Your job is to get your audience to care about your obsessions.

Martin Scorsese


Goliath

 

Billy Bob Thornton als versoffenen, kettenrauchenden Zyniker zu besetzen – das ist jetzt zugegebenermassen nicht der peppigste Casting-Einfall aller Zeiten. Aber der aus höchsten Gefilden abgestürzte Anwalt Billy McBride, den Thornton seit 2016 und nunmehr drei Staffeln in der Amazon-Serie «Goliath» gibt, ist eben mehr als nur das: Er ist auch eine versehrte Seele, ein nicht mal ganz so übler Vater und vor allem letzten Endes ein ziemlich lieber Kerl, dessen scheinbare Gleichgültigkeit man auch als Gelassenheit lesen kann; Billy will einfach nur unbehelligt leben und lässt dafür die anderen auch geradeso leben, wie sie das möchten. Das heisst: wenn sie denn nicht solche Schweinereien anstellen wie der Waffenkonzern in der ersten Staffel, der von seiner ehemaligen Kanzlei und daselbst unter anderem von seiner Ex-Frau (Maria Bello) und seinem ihn mittlerweile abgrundtief hassenden Ex-Partner (William Hurt) vertreten wird. Einen übermächtigen, eben Goliath-haften Gegner hat Billy selbstredend auch in den beiden anderen Staffeln, die zwar ebenfalls den Kampf gegen die Windmühlen der Justiz thematisieren, im Gegensatz zu der vergleichsweise traditionell gehaltenen ersten gleichwohl neuere, zeitgemäss gewagtere Pfade beschreiten: In der etwas schwächeren zweiten Spielzeit, in der es bisweilen überaus ruppig zu- und hergeht, ist es ein mexikanisches Drogenkartell, das auf vertrackte Weise mit der angehenden Bürgermeisterin von Los Angeles (Ana de la Reguera) verbandelt ist; und in der öfters mal halluzinogenen dritten Staffel, der künstlerisch bislang avanciertesten, bietet Billy draussen im kalifornischen Central Valley einem milliardenschweren Landwirtschafts-Tycoon (Dennis Quaid) die Stirn, der seinen Nachbarn buchstäblich das Wasser abgräbt.

«Goliath» ist also zweifelsohne Billy Bob Thorntons Show – es ist das sein bester Auftritt seit Langem, ziemlich sicher sogar seit «Bad Santa» und mithin anderthalb Jahrzehnten; jedenfalls haben sie ihm für diese tiefgründige, vielschichtige und doch schnoddrig-coole Performance mit allem Recht der Welt 2017 den Drama-Golden-Globe zugesprochen. Der Star ist aber hier nicht allein auf weiter Flur. Da sind die angesprochenen zeitlich begrenzten Engagements von Gaststars wie Hurt, Bello und Quaid (zu denen sich noch knackige Gustostückerl etwa von Dwight Yoakam, Graham Greene, Amy Brenneman, Mark Duplass, Beau Bridges, der wunderbaren Molly Parker, der sagenhaft talentierten Olivia Thirlby und der abgetauchten «Twin Peaks»-Ikone Sherilyn Fenn gesellen); vor allen Dingen aber wissen auch die übrigen Stammspielerinnen zu gefallen: Nina Arianda als Billys immer ein bisschen genervte Partnerin, die sich trotz ihres typischerweise eher unpraktischen Schuhwerks glänzend auf den gepflegten Arschtritt versteht; Tania Raymonde als taumelndes Callgirl, das für den aus einer Bar und einem Motelzimmer heraus operierenden Billy nicht nur das Sekretariat, sondern dann und wann auch «Spezialaufträge» erledigt; oder Diana Hopper als Teenagertochter, die tatsächlich nicht nervt. Immer wieder grandios ist freilich auch, was die Regie hier leistet, allen voran der Fernsehroutinier Lawrence Trilling («Alias», «Damages», «Rectify»), der 16 der total 24 Folgen inszeniert hat. Nicht unähnlich der ebenfalls von Amazon produzierten Krimiserie «Bosch» ist auch «Goliath» ein höchst stimmungsvoller Streifzug durch L.A. und sein Umland, auf dem die touristischen Hotspots und die Welt der Reichen und Schönen ebenso abgeklappert werden wie die schummrigen Winkel und schmierigen Ecken mit ihren Stritzis und Strolchen, den traurigen Träumern und gefallenen Engeln.  

 


The Country Girl

 

Dies ist der Film, für den Grace Kelly 1955 ihren Oscar erhielt. Und das notabene als zweite Wahl und nur, weil die ursprünglich vorgesehene Jennifer Jones schwanger wurde und deren mächtiger Ehemann David O. Selznick sich in seiner Funktion als Produzent am Ende doch noch davon abbringen liess, seine Gattin trotzdem zu besetzen. Für Kelly, die zu dieser Zeit gerade zur Lieblingsschauspielerin von Alfred Hitchcock avanciert war und bereits in «Dial M for Murder» und «Rear Window» mitgespielt hatte («To Catch a Thief» sollte noch folgen), war die (Charakter-)Rolle der desillusionierten Gattin eines alkoholkranken einstigen Broadway-Stars (Bing Crosby) die grosse Chance, sich zur ernst zu nehmenden Mimin weiterzuentwickeln. Und in der Tat ist George Seatons «The Country Girl», die Adaption des gleichnamigen Theaterstücks von Clifford Odets, am Ende zuvörderst ein Fest der Schauspielkunst, zu dem neben Kelly aber auch Crosby als weinerlicher notorischer Lügner ebenso einen gewichtigen Teil beiträgt wie Hauptdarsteller Sterling Hayden als Broadway-Regisseur, der dem schon vor langer Zeit abgestürzten Traumtänzer gegen alle Widerstände eine letzte Chance geben möchte.  

Gehörig zu beeindrucken weiss dieses siebenfach Oscar-nominierte Drama indes auch durch seine für die damalige Kinozeit recht unverblümten Dialoge und den ziemlich ungeschminkten Umgang mit schwierigen Themen. Direkt als kontrovers lässt sich «The Country Girl» zumal aus heutiger Sicht zwar nicht taxieren; doch gibt es hier immer wieder Momente von beinahe überrumpelnder Intensität. Dass der Film am Ende auch mal auf Soap-Opera-Terrain abdriftet, fällt dann insofern kaum ins Gewicht, als Seaton, der anderthalb Jahrzehnte später mit dem Katastrophenthriller «Airport» nochmals einen Riesenhit landen sollte, auch diese Momente eher delikat und nüchtern inszeniert. Eher auf der pikanten, um nicht zu sagen gepfefferten Seite findet sich derweil eine dieser typischen wilden Hollywood-Anekdoten, die «The Country Girl» umrankt. So sollen Kelly und Crosby während der Produktion eine Affäre miteinander unterhalten haben. Als Kelly dann den Oscar erhielt, soll Cosby sie in Erwartung, die Nacht mit ihr zu verbringen, in ihrem Hotelzimmer aufgesucht haben – nur um dort Marlon Brando, der ihm früher am Abend den Oscar weggeschnappt hatte, in ihrem Bett zu anzutreffen...

 


And the Band Played On

 

Es war wahrlich keine einfache Aufgabe, derer sich Drehbuchautor Arnold Schulman («Tucker») und Regisseur Roger Spottiswoode («Shoot to Kill») hier vor fast 30 Jahren annahmen: das extensiv recherchierte 600-seitige Bestseller-Sachbuch «And the Band Played On: Politics, People, and the AIDS Epidemic» von Randy Shilts in zweieinhalb Stunden packendes Fernsehen zu verdichten. Natürlich aber war das eine noble Sache, ein absolut ehrenwertes Unterfangen und ein überaus wichtiges obendrein, war doch in den frühen Neunzigern, als «And the Band Played On» auf HBO ausgestrahlt wurde, noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten in Bezug auf die AIDS-Pandemie. Freilich verfolgt dieser Film – wie seine Vorlage – ein noch weit umfangreicheres Ziel: Minutiös schildert er den Verlauf dieser Katastrophe von A bis Z und aus allen relevanten Blickwinkeln. Im Zentrum stehen dabei die Forscher der Centers for Disease Control and Prevention und deren Kampf nicht nur gegen das in puncto Verbreitungsarten und Kerneigenschaften quälend lange nicht fassbare Virus, sondern auch gegen die Vorurteile der Öffentlichkeit, die störrische Obstruktion der Schwulenszene, einen eitlen Kleinkrieg zwischen amerikanischen und französischen Forschenden, die giergetriebenen Störmanöver der Gesundheitsindustrie und die widerliche Gleichgültigkeit der Regierung Reagan.

Trotz der Komplexität der Materie und der zahlreichen Haupt- und Nebenschauplätze wird das zwischen medizinischem Dokudrama und gesellschaftskritischer Mystery-Story pendelnde Geschehen nie je konfus – was nachgerade einem kleinen Wunder gleichkommt und einen vor Regie und Drehbuch verneigen lässt. Mächtig Eindruck und viel Freude machen zudem die Parade von Charakterköpfen wie Matthew Modine, Alan Alda, Ian McKellen, Patrick Bachau oder Richard Jenkins in den zentralen Parts und das Schaulaufen von Stars wie Phil Collins, Richard Gere, Anjelica Huston oder Steve Martin in Gastauftritten. Keinesfalls übertüncht wird von diesem Glamourfaktor freilich die Wut und die Trauer, die Shilts’ Vorlage durchziehen: Die Filmemacher vergessen nie, dass sie hier auf einer Mission sind, dass sie eine Botschaft auszusenden haben, die bis ins Heute nachhallt, in die Knochen fährt und Mark und Bein erschüttert. Noch mehr als das gute 20 Jahre später ebenfalls für HBO produzierte Drama «The Normal Heart», das die AIDS-Krise aus Aktivistensicht beleuchtet, gibt «And the Band Played On» eine so erhellende wie bewegende, faktenbasierte und gleichzeitig empathische, in jeder Hinsicht lehrreiche Übersicht über eine menschliche Katastrophe fürchterlichsten Ausmasses und pflegt dabei auf würdevolle Art und Weise das Andenken an dessen Opfer.

 


Flamingo Road

 

Dass man aus Richard Wilders Romanvorlage von 1942 fast vier Jahrzehnte später eine Soap-Opera fabrizieren würde, macht rückblickend betrachtet durchaus Sinn. Dass diese es trotz Cracks wie John Beck («Dallas»), David Selby («Falcon Crest») oder Morgan Fairchild («Dallas» und «Falcon Crest») auch angesichts der übermächtigen Konkurrenz dann nur auf zwei Staffeln bringen würde, war indes kein übermässiges Unglück. Schliesslich gibt es noch dieses wundervolle Film-noir-Drama aus dem Jahr 1949 von «Casablanca»-Regisseur Michael Curtiz, das ebenfalls auf Wilders Roman und der später daraus adaptierten Bühnenversion basiert. Die unvergleichliche Joan Crawford, die vier Jahre zuvor unter Curtiz bereits in «Mildred Pierce» brilliert hatte, läuft hier in der Rolle der Tingeltangeltänzerin Lane Bellamy abermals zu absoluter Hochform auf. Wobei sie in dem nicht eben vital und viril wirkenden Sydney Greenstreet nicht nur einen ebenso gut aufgelegten Sparringspartner hat, sondern in dem von ihm verkörperten herzlos mauschelnden Kleinstadt-Sheriff Titus Semple auch einen würdigen Gegenspieler, der es sich von aller Anfang an zum Ziel gesetzt hat, Lane aus der Stadt, aus «seiner» Stadt, zu verjagen. Dies nicht zuletzt darum, um sie von seinem Zögling Field Carlisle (Zachary Scott) fernzuhalten. Diesen möchte Semple zum Senator aufbauen, damit er ihm als Marionette zur Machtsicherung dienen möge. Doch dafür braucht dieser zunächst den passenden Leumund; und dazu trägt eine Affäre mit einer wie Lane ganz sicher nicht bei.

«Flamingo Road» wurde seinerzeit von der Kritik zerrissen. Und auch Crawford selbst meinte später: «Ein weiterer Reinfall. Das Drehbuch war schlecht, Curtiz war schlecht, ich war schlecht.» Hauptkritikpunkte waren angebliche Logiklöcher in der Handlung und der Figurenzeichnung. Doch das ist nun wirklich Lamentieren auf allerhöchstem Niveau! Mag sein, dass richtige Menschen eher nicht so agieren wie die Protagonisten dieses Lehrstücks über die skrupellosen Mechanismen von Macht und Politik. Doch wen interessieren schon richtige Menschen, wenn man einer Leinwandgöttin wie Crawford dabei zusehen darf, wie sie als abgehalfterte Aussenseiterin vom Zirkuszelt im Verlauf von rund anderthalb Stunden in die Luxusvilla des mächtigsten Politstrategen des Staates emporklettert, wie sie sich als Mädel von der «wrong side of the tracks» aus schäbigen Strassenkleidern schält, sich an der Prestige symbolisierenden titelgebenden Flamingo Road in einen voluminösen Nerz wirft und bei alledem immer unsere Heldin, die unumstrittene Sympathieträgerin bleibt. Und es mag ja ebenfalls sein, dass im richtigen Leben die Verhältnisse fester zementiert sind und eine einfache Kellnerin und Tänzerin wie Lane einem Schlachtross wie Semple nicht derart Paroli bieten kann. Aber wen kümmert das bitte sehr, wenn man dafür solche Bonmots wie dieses serviert bekommt: «Schauen Sie, ich vergesse nie etwas.» – «Ach wissen Sie, Sheriff. Wir hatten im Zirkus mal einen Elefanten mit einem solchen Gedächtnis. Er ging auf einen Wärter los, gegen den er fast 15 Jahre lang einen Groll hegte. Er musste erschossen werden. Und Sie glauben gar nicht, welche Probleme es mit sich bringt, einen toten Elefanten zu beseitigen.» Sehen Sie? Und deshalb also: Zum Teufel mit dieser elenden, Filmmagie-feindlichen Logik und ein Hurra auf dieses Filmjuwel aus Hollywoods goldener Ära.

 


Come True

 

Aus Kanada sind in letzter Zeit ja einige interessante (Independent-)Streifen gekommen. So auch dieser mit bescheidenem Budget produzierte hochgelobte Sci-Fi-Horrorfilm des jungen Regisseurs und Drehbuchautors Anthony Scott Burns. «Come True» handelt von der Ausreisserin Sarah (Julia Sarah Stone), die an einer experimentellen Schlafstudie teilnimmt, damit sie nicht weiterhin unter freiem Himmel pennen muss. Unter der Leitung eines recht gefürchigen Arztes mit monströs grosser Brille (Christopher Heatherington) und seines zwischen Creep und Nerd oszillierenden Assistenten Jeremy (Landon Liboiron) werden hier die (Alb)träume der Studienteilnehmer visualisiert – zu welchem Zweck, bleibt vorerst unter der Decke. Klar scheint in dieser von Unklarheiten beherrschten Geschichte nur, dass sich das Ganze in einer zwielichtigen Zone bewegt.

Betitelt sind die einzelnen Kapitel von «Come True» mit Schlüsselideen aus Carl Jungs Theorien: «The Persona», «The Animus or Anima» und «The Shadow and the Self». Doch man muss sich jetzt nicht der Psychoanalyse verschrieben haben, um zu verstehen, worum es hier geht – oder besser: um zu erspüren, was das alles bedeuten könnte. Umgekehrt ist es auch wenig wahrscheinlich, dass eingefleischte Jungianer Burns’ Intentionen komplett zu dekodieren vermögen; denn vieles bleibt auf diesem Höllenritt durch die Albtraumwelten eines verstörten Teenagers blosse Andeutung, verharrt unter bedrohlichen Synthieklängen in der Unschärfe und öffnet so einen horrend weiten Raum für Interpretationen. Ob man diesen auch tatsächlich zu betreten wagt, ist freilich eine andere Frage. Und wirklich nötig ist das eh nicht, zumal es letztlich doch nebensächlich ist, was diese Hirngespinste denn en détail zu bedeuten haben oder vorgeben. Viel entscheidender ist das Gefühl namen- und gesichtslosen Schreckens, das sie in einem auslösen. Und natürlich das kommende Wundertaten verheissende Talent, das nicht nur Regisseur Burns, sondern auch Hauptdarstellerin Julia Sarah Stone hier an den Tag legt.


The Dry

 

Nachdem sein Jugendfreund Luke seine Frau, seinen Sohn und sich selbst erschossen hat, kehrt der Bundespolizist Aaron (Eric Bana) für die Beerdigung in sein von einer hartnäckigen Dürreperiode gebeuteltes Heimatkaff mitten im australischen Nirgendwo zurück, das er einst als Teenager fluchtartig verlassen hatte. Von Lukes Familie wird Aaron gebeten, sich doch noch mal des nur vordergründig klaren Falls anzunehmen; die lokale Bevölkerung heisst ihn dabei freilich alles andere als herzlich willkommen, verdächtigt sie ihn doch nach wie vor des 20 Jahre zurückliegenden Mordes an der 17-jährigen Ellie, mit der er und Luke eine unzertrennliche Clique bildeten. Immerhin kann er auf die emotionale Unterstützung von Gretchen (Genevieve O’Reilly) zählen, die Vierte im Bunde von damals, sowie die Hilfe des leicht überforderten örtlichen Sergeant (Keir O’Donnell). Und tatsächlich stösst Aaron rasch auf Ungereimtheiten in den Ermittlungen und macht erste Verdächtige aus. Gut möglich sogar, dass die grauslichen Geschehnisse um seinen einstigen Kumpel etwas mit dem Mord an Ellie zu tun haben.

Die Bestselleradaption «The Dry» (2020) ist eine der erfreulicheren Überraschungen in dieser doch so ausgetrockneten Periode filmischen Schaffens. Inszeniert vor einer wirkmächtigen Kulisse in Victoria, erzählt Regisseur Robert Connolly hier über zwei Stunden in ruhigem, aber nicht behäbigem, im gerade richtigen Tempo eine Geschichte nicht nur um einen spannend verworrenen Kriminalfall, sondern auch um eine ganz persönliche Spurensuche. Mit sattelfestem Gespür für dezente Suspense, sicherem Sinn für Timing und in kohärent seriös-melancholischem Ton nähert er sich Schritt für Schritt der Wahrheit, schweift hierfür immer wieder in die tumultöse Vergangenheit ab oder streift auch einfach mal gleichsam ziellos in der mystisch kargen Gegend umher –dies indes, nicht ohne die eine oder andere falsche Fährte zu legen. Dass er seinem Protagonisten dabei keine allzu klaren Konturen verpasst, ist derweil nur scheinbar ein Versäumnis; dadurch, dass wir so wenig über Aaron in Erfahrung zu bringen vermögen – darüber, wer er eigentlich ist und wie er tickt –, können wir uns nämlich nie so ganz sicher sein, woran wir bei ihm wirklich sind. Und das ist für einen klassischen, ziemlich wendungsreichen Whodunit, der «The Dry» bei allem visuellem Protzen und psychologischem Schürfen am Ende immer noch ist, gewiss nicht die schlechteste Sache.

 


A Kiss Before Dying

 

Nein, Bud Corliss (Robert Wagner) ist nicht die Sorte von Bösewicht, mit der man mehr oder weniger heimlich mitfiebert. Denn dieser zwar durchaus charmante und sicherlich fesche, aber diabolisch skrupellose 25-Jährige, der noch immer am College rumlungert, ist ein waschechter Soziopath: Um den gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen und also an Reichtum zu gelangen, geht er buchstäblich über Leichen. Umso widerwärtiger ist Buds Verhalten, als sein erstes Opfer eine blütenweise Seele ist, die ihn bedingungslos und blindlings anhimmelt. Entsprechend viel Mitleid empfindet man mit der gutmütig gutgläubigen Dorothy Kingship (Joanne Woodward), einer Kommilitonin aus überaus wohlhabendem Hause, die von Bud ungewollt schwanger ist und nun den Bruch mit ihrem herrischen Vater fürchtet. Bud freilich gaukelt ihr vor, dass er Verantwortung übernehmen und sie ehelichen werde, wo er doch in Wahrheit mehrfach versucht, das ungeborene Kind zu töten, etwa indem er Dorothy eine Treppe hinunterstösst oder ihr giftige Mittelchen aufschwatzt. Als diese heimtückischen Versuche sonders fehlschlagen, entschliesst sich Bud, sein «Problem» an der Wurzel zu packen, und bringt Dorothy um.

«A Kiss Before Dying» (1957) beruht auf dem gleichnamigen Roman von Ira Levin, der es später mit spektakulär adaptierten Werken wie «Rosemary’s Baby», «The Stepford Wives» oder «The Boys from Brazil» gerade auch im Kino zu Weltruhm bringen sollte. 1991 gab es davon auch noch ein Remake mit Matt Dillon, doch das Original ist um Längen besser: ein visuell herausragender Film in Technicolor, der als Melodram im Stile von Douglas Sirk beginnt und dann in ein nervenaufreibendes Psychospiel mit deutlichem Noir-Einschlag mündet. Stimmungsvoll und mit Bedacht inszeniert wurde das vom Deutschen Gerd Oswald («Schachnovelle»), dem Sohn des Stummfilmregisseurs Richard Oswald, der hier ein eindrucksvolles Debüt ablegte. Eine mittlere Sensation war gar die Besetzung des auf «den netten Jungen» abonnierten Robert Wagner in der Rolle des seelenlosen Mörders und ein kleiner Skandal schliesslich das «ehelos schwangere» Mädel – ein Aspekt des Films, der in der Werbung tunlichst ausgespart werden musste.

 


The Ox-Bow Incident

 

Dies ist der Lieblingsfilm von Clint Eastwood. Ein Western, schon klar, aber was für einer! Gedreht 1942, als das Genre erst gerade wieder aus der Versenkung auferstanden war, packt «The Ox-Bow Incident» einige für die damalige Zeit bemerkenswert heisse Eisen an und beeindruckt mit einer eher unüblich tiefschürfenden und letztlich geradezu erschütternden Menschlichkeit. Die Geschichte um einen dürftig informierten Mob aus einem Kaff in Nevada, der sich getrieben von wilder Rachlust aufmacht, die – vermeintlichen – Mörder eines lokalen Farmers zu lynchen, kann mit Blick auf die Fake-News-Problematik auch heute noch als Warnung dienen. Gedacht war das damals aber als Anklage gegen den Faschismus – ob den europäischen oder den amerikanischen, darüber scheiden sich indes die Geister. Ungewöhnlich ist dabei nicht zuletzt auch die Erzählperspektive: Es ist die des zynischen Verlierers Gil (Henry Fonda), der sich zwar des schreienden Unrechts bewusst ist, dessen Zeuge er gerade wird – der das Ganze aber mehr oder weniger stillschweigend geschehen lässt: keine pathetischen Worte, keine hehren Taten und mithin kein Vergleich zum Geschworenen Nummer 8 aus «Twelve Angry Men», mit dessen Verkörperung Fonda eineinhalb Jahrzehnte später unsterblich werden sollte. Angeprangert wird die menschliche Katastrophe, der die angeblichen Viehdiebe Dana Andrews, Anthony Quinn und Francis Ford zum Opfer fallen, zwar sehr wohl; dies aber in betont bedachtem, ja fast schon sachlichem Ton.

«The Ox-Bow Incident» ist alles andere als ein Wohlfühlfilm. In nur gerade 75 Minuten offenbart er fast alles Schlechte, wozu Menschen fähig sind, und kaum etwas, was Hoffnung macht. Beruhend auf dem gleichnamigen Roman von Walter Van Tilburg Clark, hat der Vielfilmer William A. Wellman («A Star Is Born») hier einen Western um Selbstjustiz und Mitläufertum gedreht, der mehr Gerechtigkeitsdrama ist und in seiner düsteren Grundstimmung bisweilen wie ein Film noir anmutet. Als «so scharf und kalt wie ein Messer» hat die «New York Times» damals Wellmans Inszenierung geadelt und zugleich den Mut der Macher gelobt, einen kommerziell derart wenig versprechenden Film auf den Markt zu bringen. Immerhin: Den Test der Zeit hat «The Ox-Bow Incident» mit Bravour bestanden. Wer das nicht glaubt, kann ja nochmals bei Clint Eastwood nachfragen.
 


The Bigamist

 

Von dem guten halben Dutzend erstaunlichen Filmen, die die Kinopionierin Ida Lupino in den Fünfzigerjahren als Regisseurin verantwortete, ist «The Bigamist» (1953) der ziemlich sicher erstaunlichste. Mit dem für Lupino typischen Mut zur Kontroverse erzählt dieses Drama von einem eigentlich ganz gewöhnlichen Mann mittleren Alters, der sich in eine gänzlich ungewöhnliche, rechtlich verbotene und moralisch verwerfliche Situation hineinmanövriert hat. Harry Graham (Edmond O’Brien) war doch nur einsam und fühlte sich von seiner unfruchtbaren und infolgedessen allzu sehr auf ihre Karriere fokussierten Frau Eve (Joan Fontaine) vernachlässigt, als er auf einer seiner Geschäftsreisen von San Francisco nach Los Angeles mit der Kellnerin Phyllis (Lupino) anbandelt: Zunächst noch platonisch zwar, doch schon beim nächsten Trip in die Stadt der Engel kommen bereits romantische Gefühle hoch, und eines Nachts, an Phyllis’ Geburtstag, geschieht schliesslich das Unvermeidliche. Noch aber ist Harry nicht bereit, seine Ehe aufzugeben, und beim x-ten Versuch, die Dinge geradezurücken, hört ihm Eve dann auch endlich zu, und die beiden beschliessen, das Geschäftliche hintanzustellen und sich um eine Adoption zu bemühen. Doch gerade als alles ins Lot zu kommen scheint, trifft ihn auf seinem nächsten Aufenthalt in L.A. der Schicksalshammer: Phyllis, die nichts von seiner Ehe weiss, ist schwanger; und weil Harry ein pflichtbewusster Mensch ist, tut er das, was ihm als das einzig Richtige erscheint: Er heiratet Phyllis und führt fortan so lange ein Doppelleben zwischen den beiden kalifornischen Metropolen, bis ihm der Berater der Adoptionsagentur (Edmund Gwenn) auf die Schliche kommt.

Es ist ja eine Ungeheuerlichkeit, die Lupino hier schildert. Doch von Empörung findet sich in «The Bigamist» trotzdem keine Spur. Ihrem so unperfekten Antihelden bringt Lupino stattdessen einiges an Verständnis entgegen, ohne aber sein Verhalten zu rechtfertigen oder gar zu entschuldigen. Harry ist ein gebrochener Mann; und egal, was im Gerichtssaal, in dem die Geschichte schliesslich landet, entschieden wird: Es kann nicht so schlimm sein wie die Strafe und die Verachtung, die er sich längst selbst auferlegt hat. Dass Lupino dieses Drama nicht sensationalisiert und bewusst mehrdeutig hält, ist denn auch die hervorstechendste Qualität dieses Films, mitnichten aber die einzige herausragende. Neben den vier Hauptdarstellern ist da vor allem auch Lupinos stringente Inszenierung zu nennen, dank der diese 80 Minuten wie im Flug vergehen und trotzdem einen nachhaltigen, gleichsam quälend eindringlichen Eindruck hinterlassen. Darüber hinaus bot «The Bigamist» für das damalige Publikum eine besonders pikante Note: Geschrieben und produziert wurde der Film von Collier Young, der damals mit Joan Fontaine verheiratet war und kurz davor von Lupino geschieden worden war. Und noch etwas Erstaunliches an diesem erstaunlichen Werk: Es ist dies der erste amerikanische Film, bei dem der weibliche Star auch Regie geführt hat.


The Red House

 

1947 drehte Delmer Daves den Klassiker «Dark Passage» mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall. Doch dies war nicht der einzige grosse Wurf, der dem Mann, der sich später einen Namen als Westernspezialist («Broken Arrow», «3:10 to Yuma») machen sollte, in diesem Jahr gelang. Mit «The Red House» legte er auch noch einen stupenden psychologischen Horrorthriller mit Noir-Einschlag vor, eine Literaturverfilmung, die zu den Favoriten Martin Scorseses gehört. Sie erzählt von der braven Teenagerin Meg (Allene Roberts), die mit ihren Adoptiveltern Pete und Ellen (Edward G. Robinson und Judith Anderson) auf einer abgeschiedenen Farm ein genügsames, wenn auch – zumal von aussen betrachtet – ein wenig mysterienumranktes Dasein fristet. Mit der Ruhe ist es indes vorbei, als Meg es schafft, den handicapierten Pete davon zu überzeugen, ihrem feschen und wohl durchaus an ihr interessierten Klassenkameraden Nath (Lon McCallister) einen Job zu geben. Nun kriechen die Dämonen der Vergangenheit hervor und zerren ein düsteres Geheimnis nach und nach ans Licht, das irgendwie mit einem ominösen roten Haus da draussen in den Wäldern zusammenhängt, in diesen «bösen Wäldern», die auch den jungen zaghaft Liebenden zum Verderben zu werden drohen.

«The Red House» mag zwar kein perfekter Film sein; seine Handlung driftet bisweilen etwas ins Repetitive. Doch vermag die konzise Inszenierung einen über die vollen 100 Minuten Spielzeit in Bann und Atem zu halten. Daves gelingen dabei immer wieder fulminante Bilder und spektakuläre Einstellungen, die vom wuchtigen Soundtrack des dreifachen Oscar-Gewinners Miklós Rózsa kongenial untermalt werden. Durchs Band stark spielt zudem die auf ein rundes halbes Dutzend Akteure begrenzte Besetzung auf. Entsprechend ungerecht ist es, dass diesem vor psychologischer und sexueller Spannung berstenden Low-Budget-Thriller nie die ganz grosse Aufmerksamkeit zuteilwurde und er inzwischen längst ein wenig der Vergessenheit anheimgefallen ist.

 


The Kid Detective

 

Eine der angenehmeren Überraschungen des an Erquicklichem nicht eben reichen letzten Filmjahrs war diese mit kleinem Geld produzierte kanadische Krimikomödie. Sie handelt von dem 32-jährigen Abe Applebaum (Adam Brody), der in seiner Kindheit ein Lokalheld und ein überaus populärer, fast schon brillanter und ziemlich erfolgreicher Hobbydetektiv war. Mittlerweile freilich ist Abe zur Witzfigur verkommen: Wenn er nicht gerade an einem Kater laboriert oder sich in Selbstmitleid suhlt, kümmert er sich um Trivialitäten, die eines Erwachsenen eigentlich unwürdig sind; kein Wunder, machen sich Freunde und Familie Sorgen und die meisten anderen lustig über ihn. Nun aber könnte sich das Blatt wenden, denn nun soll Abe endlich einmal einen richtigen und wichtigen Fall aufklären: Die Highschool-Schülerin Caroline (Sophie Nélisse) beauftragt ihn, den Mord an ihrem Freund zu untersuchen. Und wie sich weisen wird, erhält Abe dabei nicht nur die Chance, sich und seine Reputation zu rehabilitieren, sondern auch ein fast zwei Jahrzehnte zurückliegendes Traum zu verarbeiten.

Mit seinem Langfilmdebüt «The Kid Detective» hat Regisseur Evan Morgan einen hoch kompetent und bisweilen sogar kunstvoll inszenierten kurzweiligen Krimispass und vor allem etwas hochgradig Originelles erschaffen: ein filmisches Unikum, das man nicht so schnell vergisst. Im Stil und in der Sprache des Film noir fächert der junge Kanadier hier mit augenzwinkerndem Charme, einer grossen Portion schwarzen Humors und in farbenfroher Fifties-Nostalgie einen Mordfall auf, der sich am Ende doch noch als mehr erweist als blosse Dekoration; ja der sich letzten Endes sogar noch als eine ziemlich düstere Sache herausstellt und dem zuvor so leichtfüssigen Film eine bittere Note verleiht. Verblüffend ist es, wie versiert Morgan nicht nur die eigentlich wenig kompatiblen Elemente mischt, sondern auch die Verschiebung in Ton und Thematik meistert. Und bärenstark ist es, wie Hauptdarsteller Adam Brody diesem aus- und abgebrannten Typen die Sympathien sichert und ein bisschen Würde zurückerkämpft.

 


Perry Mason

 

Ein abgewrackter Privatdetektiv mit Alkoholproblem und Kriegstrauma, sehr schlechten Umgangsformen und voller zynischer Weltverdrossenheit: Nein, das ist definitiv nicht das, was man zu sehen erwartet hat, als vor rund fünf Jahren verkündet wurde, Starschreiber Nic Pizzolatto («True Detective») arbeite an einer von Robert Downey Jr. produzierten Ursprungsgeschichte zu Perry Mason – diesem so beliebten wie beleibten Anwalt aus dem Fünfziger- und Sechzigerfernsehen, dessen Mandanten samt und sonders unschuldig zu sein pflegten und der jeden einzelnen Fall gewann. Natürlich, der Name Pizzolatto musste hellhörig machen; schliesslich ist das keiner, der es glatt und clean mag, sondern vielmehr einer, bei dem es ordentlich zur Sache geht, wo sich erbarmungslos Abgründe menschlicher Grausamkeit auftun und schwarze Seelen in mondloser Nacht ihr gottloses Unwesen treiben. Aber Perry Mason ist nun mal eine in 271 Folgen und später in den Achtzigern und Neunzigern dann in 30 Spielfilmen modellierte Ikone eines braveren Fernsehzeitalters, quasi ein Columbo im Gerichtssaal. Der wird doch nicht... O doch, der wird. Und wie der wird, auch wenn Pizzolatto am Ende dann wegen Terminkollisionen gar nicht mehr dabei war und durch die «Friday Night Lights»-Schreiber Rolin Jones und Ron Fitzgerald ersetzt wurde.

Was Jones und Fitzgerald da kreiert und TV-Veteran Tim Van Patten («The Sopranos») und die türkische Regisseurin Deniz Gamze Ergüven («Mustang») inszeniert haben, ist ein rabenschwarzer Noir und knallharter Hardboiled. Angesiedelt im prosperierenden Los Angeles nach der Grossen Depression und während der Prohibition, erzählt «Perry Mason» die medial gehypte Geschichte einer brutal schiefgegangenen Kindsentführung. Mason (Matthew Rhys aus «The Americans») soll im Auftrag des Anwalts E.B. Jonathan (John Lithgow) die Unschuld von dessen Mandantin beweisen und muss sich dabei durch ein Dickicht aus Klüngel und Korruption kämpfen und in einem Morast moralischer Verrohung waten. Mit wilder Lust zur eleganten Bildgewalt wird die pulsierende, brodelnde, hyperventilierende Stadt der gefallenen Engel in acht circa einstündigen Folgen noch etwas prächtiger und spektakulärer als das Atlantic City der zeitlich ähnlich verankerten Saga «Boardwalk Empire» in Szene gesetzt, derweil sich die etwas überladene und wankelmütige Story, in die auch noch ein bisschen Hollywood, eine Sektengeschichte und unvermeidlich zeitgeistig Rassen- und Genderthemen gepackt werden, eher schleppend entwickelt. Es braucht da ein bisschen Geduld und bisweilen auch den Langmut, diese Drehbuchschwächen wegzuschnippen wie eine fertig gerauchte Zigarette. Aber wenn es zwischendurch auch mal zäh und fad wird, so sind da nebst den fulminanten Schauwerten immer noch die fantastischen Darsteller: neben dem sowieso verlässlichen Rhys etwa Juliet Rylance als toughe Sekretärin Della Street, die hier nicht Perry anhimmelt, sondern lesbisch ist, oder Shea Wigham als hallodrihafter Sidekick, Chris Chalk, dessen Paul Drake einerseits schwarz und andererseits zunächst Streifenbulle ist, und nicht zuletzt die grandiose Tatiana Maslany («Orphan Black») in der Rolle der charismatischen Predigerin Sister Alice. Was für ein wilder Ritt diese kernig erwachsene HBO-Version von «Perry Mason» doch ist. Und in der nächsten Staffel sind dann sicher auch die Drehbücher etwas besser redigiert.

 


Ali

 

Es ist schon so, dass Michael Mann in seiner ruhmreichen Karriere gelungenere Filme gedreht hat als «Ali». Und dass diese mittlerweile 20 Jahre alte Sportlerbiografie eine recht zähe und aufgrund ihrer historischen Gewissenhaftigkeit im Grossen und Ganzen ziemlich kopflastige Angelegenheit ist – das kann man durchaus so stehen lassen. Umgekehrt aber war dieser Grossmeister seines Fachs, dem wir Meilensteine wie «Heat», «The Insider» und «Collateral» verdanken, nie besser als in den Schlussminuten von «Ali»: in der Inszenierung des «Rumble in the Jungle» also, des Weltmeisterschaftskampfs zwischen den Schwergewichten Muhammad Ali und George Foreman vom 30. Oktober 1974 in Kinshasa um drei Uhr morgens Ortszeit vor 100'000 ekstatischen Zuschauern, der nach einhelliger Historikermeinung als bedeutendstes Sportereignis aller Zeiten gilt.

Dass diese letzten rund zehn Minuten eine solch wuchtige Wirkung entfalten, hat natürlich eine Menge damit zu tun, dass Mann und sein überragender Hauptdarsteller Will Smith in den vorangegangenen zweieinviertel Stunden viel Energie darauf verwendet haben, dieses kommende Ereignis mit Bedeutung aufzuladen. Doch die schiere Brillanz, die im zairischen Nachthimmel funkelt, wenn sich diese Spannung entlädt, dieses emotionale Erdbeben, das Mann auslöst, als der ewig tänzelnde und gleichsam abwesend wirkende Ali den trägen und zusehends müden Koloss Foreman in die Knie und endlich auf die Bretter zwingt – auf das war man dann doch nicht wirklich vorbereitet. Denn was Mann in diese letzten Runden seines Filmkampfs packt – die sporthistorische, die politische und die persönliche Bedeutung dieses Dramas, dieses in den letzten Zügen errungenen, in nobler Weise die Würde des Verlierers bewahrenden Triumphs, die auf dem Zahnfleisch kriechende Tragik, die an Besinnungslosigkeit grenzende Erschöpfung –, das ist unendlich berührend, unfassbar erschütternd, das ist nichts weniger als magisch, und das ist der Grund, warum wir ins Kino gehen. Und folgerichtig ist es ja grad auch, dass Mann dem wichtigsten Ereignis der Sportgeschichte die womöglich besten Momente der Sportfilmgeschichte hat angedeihen lassen.

 


The Reagans

 

Jetzt, wo der Winter unseres Trump-Missvergnügens endlich vorbei ist, wird es Zeit, sich den Schandtaten jenes Mannes (und der Frau hinter ihm) zu widmen, die die Basis dafür gelegt haben, dass diese Horrorshow in Orange überhaupt erst möglich wurde. Diese vierteilige Dokuserie von Matt Tyrnauer («Where’s My Roy Cohn?») hat es sich zur Herkules-, ja wohl leider zur Sisyphus-Aufgabe gemacht, den Mythos zu dekonstruieren, den Ronald Reagan um seine Person(a) kreiert und letzten Endes wohl auch tatsächlich geglaubt hat. Ohne die heute übliche bebende Empörung wird in Teil 1 gezeigt, wie der zweitklassige Hollywood-Schauspieler für sich und seine Anhänger ein – selbstredend vornehmlich weisses – Amerika heraufbeschwört und «great again» machen will, das so nur in seiner Fantasie, in seiner berüchtigt selektiven Wahrnehmung je existiert hat. Teil 2 nimmt sich sodann des scharfen Schwenks nach ganz rechts an, den der ehedem liberale Reagan vollzieht, als er sich in den frühen Sechzigern dem ultrakonservativen populistischen Präsidentschaftskandidaten Barry Goldwater an den Hals wirft und in dessen Windschatten zum Gouverneur von Kalifornien emporsteigt, indem er der rassistischen Seele Amerikas Avancen macht und den Staat und seine vermeintlich so trägen und ineffizienten Institutionen verteufelt. Teil 3 zeigt dann auf, wie Reagan als Präsident nach und nach den New Deal von Franklin Roosevelt, von dem einst auch seine Familie profitierte, rückgängig macht, um das Land der Obhut von «Big Money» zu überlassen. Und zum Abschluss wird Reagans zweite Amtszeit beleuchtet, die etwa geprägt war vom Iran/Contra-Skandal und seiner nachlassenden geistigen Gesundheit.

Reagans Vermächtnis zu retten, obliegt – wie so vieles andere auch – schliesslich Nancy Reagan, dieser zierlichen Frau im Hintergrund mit dem betonierten Lächeln und dem versteinerten bewundernden Blick hinauf zu ihrem Göttergatten. Dass sie dabei nicht zuletzt auf die Hilfe einer Astrologin gesetzt hat, ist eine von vielen Seltsamkeiten, die das Wirken des 40. US-Präsidenten umranken. Weil Tyrnauer Doku eben «The Reagans» heisst, wird immer wieder auch auf die nicht zu überschätzende Rolle der zeitweise höchst unpopulären und so gar nicht den Puls des Landes fühlenden First Lady eingegangen, die es sich etwa nicht hatte nehmen lassen, für Abertausende von Dollars neues Porzellangeschirr für das Weisse Haus anzuschaffen, während in derselben Woche das Budget der Schulkantinen zusammengestrichen wurde. Freilich kommen hier nicht nur kritische Stimmen wie jene der Starjournalisten Robert Scheer und Lesley Stahl zu Wort, sondern auch einstige enge Weggefährten wie Ex-Aussenminister George Shultz oder glühende Verehrer wie der konservative Aktivist Grover Norquist. Sehr informative Einblicke ins Privatleben gibt derweil Ron Reagan, der Sohn von Ronald und Nancy, der offenkundige einem weit liberaleren Gedankengut anhängt als seine Eltern. An der «Abrechnung», die Tyrnauers Doku letztlich ist, will sich Ron zwar nicht lauthals beteiligen; doch will der überaus sympathisch rüberkommende Präsidentensohn, der als Journalist arbeitet, auch nichts schönreden. Und damit unterscheidet er sich doch wohltuend von den Mainstreammedien, die sich damals zu Komplizen dieses rabiaten Konservativen und dessen Radikalisierung der Republikanischen Partei machten, weil er ihnen endlich die Show bot, nach der sie so lange gelechzt hatten; und die noch heute unbeirrt seinen Heiligenschein polieren und alles Negative ausblenden: das schändliche Ignorieren der Aids-Pandemie etwa, die unermessliches Leid verursacht hat, oder die verwerfliche Faktenverdreherei, die dank genialer Inszenierung und Schauspielerei die einfachen Leute dazu gebracht hat, konsequent gegen ihre Interessen zu votieren. Und die den nachhaltigen Schaden, den dieser Mann angerichtet hat, hartnäckig ignorieren: die Schwächung der Arbeiterschaft durch die Zerstörung der Gewerkschaften, das Zündeln mit rassistischen Ressentiments, die bewusste Spaltung des Landes und die horrende wirtschaftliche Ungleichheit. Dass «The Reagans» irgendwen bekehren wird, ist bei aller handwerklichen Klasse dieser Doku zwar unwahrscheinlich. Aber obwohl nie der explizite Link in die Gegenwart gemacht wird, so ist es trotzdem gut und ratsam, sich wieder einmal in Erinnerung zu rufen, wer es eigentlich war, der die Saat für diesen Wahnsinn gelegt hat, den die USA leider noch lange nicht hinter sich gebracht haben.

 


Normal People

 

Das ist die Geschichte von Marianne und Connell. Es ist die Geschichte der Höhen und Tiefen, Unglaublichkeiten und Unzulänglichkeiten, Komplexitäten und Kuriositäten einer jungen und irgendwann dann nicht mehr so jungen, aber jedenfalls immer grossen Liebe. Einer Liebe, die zwar im Laufe der Jahre immer wieder auf Sparflamme zurückgesetzt wird – aus Unreife oder Missverständnissen, wegen schlechten Timings oder dummer Zufälle. Die aber nie je erlischt und – so wollen wir zumindest hoffen – auch nach der letzten der zwölf rund halbstündigen Folgen noch weiterleben wird.

Es ist dies auch eine sehr moderne, sehr jetzige Geschichte mit von Bindungs- und allerlei sonstigen Ängsten erfüllten jungen Menschen. Basierend auf dem gleichnamigen Bestseller von Sally Rooney, folgt «Normal People» unseren beiden so zerbrechlichen Protagonisten von ihren letzten Tagen in der Sekundarschule in der irischen Kleinstadt Sligo bis zu ihren Studienjahren am Trinity College in Dublin. Nicht nur ihre Beziehung durchlebt dabei ein zwischen Liebe und Freundschaft pendelndes stetes Auf und Ab; auch anderweitig stellen sich ihnen manche Fallstricke in den Weg zum Glück – von Mariannes toxischen Familienverhältnissen über Connells schwierigen Freundeskreis bis zu dieser orientierungslosen Unsicherheit, die einen in jungen Jahren auf der Suche nach dem richtigen Platz in diesem Leben in den Würgegriff nimmt und einem bisweilen die Luft zum Atmen abklemmt. Erzählt ist das mit einer bemerkenswert dezenten Klugheit; inszeniert ist es von «Room»-Regisseur Lenny Abrahamson (Episoden 1–6) und TV-Fachfrau Hettie Macdonald (7–12) mit einer ungefilterten, ungeschminkten Intimität, mit einer nachgerade puren Zärtlichkeit und einer gleichsam unschuldigen Erotik; und gespielt ist es von den Newcomern Daisy Edgar-Jones und Paul Mescal mit einer zu Herzen gehenden und komplett vereinnahmenden Natürlichkeit und Schönheit.

 


Our Souls at Night

 

Wenn zwei der grössten Legenden der Leinwand respektive eines der unsterblichsten Filmpaare der Hollywood-Geschichte das erste Mal seit fast 40 Jahren wieder zusammenspannt, ist das sowieso schon den Kinobesuch wert – oder wie heute immer öfter und eben auch im Fall der Bestselleradaption «Our Souls at Night»: die Netflix-Monatsgebühr. Diese in einer friedlichen Kleinstadt von Colorado angesiedelte romantische Komödie von 2017, inszeniert vom Inder Ritesh Batra («The Lunchbox»), hat freilich noch mehr zu bieten als Robert Redford und Jane Fonda, die sich lange nach dem Tod ihrer Ehepartner und nach Jahren einer eher spröden nachbarschaftlichen Nichtbeziehung aus ganz praktisch rationalen Motiven auf eine Liaison einlassen.

Die Geschichte dieser unwahrscheinlichen Liebe lebt fraglos in erster und auch zweiter Linie vom unverkrampften Charme und der natürlichen Überzeugungskraft der beiden Leads; sie hat aber auch viele kluge Sachen zu sagen über das Alter und das Leben an sich, die Batra und Autor Kent Haruf freilich nicht lauthals in die Nacht hinausposaunen – was würden da auch die Nachbarn denken! –, sondern bei einem vornehmen Glas Rotwein (sie) bzw. einem erfrischenden Bier (er) dezent und delikat in die Konversation einstreuen. Das hat etwas Entspannendes und immer wieder auch einen Hauch von lebenskluger Nostalgie, so wie auch das Spiel von Fonda und Redford vollends relaxt und von einer schwärmerischen Weisheit erfüllt ist. «Our Souls at Night» mag nicht die romantische Wucht von Clint Eastwoods Altersliebelei «Bridges of Madison County» haben; und auch die Schauwerte sind im Vergleich weit bescheidener. Doch das Herz hat dieser kleine und – dieses Mal muss es sein – feine Film definitiv am rechten Fleck.

 


Unter Verdacht

 

17 Jahre lang, von 2002 bis 2019, ging Senta Berger als Kriminalrätin Dr. Eva Prohacek in der Abteilung für interne Ermittlungen im Kommissariat München auf Spurensuche. Ans Licht gebracht hat sie dabei gemeinsam mit ihrem linkischen Assistenten Langner (Rudolf Krause) nicht nur manches sogenannte Amtsdelikt, sondern immer wieder auch korrupte Verflechtungen und hartnäckige Verfilzungen, die zur diebischen Freude des Publikums praktisch jedes Mal auch ihren aalglatten Vorgesetzten Dr. Reiter (Gerd Anthoff) betrafen. 30 Fälle sinds am Ende für die ZDF/Arte-Serie «Unter Verdacht» geworden, wobei bereits der allererste mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Stars wie Christoph Waltz, Axel Milberg, Friedrich von Thun, Jasmin Tabatabai und Justus von Dohnányi gaben sich die Klinke in die Hand und trugen ihren Teil dazu bei, dass diese immer ein wenig aus der handelsüblichen TV-Reihe tanzende Serie mit einer absolut bemerkenswerten Konstanz ihr hohes Niveau zu halten vormochte.

«Unter Verdacht» war bei all den klugen Drehbüchern und all den spannenden Fällen freilich stets die Show von Senta Berger. Wie sie ihre Frau Doktor Prohacek in dem einen Moment zutiefst verletzlich, ja fast zerbrechlich interpretierte, nur um dann im nächsten Moment eine wilde, unbarmherzige Entschlossenheit im Kampf für das Gute an den Tag zu legen, das war stets grosse Schauspielkunst. Und ihre Scharmützel mit Gerd Anthoff, diesem unverbesserlichen Hallodri und ewigen Amigo aus der Teppichetage – die waren nichts weniger als köstlich und sorgten im Schatten all der schwerwiegenden und bisweilen durchaus schwer verdaulichen Verbrechen immer wieder für eine willkommene komödiantische Befreiung.

 


The Editor

 

Nein, diesen Film muss man als normal tickende Cineastin nicht gesehen haben. Für Verehrer des italienischen Giallo hingegen mag sich «The Editor», diese absolut nicht ernst gemeinte filmhistorische Spielerei aus dem Jahr 2014, durchaus lohnen. Denn was das Regiegespann Adam Brooks & Matthew Kennedy hier mit einem Minibudget von 100'000 Dollar auf die Leinwand geklatscht hat, ist nicht nur eine lupenreine Hommage an die Werke von Dario Argento und Co., sondern grad auch noch eine ziemlich witzige Parodie dieser in den Siebzigern zu voller Blüte gelangten, sehr blutigen und überaus freizügigen Unterform des Horrorthrillers. Und mit Paz de la Huerta («Nurse 3D», «Boardwalk Empire») und Udo Kier (hier bitte den Film der Wahl aus dem über 260 Streifen umfassenden Œuvre des Deutschen einsetzen) sind sogar zwei Leute mit an Bord, die man getrost als Kultstars bezeichnen darf.

Die Hauptrolle, den titelgebenden Filmeditor Rey Ciso, spielt mit Adam Brooks indes einer der Regisseure. Ciso war einst ein Grosser seines Fachs; nach einem traumatischen Unfall, bei dem er vier Finger verlor, ist er indes längst in die Obskurität abgesackt und verdingt sich mittlerweile für Machwerke der ganz üblen und billigen Sorte. Als ob das Leben des Rey Ciso nicht schon unlustig genug wäre, wird er dann auch noch zum Hauptverdächtigen von Kommissar Porfiry (Matthew Kennedy, der andere Regisseur), als ein Verrückter seinen Kollegen und natürlich gerade auch den Kolleginnen am aktuellen Set nach und nach bestialisch den Garaus macht. Viel nackte Haut und kübelweise Kunstblut werden im Zuge dessen herumgereicht, alles minutiös und kompetent im Giallo-Stil, von der bombastisch dramatischen Musik über das gnadenlose Overacting, die hölzernen synchronisierten Dialoge und den Schabernack mit Kameraperspektiven bis zum Slapstick mit den zahllosen Handlungsvolten. Das ist dann schon allerhand an Retro-Handwerkskunst, da gibts nichts dran zu deuteln. Und wie sich «The Editor» so durch und durch und voll und ganz und ganz und gar der Lächerlichkeit verschreibt, ist einfach von geradezu entwaffnender, bewundernswerter Konsequenz.

 


Out of Time

 

Regisseur Carl Franklin und Hauptdarsteller Denzel Washington waren bereits sechs Jahre davor für den überaus stylishen Neo-Noir-Thriller «Devil in a Blue Dress» eine höchst fruchtbare Zusammenarbeit eingegangen. Insofern war es am Ende dann nicht mal so überraschend, dass dieser spannende und bisweilen recht witzige Krimi so eine runde Sache wurde. Und das, obwohl er ziemlich lässig eine geradezu tiefenentspannte Ambitionslosigkeit zur Schau stellt – oder vielleicht ja gerade deswegen. Wie dem auch sie, Alfred Hitchcock hätte wohl auch seine Freude gehabt an diesem auf Realismus und beinharte Logik pfeifenden Suspense-Stück, in dem Washington unter der Sonne der Florida Keys als Polizeichef in kurzen Hosen quasi gegen sich selbst ermitteln muss.

Dabei meint es Matt Whitlock doch eigentlich nur gut, als er eine halbe Million Dollar aus der Asservatenkammer stibitzt. Das Geld braucht er nämlich nicht für sich, sondern für seine todkranke Geliebte (Sanaa Lathan), damit diese sich in der Schweiz einer experimentellen Therapie unterziehen kann. Leider kommt die Herzensdame dann aber in einem Hausbrand um, die Kohle ist verbrannt, und dem FBI sollte Matt das dann auch noch alles erklären. Freilich erweist sich schnell, dass kaum etwas so ist, wie es scheint, und einige unglückliche Zufälle und ein paar halsbrecherische Wendungen später steckt Matt noch tiefer in Exkrementen. Immerhin ist da aber noch seine Ex-Frau (Eva Mendes), die dem liebestollen Cop aus der Patsche hilft. Und auf unsere Sympathien kann dieser so viele schlechte Entscheidungen treffende Antiheld sowieso zählen – Denzel Washington sei Dank. Denn dieser zeigt hier, dass er seine Figuren auch dann ernst nimmt, wenn es sich nicht um Oscar-Material, sondern bloss um eine nonchalante, wiewohl von Franklin nach allen Regeln der Kunst flüssig und kurzweilig inszenierte Genreübung handelt. Und so bekommen wir eben auch in «Out of Time» eine dieser seelenreichen und würdevollen Performances, für die wir Washington so sehr lieben.  

 


Bosch

 

Das ist jetzt mal eine ausgezeichnete Idee: einem allseits geliebten Kriminalroman-Helden nicht eine Kinoreihe, sondern eine Fernsehserie zu geben. Seit 1992 schon und in bereits 21 Büchern ermittelt der von Bestsellerautor Michael Connelly ersonnene kernige Kriegsveteran Hieronymus «Harry» Bosch in den schäbigen und schummrigen, mystischen und mysteriösen Ecken von L.A. Und nachdem es sein Halbbruder Mickey Heller zu Beginn der letzten Dekade in «The Lincoln Lawyer» auch dank einer knackigen Performance von Matthew McConaughey zu einigem wohlverdientem Kinoruhm gebracht hatte, fand man drei Jahre später bei den Amazon Studios, es sei an der Zeit, auch Bosch für das lesefaule Publikum zum Leben zu erwecken. Sechs Staffeln sind seit dem Start im Jahr 2014 nun schon abgedreht, wobei Elemente aus zwölf Harry-Bosch-Romanen als Inspirationsquellen dienten.

Das Erfolgsgeheimnis der Serie, deren siebte und letzte Staffel gerade abgedreht wurde, ist neben dem hochklassigen Ausgangsstoff die geradezu genial perfekte Besetzung der Hauptfigur: Titus Welliver, bekannt etwa aus «Sons of Anarchy» und sämtlichen vier Regiearbeiten von Ben Affleck, wirkt, als sei er geboren worden für die Rolle des gerechtigkeitsliebenden altmodischen Cops der Hollywood Division des LAPD, der auch mal die Regeln biegt und entsprechend immer wieder in den Clinch mit seinen Vorgesetzten gerät. Wohltuend ist dabei, dass Bosch bei allen Versehrungen, die er unter einer schroff-herben Männlichkeit zu beerdigen sucht – die Kriegserfahrungen, eine Scheidung, der nie aufgeklärte Mord an seiner Mutter –, sich mit schnoddriger Widerspenstigkeit dagegen sträubt, sich ins Klischee des hartschalig-weichkernigen Bullen mit Hang zum besoffenen Grübeln zu fügen. Stattdessen geniesst er von der Terrasse seines Designerhauses hoch oben in den Hollywood Hills aus die spektakuläre Aussicht über die Stadt der Engel, während er passend zum Lichtermeer eine seiner geliebten Jazzplatten auflegt. Und da sind wir dann bei den anderen beiden grossen Stärken von «Bosch»: die smoothe Inszenierung von L.A. und der coole Soundtrack.

 


Let Them All Talk

 

Nicht immer ist es gut gekommen, wenn sich Steven Soderbergh aufs Experimentieren und Improvisieren verlegt hat; mit gähnendem Schrecken sei etwa an Kunstfreies wie «Full Frontal» oder «The Girlfriend Experience» erinnert. Und nicht viel besser ists ihm bislang geraten, wenn er statt fürs Kino für einen Streamingdienst gewerkelt hat: Sowohl das mit einem iPhone 8 gedrehte Sportdrama «High Flying Bird» als auch die selbst von Meryl Streep nicht zu rettende Geldwäschereisatire «The Laundromat», die er beide im Jahr 2019 für Netflix abgefilmt hat, waren ziemliche Rohrkrepierer. Skepsis war also definitiv angebracht, als der Mann mit der Hornbrille unlängst «Let Them All Talk» präsentierte: eine für den noch jungen Dienst HBO Max gefertigte Dramedy, die fast ausschliesslich aus mehrheitlich improvisierten Dialogen besteht.

Meryl Streep spielt darin die renommierte Literatin Alice Hughes, die in England einen prestigeträchtigen Preis entgegennehmen soll. Weil sie nicht fliegen will, schlägt ihre neue Agentin Karen (Gemma Chan), die mit allmählich eskalierender Besorgnis auf Alice’ neustes Manuskript wartet, die Überfahrt auf der «Queen Mary 2» vor. Nach anfänglichem Zögern willigt Alice ein, freilich unter der Bedingung, dass sie zur Unterstützung ihren Neffen Tyler (Lucas Hedges) und zur Unterhaltung ihre entfremdeten Studienfreundinnen Roberta (Candice Bergen) und Susan (Dianne Wiest) auf den Luxusdampfer einladen darf. Was nun folgt, ist ein oftmals geistreiches Geplänkel zwischen drei Grandes Dames des amerikanischen Kinos und ein sympathisch zurückhaltendes Anbandeln zwischen dem jungen Tyler und der auf die 40 zugehenden Karen, die sich ohne Alice’ Wissen quasi zur Kontrolle ebenfalls aufs Schiff geschlichen hat. Sicher: Die verbalen Schlagabtäusche driften mitunter auch ins Banale, und wie sich der fraglos talentierte Lucas Hedges in dieser Damenrunde schlägt, ist teils arg ungelenk. Aber dieser fast nur mit natürlichem Licht und minimalem Equipment an Bord der «Queen Mary 2» gefilmte Versuch einer (Wieder)annäherung hat nicht nur einen entwaffnenden Charme; Soderbergh macht hier auch etwas, was nicht viele seiner Berufskollegen zu tun bereit sind: Er stellt drei Schauspielerinnen in reiferem Alter auf ein komödiantisches Parkett, ohne sie dabei einer schrulligen Putzigkeit preiszugeben.

 


Storyville

 

Dieser Politthriller aus dem Jahr 1992 ist ein geradezu erschütterndes Beispiel dafür, wie ein desinteressierter Produzent und eine stiefmütterliche Vermarktung einem zwar nicht makellosen, aber doch mit reichlich Potenzial gesegneten Film von vornherein jede Chance rauben können. Und wie dann eine solch «unglaublich bittere Erfahrung» dazu führen kann, dass ein talentierter Regisseur die Flinte ins Korn wirft und für sich beschliesst, dass er mit solcherlei dann doch lieber nicht seinen Lebensunterhalt verdienen möchte, «wenn ich von einem Haufen Piraten umgeben bin, denen ich nicht trauen kann». Der Mann, der das unlängst gesagt hat, ist Mark Frost, seines Zeichens Co-Schöpfer von «Twin Peaks» und als solcher, wie viel zu oft vergessen geht, zu mindestens gleichen Teilen wie David Lynch verantwortlich für den grössten Meilenstein der Fernsehgeschichte. Von ebendiesem David Lynch scheint sich Frost für «Storyville», den ersten und tatsächlich letzten Film, bei dem er Regie führte, ein bisschen was abgeschaut zu haben: Die düster dichte Atmosphäre, die dieses Ränkespiel um den erotischen Fehltritt des aufstrebenden Sprösslings (James Spader) einer kennedyesken politischen Dynastie aus New Orleans umgibt, gemahnt bisweilen jedenfalls an die Werke des «Zaren des Bizarren». Und mit Piper Laurie und Michael Parks waren denn auch zwei «Twin Peaks»-Granden prominent mit von der Partie.

Nichtsdestotrotz ist «Storyville» ein Stoff, der durch und durch «frostig» ist. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie rege Frosts Interesse an Politik ist, braucht man nur mal seine von heiligem Furor gegen den aktuellen Präsidenten erfüllten Twitter-Posts zu studieren. Dass es ihm die Kennedys im Speziellen angetan haben, erschliesst sich wiederum daraus, dass er einst – noch vor «Twin Peaks» – mit Lynch an einem Projekt namens «Goddess» gearbeitet hat, der Adaption eines provokanten Thesenstoffs über Marilyn Monroe, ihre Beziehung zu JFK und RFK und was Letzteres mit ihrem Tod zu tun hat. Die Handlung, das Ambiente und auch die Stimmung von «Storyville» schliesslich haben unverkennbare Parallelen zu «Chinatown», einen von Frost erklärten Lieblingsfilmen. Und auch wenn sein Erst- und Einzling sich mit einem derart mächtigen Vorbild dann also schon nicht grad zu messen vermag, hatte er doch prominente Bewunderer. Kritikerpapst Roger Ebert gab ihm 3,5 von 4 Sternen, die «Washington Post» schrieb von einem «spektakulären» Debüt und einem «bedeutenden neuen Filmemacher-Talent», und die «New York Times» lobte Frosts «beachtliche Arbeit mit seinen Darstellern». Frost selbst ist bis heute zu Recht stolz auf sein Werk, das er eher in der Nähe der Arbeiten von Sidney Lumet ansiedelt und das ihm die Chance bot, die düsteren Seiten des farbig-freudig-frohen New Orleans auszukundschaften und darin eine Familiengeschichte über generationenübergreifende Rivalität und Gier und ein von latentem Rassismus durchtränktes Kriminaldrama um Arm gegen Reich zu verorten. 

 


Aspen

 

Dieser Dreiteiler aus dem Jahr 1977 ist gleich aus mehreren Gründen eine ziemlich faszinierende Angelegenheit. Zuallererst ist das natürlich eine ziemlich spannende Geschichte, die da über knapp fünf Stunden erzählt wird: das Schicksal des – wie wir bald ahnen – wohl zu Unrecht wegen des Sexualmordes an einer wilden 15-Jährigen verurteilten Playboys Lee Bishop (Perry King) und seines cleveren Anwalts Tom Keating (Sam Elliott). Darüber hinaus aber ist «Aspen» auch ein ziemlich kecker und bisweilen kruder Mix aus seifigem Glamourdrama über Geld, Macht und Liebeleien in bester «Dynasty»-Tradition und blitzkalter Kriminalschauergesichte, die vom winterlich waldigen Ambiente und über den lotterhaften Lebenswandel des Mordopfers sogar den einen oder anderen Gedanken Richtung «Twin Peaks» schweifen lässt.

Obendrein ist das eine durchaus aufschlussreiche Milieustudie des Nobelskiorts in Colorado mit seinen rauschenden Galadiners und den ausschweifenden After-Partys; und schliesslich gerät «Aspen» auch noch zum mitunter unübersichtlich werdenden Schaulaufen seiner zahlreichen Stars: Die flotteste Figur macht dabei natürlich der Haudegen Sam Elliott, der hier zwar erst 33 Lenze zählt, aber jetzt nicht wirklich viel juveniler, dafür definitiv so kernig wirkt wie in «The Big Lebowski» oder «A Star Is Born». In seinem Fahrtwind brillieren Gene Berry als milliardenschwerer Grossinvestor, der im zweiten grösseren Erzählstrang die Fäden zieht; die überirdisch attraktive The-Mamas-and-the-Papas-Sirene Michelle Philipps als dessen luderhafte Tochter oder auch der ölige Anthony Franciosa als lokaler Schurke mit besten Verbindungen zur Mafia. Und sogar die Hollywood-Legende Joseph Cotten («The Third Man», «Citizen Kane») hat seinen Auftritt in diesem längst der Vergessenheit anheimgefallenen Fernsehjuwel aus den Siebzigern aus der Hitschmiede von Roy Huggins («The Fugitive», «The Rockford Files»).

 


Running on Empty

 

An seine grossen Erfolge aus den Siebzigern – von «Serpico» über «Dog Day Afternoon» bis «Network» – vermochte Regisseur Sidney Lumet im Folgejahrzehnt zwar nicht ganz nahtlos anzuschliessen. Gleichwohl finden sich in der Filmografie des «Meisters des Justizfilms» aber auch da noch manche Perlen. Deren funkelndste ist neben dem Paul-Newman-Vehikel «The Verdict» wohl das politisch hintergründige Familiendrama «Running on Empty», das Drehbuchautorin Naomi Forer und Nebendarsteller River Phoenix eine verdiente Oscar-Nominierung einbrachte. Mit viel Sinn für moralische Dilemmas, kluger Intuition für menschliche Schwächen und einem feinen Gehör für Zwischentöne erzählt Lumet darin die turbulent-schicksalsbehaftete Geschichte der vierköpfigen Familie Pope, die sich redlich müht, ein amerikanisches Durchschnittsleben zu führen, aber immer wieder von der Vergangenheit eingeholt wird.

Die Eltern, Annie (Christine Lahti) und Arthur (Judd Hirsch), waren in den Siebzigern in einer politischen Untergrundorganisation aktiv und machten sich zu Staatsfeinden, als sie aus Protest gegen den Vietnam-Krieg ein Napalmlabor in die Luft sprengten und dabei einen Hausmeister schwer verletzten. Seither sind sie mit immer wieder wechselnden Identitäten untergetaucht oder dann wieder, wenn die Gesetzhüter ihnen auf die Pelle gerückt sind, auf der Flucht. Im Grossen und Ganzen ging das bisher so weit alles gut, doch nun ist ihr älterer Sohn Danny (Phoenix) zum Teenager herangewachsen und also in einem Alter, wo er sich Gedanken über das Jetzt hinaus macht. So werden am aktuellen temporären Wohnsitz der Familie im Staat New York nicht nur Dannys Ambitionen für eine Karriere als Pianist, sondern auch Gefühle für die flippige Lorna (Martha Plimpton) geweckt, die Tochter seines ihn zwar tatkräftig fördernden, aber auch etwas gar forsch in der Vergangenheit rumstochernden Lehrers (Ed Crowley). Als die Situation allmählich wieder brenzlig wird und der nächste abrupte Umzug sich anbahnt, kommt es in der Familie zum Clinch und zum Clash der Generationen, im Zuge dessen sich die Popes den grossen Daseinsfragen und Lebenslügen stellen müssen. Wie Lumet das mit mehr Fokus aufs Persönliche als aufs Politische abhandelt, war für den Jahrhundertkritiker Roger Ebert so gut, dass er «Running on Empty» zu einem «der besten Filme des Jahres» adelte. Für die «L.A. Times» war es «raffiniert, kompromisslos und erfrischend originell», für «Newsweek» nichts weniger als «emotional überwältigend». Und worin sich praktisch alle einig waren: dass das nicht nur, aber gerade auch von River Phoenix, um den die Geschichte letztendlich kreist, einfach verdammt gut gespielt ist.

 


Happiest Season

 

Für die einen sind es die schönsten Tage des Jahres, für andere hingegen sind Weihnachten die Zeit, die das Schlimmste und Schlechteste in den Menschen – und nicht selten in Hollywood – hervorbringt. In der überhaupt nicht schlimm schlechten Komödie «Happiest Season», dem autobiografisch angehauchten Regiezweitling der Schauspielerin Clea DuVal, sind nun natürlich beide Parteien vertreten. Da ist zum einen die forsche Abby (Kristen Stewart), die seit dem Tod ihrer Eltern gar nichts mehr mit Weihnachten anfangen kann. Und da ist ihre Freundin Harper (Mackenzie Davis), die sich wahnsinnig und wie von Sinnen darauf freut, diese wichtigsten Tage des Jahres im Schosse ihrer ausschliesslich schrecklichen und keineswegs netten Familie zu zelebrieren. Nachdem Harper in einem übermütigen Moment amouröser Glückseligkeit Abby davon überzeugt hat, sie dieses Jahr doch nach Hause zu begleiten, setzt das ein, was Hollywood uns seit je gerne unter den Christbaum legt: ein turbulenter Reigen voller Verwechslungen und Enthüllungen, Familienfehden und anderen Katastrophen. Denn weder Harpers politisch ambitionierter Vater (Victor Garber) noch ihre stets manisch auf den perfekten Schein erpichte Mutter (Mary Steenburgen) wissen etwas von der sexuellen Orientierung ihrer Lieblingstochter, und die beiden Schwestern, die linkisch verdatterte Jane (Mary Holland) und die stahlhart ehrgeizige Sloane (Alison Brie), haben ebenfalls keine Ahnung. Was die Sache aber erst recht übel macht: Harper hat entgegen mehrfachen Beteuerungen auch gar nicht vor, die Welt ihrer konservativen Mischpoke aus den Angeln zu heben und ihr wahres Ich zu offenbaren. Und das lässt Abby Weihnachten jetzt grad noch ein bisschen mehr hassen.

Die Konstellation von «Happiest Season» ist also alles andere als originell, trotz der zeitgeistigen Variation um die homosexuelle Note. Und Clea DuVal macht auch recht früh klar, dass sie gar nicht vorhat, hier das Weihnachtskutschenrad neu zu erfinden. Wie sich nach gut 100 Minuten Spielzeit weisen wird, ist das auch nicht nötig. Denn DuVal kriegt auch mit einem ziemlich klassischen Rezept eine beinahe perfekte Mischung aus Comedy und besinnlich introspektivem Drama gebacken. Was sie aus dem Rohr holt, ist quasi das weihnachtsfilmische Äquivalent zu einem Zimtstern, diesem auch wegen seiner massvollen Süsse immer wieder gern genossenen Evergreen unter den Weihnachtskeksen. Für eine gewisse herbe Note sorgt schon allein die Präsenz von Kristen Stewart, die einen prima Kontrapunkt zu der eher zierlich verzärtelten Mackenzie Davies («Irresistible») abgibt und ausserordentlich gut und natürlich mit der Kino-Newcomerin harmoniert. Mehr dem Komödiantischen zugeneigt ist derweil Mary Holland («Veep»), die ganz anders als ihre von der Familie so sträflich vernachlässigte Figur den anderen ein bisschen die Show stiehlt. Und für vornehmlich nachdenkliche Momente ist dann die wundervolle Aubrey Plaza («Parks and Recreation») in der Rolle von Harpers Ex besorgt. Es ist da mithin für alle was dabei. So wie es an Weihnachten sein soll. Und festlich flott ausschauen tut das Ganze grad auch noch. 


Waco

 

Diese Miniserie aus dem Jahr 2018 zeichnet detailgetreu eines der düstersten Kapitel in der jüngeren Geschichte der amerikanischen Strafverfolgungsbehörden nach: die 51 Tage dauernde Belagerung der Siedlung der sektenähnlichen Religionsgemeinschaft Branch Davidians in Waco, Texas, durch das FBI und das Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms, and Explosives (ATF) im Jahr 1993, die in einer Feuersbrunst und im Tod von 76 Gläubigen, darunter 25 Kinder, endete. Ursprünglich unverkennbar als Spielfilm geplant, weist der Sechsteiler zwar einige Längen auf; doch verschafft dies wiederum den durchweg hervorragenden Darstellern noch etwas Zusatzraum zur Entfaltung. Ganz besonders intensiv nutzen darf diesen der charismatische Taylor Kitsch («Friday Night Lights»), der in der Rolle des selbst ernannten Propheten und Sektenführers David Koresh nicht nur die beste Leistung seiner Karriere abliefert, sondern auch auf verblüffend viel Verständnis für seine umstrittene Figur seitens der Filmemacher zählen darf. Die von den Brüdern John Erick und Drew Dowdle konzipierte Serie geht die Sache nämlich von zwei Seiten an, sprich, sie beruht auf gleich zwei Tatsachenberichten: jenem des Überlebenden David Thibodeau, in der Serie gewohnt linkisch dargestellt von Rory Culkin; und jenem des FBI-Verhandlungsführers Gary Noesner, der von Michael Shannon verkörperten zweiten Hauptfigur in «Waco». Noesner ist es, der mit seiner besonnenen Art und in zähem Feilschen unnachgiebig das Schlimmste zu verhindern sucht; doch letztlich ist auch er machtlos: nicht so sehr gegen die frömmlerische Verblendung von Koresh und seiner mehrheitlich gar nicht mal so übergeschnappten Jünger (u.a. Andrea Riseborough, Paul Sparks, Julia Garner), wie die Dowdle-Brüder implizieren, sondern vielmehr gegen die tumben Cowboymethoden der Strafverfolgungsbehörden, denen hier Shea Wigham und Glenn Fleischler die markanteste Fratze und John Leguziamo als von Koresh in Versuchung Geführter ein menschliches Antlitz verleihen.

«Waco» stellt mithin nicht den Möchtegern-Messias Koresh an den prominentesten Pranger; die Branch Davidians werden als zwar krude, aber vergleichsweise harmlose Religionsgemeinschaft dargestellt, wo etwa sexuelle Kontakte (auch zu Minderjährigen) wohl dem polygamen Führer vorbehalten sein mögen, die letztendlich aber einfach ihre besinnliche Ruhe haben möchte und niemandem gross etwas zuleide tut. Die Dummen und Bösen sind hier stattdessen das FBI und das AFT: diese grobschlächtigen Rambos, die einfach nicht aus früheren Fehlern lernen wollen und dann auch noch das Blaue vom Himmel lügen, wenn einem Autounfall in Zeitlupe gleich das eingetroffen ist, was Intelligenz und Empirie diktiert hatten. Das ist natürlich nicht unproblematisch; und für ihren allzu pfleglichen Umgang mit Koresh hat die Serie auch einige Kritik einstecken müssen. Aber es eröffnet das eine sicherlich interessante neue Perspektive – nicht nur auf die katastrophalen Geschehnisse vom Frühjahr 1993 in Texas, sondern auch auf die uramerikanische Prämisse der Selbstbestimmung und die Religionsfreiheit. Von der Religionsskeptikerin über den Regierungshasser bis zum Radiophilosophen kommen hier denn auch Stimmen aus allen Richtungen zu Wort. Dass die Dowdle-Brüder darob und über den zusehends eskalierenden Ereignissen bisweilen die Orientierung verlieren, mindert zwar die Begeisterung über «Waco» ein wenig; aber Taylor Kitsch und Michael Shannon, Paul Sparks und Andrea Riseborough, Rory Culkin und Julia Garner, Shea Wigham und John Leguziamo holen dann die Kohlen garantiert aus dem Feuer.


Vanishing Act

 

Diese Geschichte ist so gerissen gut, dass sie innerhalb von zehn Jahren gleich zweimal verfilmt wurde: 1976 mit Jack Klugman unter dem Titel «One of My Wives Is Missing» in sonnigen kalifornischen Gefilden; und dann 1986 gleich nochmals als «Vanishing Act» mit Mike Farrell in der Rolle des Ehemanns, dem in den Flitterwochen in den Rocky Mountains seine Frischangetraute abhandenkommt, Elliott Gould als scheinbar begriffsstutzigem und mehr an Kulinarischem interessiertem Ex-NYPD-Kommissar, der sich des Vermisstenfalls annimmt, und Margot Kidder in der Rolle jener Frau, die vorgibt, die Verschwundene zu sein, und ihren vermeintlichen Gatten damit in ungläubigen Wahnsinn treibt.

Inszeniert hat «Vanishing Act» mit David Greene ein Mann, der in seiner langen Karriere nicht nur vier Emmys gewinnen konnte, sondern 1973 für das Musical «Godspell» auch mal für die Goldene Palme von Cannes in Betracht gezogen wurde; und geschrieben wurde dieser leichte und beste Unterhaltung garantierende Krimi vom französischen Autor Robert Thomas, den seine Zeitgenossen mit Agatha Christie und Alfred Hitchcock verglichen und dessen namhaftester Filmografieeintrag der postum realisierte Rätselspass «8 Femmes» von François Ozon werden sollte (den letzten Schliff verpassten dem Film dann die «Columbo»-Erfinder William Link und Richard Levinson). Wie so viele Perlen des Achtzigerjahre-Fernsehens ist auch «Vanishing Act» zwar nicht (mehr) auf DVD greifbar, aber auf Youtube in voller Länge zu geniessen.

 


Little Fires Everywhere

 

Es ist eine rundum erfreuliche und absolut sinnvolle Entwicklung, dass populäre Romane statt fürs Kino nun vermehrt als Miniserie adaptiert werden. Verblüffend ist bloss, dass die hierbei auf der Hand liegenden und in europäischen Gefilde seit je demonstrierten Vorteile erst unlängst auch in den USA verbreitet durchgedrungen sind. Umso erfreulicher sind dafür die daraus resultierenden Ergebnisse, die wir wie so vieles Erfreuliche in erster Linie den Streamingdiensten zu verdanken haben: Werke wie «Olive Kitteridge», «Sharp Objects» oder «Mildred Pierce» gehören zu den prächtigsten Literaturadaptionen überhaupt (und über mehrstaffelige Buchverfilmungen wie «Friday Night Lights», «The Leftovers» oder «Justified» fangen wir jetzt erst gar nicht an zu schwärmen).

Ein neuerer Eintrag in dieser jungen Tradition ist das achtteilige Drama «Little Fires Everywhere», basierend auf dem gleichnamigen Bestseller von Celeste Ng aus dem Jahr 2017. Es ist dies binnen kürzester Zeit auch der dritte Fernsehauftritt von Reese Witherspoon. Und die Rolle, die die Oscar-Preisträgerin hier übernommen hat, ist jener aus «Big Little Lies» nicht unähnlich: die der auf Perfektion bedachten und den äusseren Schein über alles stellenden Vorortstyrannin Elena Richardson, die es sich aus schalldicht verschlossenem Frust über verpasste Gelegenheit und hergeschenkte Träume zur Lebensaufgabe gemacht hat, das Handeln ihrer Mitmenschen ganz genau unter die Lupe zu nehmen und auf den Prüfstand zu stellen. Ihren Mann (Joshua Jackson) hat die Teilzeitjournalistin längst unter Kontrolle gebracht, und zumindest drei ihrer vier Kinder vermag sie die meiste Zeit in Schach zu halten. Doch da ist eben auch die Problemtochter Izzy (Megan Stott), die schon in der vorausblendenden Eröffnungsszene unter Verdacht gestellt wird, das titelgebende Feuer in der villenhaften Residenz der Richardsons gelegt zu haben. Und fast mehr noch raubt ihr der Neuankömmling Mia (Kerry Washington) den Schlaf, eine schwarze Künstlerin, die offenbar ein dunkles Geheimnis hütet, das Elena partout lüften muss. Nachdem es zunächst so ausgeschaut hat, als ob sich zwischen Elena und Mia eine – freilich komplizierte – anbahnen könnte, entwickelt sich bald einmal ein regelrechter Psychokrieg, in dem die mannigfaltigen Aspekte des Mutterseins, aber auch heikle Klassen- und Rassenfragen erörtert werden. Wie in der Buchvorlage geschieht das auch auf dem kleinen Schirm auf grösstenteils profunde Art und Weise; und wiewohl die überaus stilvoll inszenierte Serie bisweilen der Mut verlässt, tappt sie sich dabei doch auch immer wieder vorsichtig an Abgründe heran. Und das wiederum gibt dann nicht nur Witherspoon und Washington die Chance zu glänzen, sondern auch einigen der Youngsters, allen voran der erstaunlichen Lexi Underwood in der Rolle von Mias Tochter Pearl.


Breezy

 

Frank (William Holden), Mitte fünfzig, geschieden und vermögend, hat es sich häuslich gemütlich eingerichtet in seiner postmodernen Villa oberhalb von L.A. in Laurel Canyon und mental geradeso bequem gemacht in einem distanzierten Zynismus, der ihn davor beschützt, verbindliche Beziehungen einzugehen und etwas zu fühlen. Edith Alice (Kay Lenz) ist ein 19-jähriges Blumenkind aus Pennsylvania, das nur mit einer Gitarre im Gepäck nach Kalifornien gekommen ist und sich hier wie im Paradies fühlt, auch wenn sie keine feste Bleibe und öfters einen leeren Magen hat. Sie nennt sich Breezy, und luftig unbekümmert ist sie denn auch – gesegnet mit einer ungefilterten Ehrlichkeit und einem kindlichen Urvertrauen in das Gute und Schöne. Sie ist also das pure Gegenteil von Frank und damit genau die Richtige, um frischen Wind in dessen erstarrtes Dasein zu bringen. Zwar sträubt sich Frank zunächst noch bärbeissig-missmutig gegen diese natürliche Urkraft, die da eines Morgens in der Einfahrt zu seinem Haus in seinen Alltag platzt; doch im Nu hat Breezy diesen auch schon auf den Kopf gestellt. Denn diese zu allem Ja sagende Lebenslust, sie ist ansteckend; und das erwartungsfrohe Funkeln in ihren Augen erweist sich dann als derart unwiderstehlich, dass Frank wider das Diktat der Logik ihren unverblümten Avancen schliesslich nachgibt und sich einer Liebe hingibt, die nur im flüchtigen Moment blühen kann. Die ihm aber Dinge in Erinnerung ruft, die er längst vergessen hat, und eine Schönheit zurückbringt, die er verloren geglaubt hat.

Es weht eine erfrischende Brise unschuldiger kalifornischer Unbeschwertheit durch «Breezy», Clint Eastwoods dritte Regiearbeit aus dem Jahr 1973. Dass hier ein Mittfünfziger mit einer Teenagerin ins Bett steigt, müsste einen eigentlich gruseln; doch Eastwood schafft es auf gleichsam beiläufige und doch fast magische Weise, dass die Liebe zwischen Frank und Breezy nie creepy wirkt, sondern ganz im Gegenteil: von Herzen kommend, zu Herzen gehend. Es hilft dabei natürlich, dass er die bei einer solchen Geschichte programmierten Klischees umschifft: Sowenig wie sie es auf das Geld dieses reichen alten Sacks abgesehen hat, so wenig giert er nach dem Körper dieses naiven jungen Dings; und so dezent seine Kritik an ihrem pflichtvergessenen In-den-Tag-hinein-Leben ist, so dezent ist ihre Rebellion gegen die von ihm verkörperte Bürgerlichkeit. Es geht hier also weder um Politik noch um Gesellschaftskonflikte – es geht in diesem wunderbaren Film, den man dem im Dirty-Harry-Zenit stehenden Clint Eastwood irgendwie so gar nicht zutraut, nur um eines: um die Kraft der Liebe, die einen jedes Hindernis überwinden und alle Differenzen nichtig und klein erscheinen lässt.

 


The Meyerowitz Stories (New and Selected)

 

Zwei Jahre bevor er mit dem umwerfenden Ehedrama «Marriage Story» zu verdienten Oscar-Weihen kam, drehte der Autorenfilmer Noah Baumbach diese Tragikomödie um eine New Yorker Künstlerfamilie für Netflix. Und wie alle seine Filme ist auch «The Meyerowitz Stories (New and Selected)» nicht nur ein Festival geistreichen Humors und scharfzüngiger Dialogsalven; es ist auch wieder ein Spektakel höchster Schauspielkunst: Dustin Hoffman ist zum Niederknien als egomanisches Möchtegern-Genie Harold Meyerowitz, dessen moderate Erfolge als Bildhauer in der Kunstszene und an dem College, an dem er unterrichtete, eigentlich schon längst verblasst sind, in seinem Kopf indes ein so buntes und flamboyantes Eigenleben führen wie ehedem. Dies umso mehr, als seine Liebsten ihm und dem Kult, den er um sich aufgebaut und über all die Jahre wortreich kultiviert hat, unbeirrt treu ergeben sind: seine vierte, mit Alkoholproblemen kämpfende Gattin Maureen (Emma Thompson), seine linkische Tochter Jean (Elizabeth Marvel) und allen voran sein Sohn Danny (Adam Sandler) – ein liebenswerter, wenn auch bisweilen aufbrausender Tscholi, der sowohl seinen Job als auch seine Frau verloren hat, es dafür umso besser kann mit seiner filmkünstlerisch ambitionierten Tochter (Grace Van Patten). Einzig Dannys Halbbruder Matthew (Ben Stiller), der sich nach Kalifornien abgesetzt und sich in der Finanzbranche einen Namen gemacht hat, sieht diese ganzen Familienangelegenheiten aus der Distanz ein wenig differenzierter. Aber das ändert überhaupt nichts daran, dass er nach wie vor Harolds Lieblingskind ist. Und das wiederum macht dem alles für die Zuneigung seines Papas machenden und sich als Musiker abstrampelnden Matthew halt schon ziemlich zu schaffen.

Es ist eine schrecklich nette Familie, deren sehr eigene Dynamiken Baumbach hier mit viel Witz und Verve in Szene setzt. Und obwohl oder vielleicht gerade weil dieser Erbe Woody Allens in seinem wuseligen zehnten Film für einmal weder auf intellektuelle Tiefe noch emotionale Tragik abzielt, ist «The Meyerowitz Stories» nicht nur sein bis dahin zugänglichster, sondern auch sein bester und nicht zuletzt dank der berührenden Performance ausgerechnet von Adam Sandler sein menschlichster Film geworden. Wie sich kurz darauf in «Marriage Story» zeigen sollte, war das zwar nur ein Vorgeschmack auf die Filmwunder, die Baumbach zu vollbringen imstande ist. Es ist dies freilich ein überaus köstlicher Appetizer. Und ein überraschend leicht verdaulicher noch dazu.


Sneakers

 

Dass schon im Jahr 1969 Computerhacker ihr Unwesen trieben und den politischen Betrieb störten, ist eine der nicht wenigen Dinge, die man aus Phil Alden Robinsons Caper-Komödie «Sneakers» (1992) lernen kann. Und dass die beiden fraglichen Lausbuben ihre technischen Fertigkeiten und die von ihnen zweckentfremdeten Uni-Gerätschaften nicht etwa dazu nutzen, um irgendwelche grauslichen Grobiane ins Präsidentenamt zu hieven, sondern um Gelder von der Republikanischen Partei an diverse linke Organisationen umzuleiten, gehört zu den vielen Sachen, die Freude machen in diesem Film. Ungleich weniger spassig geht es fürderhin freilich für jenen der beiden Hacker weiter, der von der Polizei geschnappt wird und alsdann ins Kittchen kommt, wo er dem Vernehmen nach einige Jahre später stirbt. Sein Komplize hingegen, der gerade Pizza holen war, als die Polente eintraf, erfreut sich rund 20 Jahre und einen Namenwechsel später unvermindert eines aufrührerischen Geists und revolutionären Tatendrangs. Aber das könnte sich für Martin Bishop alias Brice (Robert Redford) nun ändern, da die NSA auf der Matte steht und ihn dazu nötigt, eine für die US-Regierung eminent wichtige mysteriöse «Black Box» eines genialen Mathematikers zu stibitzen.

Was sich nun in «Sneakers» entwickelt, folgt recht konsequent den Genreregeln des Caper-Movies – nur dass das Team aus Spezialisten nicht erst rekrutiert werden muss, sondern bereits seit Längerem an der Seite von Martin in Robin-Hood-Manier dafür kämpft, den Reichtum mit allerlei technologischen Kunststückchen und einer Menge krimineller Energie von den Grosskopferten an die Bedürftigen umzuverteilen. Wie Martin sind sie allesamt zwar Genies auf ihrem Fachgebiet, gleichzeitig aber mit einem Leumund ausgestattet, der sie nicht eben dazu prädestiniert, nach höheren Weihen zu streben: der bei der CIA in Ungnade gefallene Donald (Sidney Poitier); der junge Hacker-Hero Carl (River Phoenix); der verschwörungsaffine Elektronik-Spezialist «Mother» (Dan Aykroyd); und der blinde Telefon- und Abhör-Guru «Whistler» (David Strathairn). Für die weibliche Note zu sorgen, obliegt derweil Mary McDonnell, die sich in der Rolle von Martins Ex-Freundin Liz in einer der komischsten Szenen des Films als «Honigfalle» einspannen lässt. Überhaupt ist Robinson («Field of Dreams») hier nicht nur ein jederzeit spannender und packender Thriller, sondern auch eine überraschend frische Komödie geglückt. Deren politische Untertöne verleihen ihr dann noch das gewisse Extra; und die formidable, vom unvergleichlichen Robert Redford in einer Paraderolle angeführte Besetzung, zu der sich auch noch Ben Kingsley gesellt, macht «Sneakers» endgültig zu einem trotz über zwei Stunden Spielzeit extrem kurzweiligen Vergnügen.

 


The Chaser

 

Zimperlich geht es in dem Erstling von Regisseur Na Hong-jin («The Yellow Sea», «The Wailing») aus dem Jahr 2008 nicht eben zu und her. Die «New York Times» bezeichnete diesen von Tatsachen inspirierten Serienkiller-Film mit Blick auf seine Gewaltexzesse als «unverkennbar koreanisch»; und das Team hinter «The Departed», diesem ebenso wenig zärtelnden Remake des im Ausland wohl bekanntesten koreanischen Kinohits, sicherte sich denn auch gleich mal die Rechte für eine Neuauflage made in Hollywood. Dass daraus nie etwas geworden ist und der designierte Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio und Drehbuchautor William Monahan längst das Interesse daran verloren haben, kann man zwar schade finden. Aber im Grunde hat «The Chaser» ja ohnehin keine Veränderungs- oder gar Verbesserungsarbeiten nötig. Es ist alles gut, so wie es ist.

Nicht so gut läuft es derweil dem korrupten ehemaligen Polizisten Joong-ho (bärenstark: Yoon-seok Kim), der sich inzwischen als Zuhälter in Seoul verdingt. Zwei seiner drei Prostituierten sind verschwunden, und die dritte findet sich in den Fängen eines Sadisten wieder. Der wird zwar bald einmal von Joong-ho gestellt und von dessen Ex-Kollegen verhaftet; doch der Aufenthaltsort der Gefangenen bleibt weiter unklar, da der potenzielle Serienkiller in Polizeigewahrsam Psychospielchen à la Hannibal Lecter treibt und Joong-ho so in einen rasanten Wettlauf gegen die Zeit zwingt. Dieser ist nicht nur brillant actionreich inszeniert voller maximal kompetent choreografierter Verfolgungsjagden, sondern auch clever wendungsreich konzipiert mitsamt einer gesellschaftskritischen Komponente, sodass die über zwei Stunden Spielzeit wie im Flug vergehen. In Sachen Ästhetik lehnt sich «The Chaser» an amerikanische Genregrössen wie «Se7en» an, variiert deren Strategien allerdings immer wieder geschickt und schmuggelt sogar die eine oder andere Prise schwarzen Humor ins atemlos packende und schnaufverschlagend spannende Geschehen. Herausgekommen ist so etwas, was sich zugleich klassisch und originell anfühlt: ein stimmiger und atmosphärischer Cop- und Serienkiller-Thriller.


L.A. Law

 

Von 1986 bis 1994 lief diese Serie über eine renommierte Anwaltskanzlei in Downtown Los Angeles. In acht Staffeln und 172 Episoden durchleuchtete das Team um TV-Legende Steven Bochco («NYPD Blue») nicht nur das juristische Geplänkel der smarten Rechtsjongleure en détail oder die mannigfachen Dynamiken am reich bevölkerten Arbeitsplatz inklusive allerlei Liebeleien und Eifersüchteleien, Karriereknicks und Laufbahnsprüngen. In typischer Bochco-Manier wurde auch das (kalifornische) Lebensgefühl mitsamt den sozialen und politischen Ideologien transportiert und dem Zeitgeist gehörig auf den Puls gefühlt, wenn die Star- und Staatsanwälte oft genug bis zum Hals in Fälle verwickelt wurden, die sie mit den damals drängendsten und brisantesten Themen konfrontierten: von Abtreibung über Schwulenrechte, Todesstrafe und sexueller Belästigung bis zu AIDS und den Rassenunruhen von 1992. Auch dank dem guten Mix aus Humor und Ernsthaftigkeit schaffte es «L.A. Law» nicht nur zu enormer Popularität, die mit dem Gewinn des Emmy für die Beste Dramaserie in gleich vier von fünf aufeinanderfolgenden Jahren (1987 und von 1989 bis 1991) ihren Gipfel fand; sie hatte auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss darauf, wie das amerikanische Publikum das US-Rechtssystem und dessen Akteure wahrnahm – und bis zu einem gar nicht mal so geringen Grad sogar darauf, wie Anwälte ihren Job machten, wie sie sich kleideten und zu einer Jury sprachen.

Dass Juristen den Stars von «L.A. Law» nacheiferten, ist insofern durchaus verständlich, als die meisten von ihnen doch ziemlich coole und allesamt zumindest spezielle Typen waren: der fesche Harry Hamlin als heimliche Hauptattraktion der ersten sechs Staffeln etwa; die späteren TV-Urgesteine Jimmy Smits und Blair Underwood als Vertreter ethnischer Minderheiten; Jill Eikenberry als feministisches Gewissen der Kanzlei; Corbin Bernsen als Rockzipfel jagender Scheidungsanwalt im Porsche-Cabrio; John Spencer als Querdenker mit gelockerter Krawatte und Glimmstängel im Mundwinkel; Alan Rachins als kosten- und profitbewusster Büro-Buhmann; und natürlich Richard Dysart als fachlich und moralisch herausragende graue Eminenz. Die grosse Kinokarriere machten freilich Leute, die sich bloss für einen Gastauftritt einfanden, unter ihnen Christian Slater, Bryan Cranston, Don Cheadle, William H. Macy, Steve Buscemi, Lucy Liu, Kathy Bates oder Kevin Spacey. Dass die Besetzung einer der grössten Trümpfe der Serie war, zeigt sich auch darin, dass «L.A. Law» (zusammen mit «Hill Street Blues», «The West Wing» und «Game of Thrones») einen bis heute gültigen Emmy-Rekord hält: Sagenhafte neun Stammdarsteller waren 1989 für den prestigeträchtigen Fernsehpreis nominiert.


Shoot to Kill

 

Ein Mann, ein Gütesiegel: Wo der Name Tom Berenger draufstand, da war gerade in den Achtzigern und Neunzigern meist knackige Krimikost drin. Typischerweise zwar nichts, worüber man sich in Briefe an seine Liebsten länglich auslassen müsste – aber fadisiert hat man sich mit dem kernigen Kerl aus Chicago kaum je. Natürlich hat Berenger zwischendurch auch mal etwas fürs Renommee gemacht, mit Starregisseuren wie Ridley Scott, Robert Altman und später dann Christopher Nolan («Inception») gearbeitet und etwa für seine Rolle in Oliver Stones Kriegsfilm-Epos «Platoon» eine Oscar-Nominierung eingeheimst. Am hartnäckigsten in Erinnerung gebrannt hat er sich allerdings mit Rollen wie jener des rechtsradikalen Vietnam-Veteranen in Costa-Gavras «Betrayed», des Manns ohne Gedächtnis in Wolfgang Petersens «Shattered», des dubiosen Nachbarn in Philip Noyce’ «Sliver», des findigen Cops im Krimi-Geheimtipp «A Murder of Crows» – oder des zupackenden Fährtenfinders Jonathan Knox in Roger Spottiswoodes vielleicht formelhaften, aber formidablen Actionthriller «Shoot to Kill» (aka «Deadly Pursuit») aus dem Jahr 1988.

Berenger agiert hier quasi als Sidekick des nach längerer Kinoabstinenz comebackenden Sidney Poitier. Dieser gibt einen FBI-Agenten, den es nach einer tödlich endenden Geiselnahme derart durchschüttelt, dass er nicht zu ruhen gedenkt, bis der Übeltäter seiner gerechten Strafe zugeführt worden ist. Von San Francisco aus verschlägt es ihn zu diesem heiligen Zweck gen Norden in die Wälder von Washington, wo sogleich die nächste Leiche auf ihn wartet. Was folgt, ist eine erbarmungslose und actiongeladene Jagd über Stock und Stein bis nach Kanada, in die auch noch Kirstie Alley verwickelt wird. Der spätere Bond-Regisseur Spottiswoode («Tomorrow Never Dies») inszeniert dieses Katz-und-Maus-Spiel vor naturgewaltiger Kulisse ohne Schnickschnack, dafür mit umso mehr Punch und Pace; das Skript wartet mit dem einen oder anderen Twist auf und schräubelt da und dort recht clever an der klassischen Buddy-Movie-Formel; und auch Berenger setzt auf altmodische Kinowerte, agiert ganz gemäss seinem Typ und gibt einen harten Knochen von echtem Schrot und Korn, der vor nichts zurückschreckt und sich von niemandem und schon gar nicht einem Städter wie Poitier rumkommandieren lässt. Dass er das auch über 30 Jahre später, mit inzwischen über 70 Jahren, noch ganz ordentlich draufhat, durfte Berenger übrigens erst eben wieder als Jäger in den schneebedeckten Wäldern von Maine in dem gar nicht mal so üblen Thriller «Blood and Money» (aka «Allagash») beweisen. Wo Berenger draufsteht, ist also auch heute noch – manchmal – solides Krimiwerk drin. Schön, dass sich manche Dinge nicht ändern lassen.