Filled with Secrets – and References

«Twin Peaks» ist bekanntermassen mehr als ein Whodunit. Mehr als eine Seifenoper. Ja, mehr als eine Fernsehserie. Nebst allerhand anderem ist das Kunstwerk von David Lynch und Mark Frost auch ein einigermassen strapaziöses Hirntraining. Es gibt hier so unendlich viel zu ermitteln und zu entschlüsseln: all die Geheimnisse von Laura Palmer. All die versteckten Botschaften von Riese, Zwerg und Einarmigem. All die kryptischen Codes, die aus Lynchs Unterbewusstsein und Frosts Hirnwindungen in die stetig verworrenere und immer faszinierendere Handlung eingeflossen sind. Und nicht zuletzt: all die Verweise auf die Lieblingsfilme der beiden Serienschöpfer. «Für mich ist die Serie wie ein kultureller Komposthaufen, bei dem jede Figur und jeder Schauspieler ein direktes oder indirektes Zitat darstellt», meinte Mark Frost selbst dazu. Na dann, hier eine kleine Übersicht.

Laura, 1944


Klar, dass das Mordopfer in «Twin Peaks» Laura heisst, könnte noch Zufall sein und muss nicht zwingend als Reverenz an Otto Premingers Film-noir-Meisterwerk verstanden werden. Weil aber der in der Mordnacht anwesende Beo Waldo und dessen behandelnder Tierarzt Lydecker heisst, darf man geradeso gerne auch bei diesem Allerweltsnamen Absicht unterstellen. Auf den nicht eben geläufigen Namen Waldo Lydecker hört nämlich der von Clifton Webb gespielte Mörder in «Laura». Und der Mann, der das fast schon mystische Bild der vermeintlich toten Laura bei Preminger gemalt hat, heisst Jacoby – so wie der Seelenklempner von Laura Palmer (wobei dessen Name ein wenig anders ausgesprochen wird).



Vertigo, 1958


Vor dem Hitchcock-Klassiker verbeugen sich Lynch und Frost nicht nur mit einem ebenfalls doppelten Namensverweis, sondern auch noch auf der Handlungsebene: wenn die Schauspielerin Sheryl Lee, die zunächst die blonde Laura Palmer gespielt hat, als deren brünette Cousine Maddy Ferguson zurückkommt. In «Vertigo» kehrt Kim Novaks blonde Maddy ebenfalls braunhaarig wieder – und bringt damit den von James Stewart verkörperten Scottie Ferguson vollends um den Verstand.



Sunset Blvd., 1950


Das Drama von Billy Wilder ist einer von Lynchs erklärten Lieblingsfilmen. Und so überrascht es nicht, dass er die dazugehörige Reverenz grad für sich selbst reserviert hat. Der von ihm dargestellte schwerhörige FBI-Mann heisst Gordon Cole; eine Nebenfigur gleichen Namens gibt es auch bei Wilder. Angesichts von Lynchs Bewunderung für den Film könnte es auch jenseits der Willkür sein, dass der Name der weiblichen Hauptfigur von «Sunset Blvd.» doppelt im «Twin Peaks»-Universum auftaucht: Norma Desmond scheint in der Dinerbesitzerin Norma Jennings und im FBI-Agenten Chet Desmond aus dem Film «Twin Peaks – Fire Walk with Me» auf.



Psycho, 1960


Zweimal wird in «Twin Peaks» auf den Nachbarort verwiesen: Wenn Doc Hayward es im Pilotfilm nicht übers Herz bringt, die Autopsie von Laura Palmers Leiche durchzuführen, bietet er einen Kollegen aus Fairvale auf; und wenn Nadine Hurley ihre Erfindung einer vollkommen geräuschlosen Vorhangschiene patentieren lassen will, trifft sie sich – dem Vernehmen nach – ebendort mit einem Anwalt. Fairvale ist freilich auch der Name jenes kalifornischen Ortes, in dem das Bates Motel aus Alfred Hitchcocks Schocker steht.



The Hustler, 1961


Die umtriebige und ziemlich hintertriebene Sägewerkbetreiberin Catherine Martell, dargestellt von Piper Laurie, wurde als Catherine Packard geboren. Packard ist auch der Name der weiblichen Hauptrolle in Robert Rossens Billardspieler-Drama «The Hustler», für deren Darstellung – an der Seite von Paul Newman – Laurie einst ihre erste Oscar-Nominierung erhielt.

 


Double Indemnity, 1944


In Billy Wilders Film-noir-Klassiker heisst der von Hauptdarsteller Fred MacMurray gespielte Versicherungsagent Walter Neff. In Episode 7 von «Twin Peaks» hat ebenfalls ein Walter Neff einen kurzen Auftritt; auch er ist Versicherungsagent.



West Side Story, 1961


Diesmal ein Verweis mittels Casting: Sowohl Russ Tamblyn, der in «Twin Peaks» den schrägen Psychiater Lawrence Jacoby spielt, als auch Richard Beymer, geradeso schräg als Lokalmatador und Hotelbesitzer Ben Horne, hatten eine Hauptrolle im Musicalklassiker.



Peyton Place, 1957


Auch in Mark Robsons Melodram spielte Russ Tamblyn eine Hauptrolle. Die Verweise auf «Peyton Place» sind in «Twin Peaks» aber vor allem grundsätzlicher Natur. Beide Male geht es um eine Kleinstadt und ihre dunklen Geheimnisse, die unter der perfekt herausgeputzten Oberfläche wabern. Lynch und Frost schauten sich den Film sogar nochmals an, um sich für die Atmosphäre inspirieren zu lassen. Womöglich sind sie dabei auch auf die Idee eines Sägewerks als Hauptarbeitgeber des Örtchens gekommen. Ziemlich sicher haben sie «Peyton Place» Kostümdesignerin Patricia Norris ans Herz gelegt. Jedenfalls kleiden sich die Mädchen der Twin Peaks High School im pazifischen Nordwesten so, als seien sie dem Fünfzigerjahre-Städtchen in Neuengland entsprungen.



Return to Peyton Place, 1961


Auch eine kleine Referenz auf die Fortsetzung des Melodrams gibt es: Deren Regisseur war José Ferrer. Sein Sohn Miguel spielt in «Twin Peaks» den schnoddrigen FBI-Forensiker Albert Rosenfield.



The Big Sleep, 1946


Der Name des Richters, der für zwei Episoden nach Twin Peaks kommt, ist Sternwood. So hiess auch der General in Howard Hawks‘ Raymond-Chandler-Verfilmung. Gespielt wird Richter Sternwood übrigens von Royal Dano. Eine von dessen berühmtesten Rollen ist jene des Deputy Sheriff in Alfred Hitchcocks «The Trouble with Harry». Auch dort stellt eine Leiche ein Provinznest auf den Kopf.



One Eyed Jacks, 1961


One Eyed Jacks ist der Name des Bordells jenseits der kanadischen Grenze, in welchem Audrey Horne zwischenzeitlich gefangen gehalten wird. Es ist auch der Name eines Westerns von und mit Marlon Brando, wie Audreys Schulkollegin Donna Hayward in Folge 4 völlig richtig festhält.



The Fugitive, 1963–1967


Auch einem Klassiker des Fernsehens erweisen Lynch und Frost die Ehre. Der Einarmige in «Twin Peaks» heisst Philip Gerard und damit gleich wie der Polizist, der in der später mit Harrison Ford und Tommy Lee Jones fürs Kino verfilmten TV-Serie dem unschuldigen Dr. Kimble hinterherjagt – welcher  wiederum, jawohl, hinter einem Einarmigen her ist. Dies dürfte eine Mark-Frost-Hommage sein – eingedenk dessen, dass dieser ein Fernsehmann ist und im Gegensatz zum Fünfzigerjahre-affinen Kinokünstler David Lynch eine Vorliebe für die Sechziger- und Siebzigerjahre für sich reklamiert.



High Sierra, 1941


Diese Reverenz geht nicht aufs Konto von Lynch und Frost, sondern ihres Drehbuchautors Harley Peyton. Er benannte die Figur des derangierten ehemaligen FBI-Agenten Windom Earle nach dem Schauspieler William Windom und Humphrey Bogarts Figur Roy Earle aus dem Western von Raoul Walsh.



The Searchers, 1956


Noch ein Westernverweis: Der uralte Kellner im Great Northern Hotel sagt «Thank Ya Kindly» und macht einen ähnlichen Indianerlaut, wie es sein Darsteller Hank Worden in John Fords Genreklassiker tut. Worden hatte übrigens auch eine Minirolle im Abenteuerfilm «Northwest Passage» aus dem Jahr 1940. «Northwest Passage» ist der ursprüngliche Titel von «Twin Peaks».



Body Heat, 1981


Der nur in einer Folge auftretende und vom Singer-Songwriter Van Dyke Parks gespielte Anwalt von Leo Johnson heisst Jack Racine und trägt damit denselben Nachnamen wie William Hurts Figur, notabene ebenfalls ein Rechtsverdreher, im Neo-Noir-Klassiker von Lawrence Kasdan.

 

 

Rebel Without a Cause, 1955


Die Figur des Harley-Fahrers James Hurley könnte nach James Dean benannt sein. Ziemlich deutlich ist die Liebesgeschichte von James und Donna jedenfalls von jener inspiriert, die sich zwischen James Deans Jim und Natalie Woods Judy im Drama von Nicholas Ray entspinnt.

 


Angel Face, 1953


Der von vielen Fans nicht eben heiss geliebte Film-noir-Subplot um James Hurley und die reiche Femme fatale Evelyne Marsh ist gemäss Drehbuchautor Harley Peyton quasi eine Nacherzählung von Otto Premingers Film noir «Angel Face».

 


True Confessions, 1981
Auch in «Twin Peaks – The Return» finden sich solche Spielereien. «Rancho Rosa», der Name der verlassenen Wohnsiedlung in Las Vegas, wo der ursprüngliche Dougie seine Schäferstündchen mit der rassigen Jade abzuhalten pflegt, verweist auf den Neo-Noir «True Confessions» aus dem Jahr 1981, einen Lieblingsfilm von Mark Frost. Auch in dem Krimi mit Robert De Niro und Robert Duvall gibt es ein Immobilienprojekt namens «Rancho Rosa».