverenzen gespickten Geschichte, die sich im Geist ihrer Zeit ziellos und träumerisch in Schlangenlinien und über Seitenstrassen durch die Gegend windet und sich nicht gross schert, wo das alles hinführen soll. Ein rauschender Streifzug durch L.A ist das. Ein hippiebuntes Panorama über den Anbruch einer Ära. Dabei eine trotzige Hommage an die abtretenden Helden. Und auch der beste Film über das Wesen Hollywoods seit «Sunset Boulevard». Es ist Quentin Tarantinos ultimatives Kunstwerk.

 

 


3


«A Star Is Born» (2018)

 

Showbusiness-Drama. Regie: Bradley Cooper.

 

Ein Regisseur ist geboren! Eine Schauspielerin ist geboren! Bradley Cooper hat mit dem Remake des klassischen Musikdramas einen überwältigenden Erstling inszeniert; Popdiva Lady Gaga agiert darin absolut herausragend. Und die Songs sind grad auch grossartig und kitzeln noch ein paar Extra-Emotionen heraus, wenn die von magischer Chemie zwischen den beiden Stars getragene, fast unerträglich tragische Liebesgeschichte zwischen einem verglühenden und einem aufgehenden Stern der Musikwelt abermals erzählt wird. Und zwar nicht als wild-wütend-weinerliche Abrechnung mit dem modernen Showbusiness, sondern als Abgesang: leise, leicht wehmütig und nie dem erstbesten Instinkt folgend, beleidigten Künstlerseelen mit bombastischer Eloquenz das Wort zu reden. Gut möglich, dass Bradley Cooper hier den besten Musikfilm der Kinogeschichte gedreht hat.

 

 


2


«Boyhood» (2014)


Coming-of-Age-Drama. Regie: Richard Linklater.

 

So was hat die Welt noch nicht gesehen. Einzigartig! Überwältigend! Wundervoll! Über zwölf Jahre hinweg hat Regisseur Richard Linklater für dieses Filmereignis monumentalen Ausmasses einem texanischen Jungen beim Aufwachsen zugeschaut. Eine ungeheure Leistung ist das, was er hier vollbracht hat: ein Film, der riesigen Respekt abnötigt, der aber anders als viele Filme, die riesigen Respekt abnötigen, auch enormen Spass macht und sehr oft sehr komisch ist. Doch wie immer bei Linklater sind die Dialoge nicht nur schlagfertig, sondern auch scharfsinnig. Und ebenso passt es zu diesem Ausnahme-Autorenfilmer, dass er es sich nicht hat nehmen lassen, im Hintergrund etwas Zeitgeschichte von der Irak-Invasion bis zu Obamas Wiederwahl ablaufen zu lassen; ein wenig Popkultur in Form einer höchst geschmackssicheren musikhistorischen Reise einzustreuen; und eine kräftige Portion Texas beizugeben: Vaterland. Jesus. Waffen. Das alles rundet ein Bild ab, das ohnedies und trotz der über zwölf Jahre verteilten Dreharbeiten schon sagenhaft rund ist. Bei alledem und bei all dem Entdecken und Lernen, all dem Staunen und Begreifen, all dem Wachsen und Gedeihen scheint freilich immer eines am hellsten und klarsten durch: dass Linklater das Leben von ganzem Herzen liebt. Ein Wunder ist das. Ein unfassbar schönes Wunder. «Ist das alles nicht ein bisschen überwältigend?», fragt die Hauptfigur am Schluss. Man könnte ihr nicht mehr zustimmen.

 

 


1


«Inception» (2010)


Science-Fiction-Drama. Regie: Christopher Nolan.

 

Das Trara, das im Vorfeld zu Christopher Nolans siebtem Film gemacht wurde, war enorm. Als Kinorevolution wurde der Science-Fiction-Thriller angekündigt, als Film des Jahrzehnts. Und siehe da: Übertrieben war das nicht. Die hätten ruhig noch mehr Trara machen können um dieses «Mind Fuck Movie», an dessen Skript Nolan zehn Jahre gearbeitet haben soll. Es ist ein waghalsiges Konzept: fünf Erzählebenen mit identischem Personal und unterschiedlichem Zeitkonzept, die alle voneinander abhängig sind. Zu verraten, wie diese Geschichte ausgeht, wäre zwar lästig, letztlich aber lässlich. Denn der Weg ist hier das Ziel. Wie es zu dem kommt, was am Schluss ist: Das ist das Interessante, das ist das Besondere, das ist das Revolutionäre an «Inception». Auf diesem Weg, der in der Beschreibung weit kompliziert ist als in der tatsächlichen Beschreitung, bedient sich Nolan auch gerne ganz traditioneller Kinomotive – was ebendieses Revolutionäre auf ein erträgliches und verständliches Mass herunterbricht. Dosiert setzt Nolan auch seine inszenatorischen Zauberkünste ein, in denen die Innovation der Narration ihr visuelles Äquivalent findet. Einnehmend, verblüffend und beängstigend sind die edlen Bilder, die Nolan gefunden hat. Worte zu finden für das, was man gerade erlebt hat, bleibt gleichwohl schwierig. Wirklich sagen lässt sich derweil so viel: «Inception» ist ohne den Hauch eines Zweifels einer der besten Filme, die je gedreht wurden.

 


Die Top 25 der Nullerjahre

 

1. «Mulholland Dr.» (2001)


2. «Collateral» (2004)


3. «The Dark Knight» (2008)


4. «The Aviator» (2004)


5. «Sideways» (2004)


6. «The Departed» (2006)


7. «Eternal Sunshine of the Spotless Mind» (2004)


8. «Kill Bill: Vol. 1» (2003)


9. «Memento» (2000)


10. «Requiem for a Dream» (2000)


11. «Slumdog Millionaire» (2008)


12. «Michael Clayton» (2007)


13. «La meglio gioventù» (2003)


14. «Zodiac» (2007)


15. «Syriana» (2005)


16. «No Country for Old Men» (2007)


17. «The Queen» (2006)


18. «The Wrestler» (2008)


19. «Mystic River» (2003)


20. «United 93» (2006)


21. «25th Hour» (2002)


22. «Ricordati di me» (2003)


23. «State of Play» (2009)


24. «O Brother, Where Art Thou?» (2000)


25. «Into the Wild» (2007)